Sanft kurvt die silberne Embraer Legacy 650 mit dem roten Streifen auf dem Rumpf, Kennung D-AHOX, über Südwestdeutschland – mit vollen Tanks könnte sie uns nonstop über den Atlantik bringen, doch das heutige Ziel liegt viel näher. Routiniert räumt die Flugbegleiterin das Geschirr vom Mittagessen à la carte ab, dann geht es in den Anflug auf den Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden. Vor der Maintenance-Halle von VistaJet kommt der Jet zum Stehen, die Rolls-Royce-Triebwerke verstummen. An Bord: Luftfahrt-Journalisten, begleitet von einem VistaJet-Team um Chief Commercial Officer Ian Moore und Chief Operational Officer Nick van der Meer. Ziel ist es, der Fachpresse einen Einblick ins Innenleben des Branchenriesen knapp zwei Jahre nach der Übernahme von Air Hamburg gewähren.

Ian Moore und Nick van der Meeer vor dem Monitor, auf dem die weltweiten VistaJet-Flüge zu sehen sind.
Einblick in Flohrs Jet-Imperium
Vier Stunden zuvor. Treffpunkt ist die Hamburger Leverkusenstraße, wo sich bis vor Kurzem die Zentrale von Air Hamburg befand. Das 2006 gegründete Unternehmen mit mehr als 40 Flugzeugen und rund 650 Mitarbeitern galt gemessen an den Flugstunden als Europas führender Betreiber von Business Jets. Im Februar 2022 hat die VistaJet Global Holding mit Sitz in Dubai den Operator in einem überraschenden Deal übernommen. Ein Hinweis am Eingang macht deutlich, dass VistaJet jetzt Regie führt. Die anfängliche Zusage, Air Hamburg als eigenständige Tochter zu erhalten, ist hinfällig.

Die luxuriöse Lineage 1000 ist eine von mehr als 40 Übernahmen aus der Air Hamburg-Flotte.
Beeindruckende Flotte
Ein paar Zahlen vermitteln einen Eindruck vom "VistaVerse", wie COO Nick van der Meer den globalen Konzern nennt, der vor 20 Jahren vom Schweizer Geschäftsmann Thomas Flohr gegründet wurde und bis heute geleitet wird. Flohr, den Moore und van der Meer als "hands-on", also praxisnah, beschreiben, sei in alle strategischen Entscheidungen involviert. Mehr als 4000 Mitarbeiter halten die weltweit rund 360 Flugzeuge umfassende Flotte in der Luft. Die meisten Business Jets sind im eigenen Besitz, rund 80 werden im Management betrieben. Ein wichtiger Baustein ist das USA-Geschäft, wo Vista America die verschiedenen Betreiber – unter anderem die Tochterfirma XOJET Aviation – bündelt. Unter dem maltesischen AOC sind 93 Flugzeuge registriert. Rund 650 Mitarbeiter beschäftigt die VistaJet GmbH, unter deren deutschem AOC 43 Business Jets aus dem Bestand von Air Hamburg fliegen – darunter Embraer Phenom 300/300E, verschiedene Legacy-Jets und Praetor 600, Cessna Citation XLS+/XLS Gen2, Dassault Falcon 7X und Embraer Lineage 1000E. Das Aushängeschild von VistaJet ist die mit 18 Flugzeugen weltweit größte Flotte der Global 7500 – immer wieder hatte Thomas Flohr in der Vergangenheit mit Großbestellungen bei Bombardier auf sich aufmerksam gemacht.

VistaJet ist Stammkunde beim kanadischen Hersteller Bombardier.
Wie solide steht Vista da?
Knapp zwei Jahre nach dem Zusammenschluss brodelt es in der Gerüchteküche – auch das ist ein Thema des Treffens. Im Frühjahr 2023 hat der ehemalige Chef und Mitbegründer von Air Hamburg, Floris Helmers, das Unternehmen verlassen. "Auf eigenen Wunsch", heißt es von VistaJet. Nicht ganz freiwillig, glaubt man Berichten der "Wirtschaftswoche". Weitere Mitarbeiter aus Hamburg sollen VistaJet ebenfalls den Rücken gekehrt haben. Spekulationen gibt es auch über die finanzielle Lage. Hatte Air Hamburg noch solide Gewinne eingefahren, könnte es bei VistaJet weniger rosig aussehen. Die "Wirtschaftswoche" meldete im Juni 2023: "Sämtliche Verbindlichkeiten des Konzerns, inklusive der bezahlten Flüge, die das Unternehmen seinen Kunden noch schuldet, summierten sich Ende 2022 sogar auf mehr als sechs Milliarden Dollar – das 23-Fache des Eigenkapitals." Spielraum verschaffen Anleihen und Vorauszahlungen der Kunden für Flugstunden.
Kontrollzentrum im Dauerbetrieb
Unsere Tour startet im Operations Control Center, in dem nichts mehr an Air Hamburg erinnert. Das Großraumbüro ist "Vistajized", wie sonst die Anpassung der Business Jets ans Design des Operators im Firmenjargon genannt wird. Herzstück ist der Tactical Desk, an dem die Mitarbeiter rund um die Uhr den Flugbetrieb koordinieren und im Fall einer Panne Technikerteams auf den Weg schicken. In einer eigenen Softwareplattform laufen die Fäden zusammen. Alle Flüge und Daten weltweit sind in Echtzeit abrufbar und werden auf Monitoren für jedermann im Raum angezeigt. Die neue Corporate Identity des Büros zeigt aber nur die Oberfläche eines komplexen Prozesses: Bei der Übernahme ging es um nicht weniger, als zwei völlig unterschiedlich aufgestellte Luftfahrtriesen miteinander in Einklang zu bringen.

Im Hamburger Operations Control Center wird der Flugbetrieb rund um die Uhr koordiniert.
Extrem hohe Auslastung
Während Air Hamburg seine Flüge auf dem freien Markt anbot, setzt VistaJet auf ein Abomodell: Kunden entscheiden sich im Voraus für eine feste Stundenzahl pro Jahr – von 25 bis mehrere 100 Sunden ist alles möglich – in einer bestimmten Flugzeugkategorie. Gezahlt wird per Vorkasse. Flüge sind ebenso spontan wie mit dem eigenen Flugzeug möglich, lautet das Versprechen. Lediglich in abgelegenen Regionen wie Australien räumt sich VistaJet das Recht auf bis zu sieben Tage Vorlaufzeit ein. Je nach Bedarf können Kunden auch mal auf andere Kabinengrößen zugreifen. Freie Kapazitäten oder Positionierungsflüge werden über das Vermittlungsportal Avinode verkauft. "Unser größter Konkurrent ist das eigene Flugzeug", sagt Nick van der Meer. Er rechnet vor, dass die Flugstunde mit VistaJet günstiger ist als mit dem eigenen Jet. Das Geheimnis liegt in der hohen Auslastung von mindestens 1000 bis zu 1500 Stunden pro Jahr und Flugzeug. Um Eignern den Abschied vom eigenen Business Jet zu versüßen, kauft Vista Global Trading gebrauchte Jets an, um diese weiter zu veräußern.

An Business Jets von Embraer und Textron Aviation werden in Karlsruhe größere Wartungen ausgeführt.
Die Übernahme ist vollzogen
Beim Zusammenschluss wurde das Beste aus beiden Welten übernommen, heißt es. So sind beispielsweise gemeinsame Trainingskonzepte für die Crews entstanden. Lackierung und Kabinenausstattung der ehemaligen Air-Hamburg-Flugzeuge im Vista-Outfit ist ein andauernder Prozess, der etwa zur Hälfte abgeschlossen sein soll. "Nach einer Weile war es nicht mehr sinnvoll, zwei Marken zu erhalten, die vielleicht sogar miteinander konkurrieren", erklärt Ian Moore das Aus für die Marke Air Hamburg. "Mitarbeiter haben den Wunsch geäußert, Teil von Vista zu werden. Sie wollten nicht länger ein Anhängsel sein", ergänzt Nick van der Meer, der sich auch zur Fluktuation äußert: "Einige Leute sind gegangen, andere sind geblieben. Leider passte die neue Beziehung für manche Mitarbeiter einfach nicht." Obwohl sich auch einige Piloten für einen anderen Berufsweg entschieden haben, sieht sich VistaJet als attraktiver Arbeitgeber. Wer sich bewährt und die richtige Einstellung hat, hat sogar die Chance auf ein bezahltes Type Rating fürs Flaggschiff Global 7500.

Die Legacy 650 im Anflug auf Hamburg. VistaJet wirbt mit guten Arbeitsbedingungen für Piloten.
Schnelle Verfügbarkeit garantiert
Geht es um die finanzielle Situation, sieht Ian Moore mangelndes Verständnis fürs Geschäftsmodell: "Unser Versprechen ist es, den Kunden die Verfügbarkeit der Flotte zu garantieren. Der Kunde wiederum garantiert, die Stunden auch zu fliegen. So haben wir immer einen guten Überblick, wie das nächste Quartal, das nächste Jahr und die nächsten drei Jahre aussehen werden. Dadurch haben wir einen garantierten Geldfluss", sagt er. Moore gibt zu bedenken, dass das Unternehmen in Übernahmen und Flugzeugkäufe investiert hat. "Wir haben diese Flugzeuge nicht nur für heute gekauft, sondern für die nächsten drei bis vier Jahre. Man kann ein Flugzeug nicht von der Stange kaufen, so wie man ein Brot kaufen kann." Das Wachstum gibt VistaJet recht: Von 2019 bis 2023 habe sich nach den Übernahmen die Zahl der Flugstunden verdreifacht.

Von Hamburg nach Karlsruhe und zurück: das geht so entspannt nur mit dem Business Jet.
Nachhaltig in die Zukunft
Auf dem Weg in die Zukunft setzt VistaJet neben Wachstum auf Nachhaltigkeit. Bereits 2021 hat der Betreiber verkündet, mit einem Zehn-Punkte-Programm bis 2025 klimaneutral werden zu wollen. Wichtige Schritte sind getan: So wurden 2022 in Wien 200 000 Gallonen Sustainable Aviation Fuel (SAF) zur Beimischung gekauft. Kürzlich wurden Verträge über vier Millionen US-Gallonen SAF an sechs europäischen Standorten unterzeichnet, die in einem Zeitraum von 14 Monaten verflogen werden sollen. Auch Kompensationszahlungen helfen dabei, die Ökobilanz zu verbessern. "Wir sind seit 20 Jahren erfolgreich tätig und haben erst fünf Prozent Marktanteil. Wir haben also das Gefühl, dass wir diese Reise gerade erst begonnen haben", sagt Ian Moore.