Holger Krahmer: "Wir müssen lauter und sichtbarer werden"

EBAA-Generalsekretär im Interview
„Wir müssen lauter und sichtbarer werden“

Zuletzt aktualisiert am 12.06.2024
„Wir müssen lauter und sichtbarer werden“
Foto: EBAA
Von 2004 bis 2014 waren Sie als Abgeordneter für die FDP im EU-Parlament, außerdem haben Sie sich in der Automobilbranche einen Namen gemacht. Was qualifiziert Sie als führende Persönlichkeit in der europäischen Geschäftsluftfahrt?

Automobilindustrie und Geschäftsluftfahrt haben Gemeinsamkeiten wie die Umsetzung der Klimaziele und die Diskussion über den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen der Branchen. Es gibt Vorurteile, irrationale Forderungen und zum Teil ideologisch motivierte Haltungen. Beide verbindet die Frage, welchen Stellenwert die individuelle Mobilität in unserer Gesellschaft hat. Nach meinem Verständnis darf dieser Wert nicht in Frage gestellt werden. Wenn wir das tun, laufen wir Gefahr, in einem autokratischen System anzukommen. Wer heute das Autofahren oder die Geschäftsluftfahrt verbietet, wird morgen die nächste Verbotsforderung erheben – deswegen sollte man achtsam sein. In der Business Aviation gab es zudem 2023 einen Schock: Die Angriffe von Aktivisten auf der EBACE in Genf und auf einen Jet am Sylter Flughafen haben sich in den Köpfen festgesetzt. Nach dem Tod meines Vorgängers Athar Husain Khan gab es in der Branche den Wunsch, jemanden zu holen, der Erfahrung mit solchen Dingen hat. Jemanden, der in einem unfreundlichen politischen Umfeld professionell auf solche Attacken reagiert. Seit 20 Jahren bin ich in der europäischen Politik tätig und trage den "Brüssel-Rucksack". Als ich von der EBAA angesprochen wurde, musste ich nicht lange überlegen. Ich habe zwar keine Pilotenlizenz, aber politische Erfahrung – beides wäre ideal, aber manchmal klappt das eben nicht.

Sie haben, wie eben angeklungen, die Nachfolge von Athar Husain Khan angetreten, der im März 2023 überraschend im Alter von 60 Jahren gestorben ist. Wo möchten Sie an seine Arbeit anknüpfen und wo eigene Akzente setzen?

Ich habe größten Respekt vor Athars Lebenswerk. Er hat nicht nur in der Business Aviation, sondern in der gesamten Luftfahrt tiefe Spuren hinterlassen. Was ich vorgefunden habe, ist ein organisatorisch exzellent aufgestellter Verband mit einem motivierten Team. Ich habe lange überlegt, wie geht man mit seinem Erbe um? Wo kommt man darauf zurück? Darauf habe ich keine Antwort. Jetzt schauen wir nach vorn. Zum einen müssen wir EBACE und AIROPS unter veränderten Rahmenbedingungen erfolgreich fortführen. Die EBACE ist salopp gesagt die große Flugzeugshow, die AIROPS, die im Februar in Brüssel stattfand, auf Bodendienstleister zentriert. Meine Aufgabe ist es auch, die Interessenvertretung gegenüber Politik und Öffentlichkeit zu stärken. Wir müssen politische Diskussionen bestehen und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Dafür muss die EBAA lauter und sichtbarer werden. Mein Eindruck ist, dass viele Mitglieder die EBAA vor allem als Veranstalter der EBACE sehen; das allein wird dem Verband aber nicht gerecht. Als kleiner Sektor innerhalb der Luftfahrt müssen wir in einem gesellschaftlich und politisch schwieriger werdenden Umfeld eine laute Stimme sein.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit EBAA-Präsident Jürgen Wiese aus?

Eines vorab: Ohne die Mitarbeiter der Geschäftsstelle in Brüssel würde bei der EBAA nichts funktionieren. Meine Aufgabe ist es, dieses Team anzuleiten. Das Amt des Generalsekretärs ist eine hauptamtliche Leadership-Aufgabe. Ich muss die unterschiedlichen Erwartungen und Interessen lenken und ausgleichen, die es in einem Verband wie der EBAA, die alle Sparten der Business Aviation vereint, nun mal gibt. Jürgen Wiese und ich stehen dabei in enger Abstimmung. Ich nehme ihn als erfahrenen und engagierten Präsidenten wahr, der den Blick fürs Ganze bewahrt. Er ist derjenige, der den Vorstand und die Mitglieder nach außen repräsentiert. Dabei darf man nicht vergessen, dass er ein Ehrenamt ausübt, denn hauptberuflich leitet er den BMW-Flugdienst.

Auf welchen europäischen Ebenen vertreten Sie die Interessen der Business Aviation? Welche Ziele verfolgen Sie im Sinne der Branche?

Der Fokus unseres Verbands liegt bei den gesetzgebenden Institutionen. Da ist die EU-Kommission, die Gesetze, also Richtlinien und Verordnungen, initiativ erarbeitet. Dann gibt es Parlament und Rat als gesetzgebende Instanzen. Darüber hinaus agieren wir mit der europäischen Luftfahrtbehörde EASA und Eurocontrol. Wir sind in Arbeitsgruppen vertreten und stehen im Austausch über Sicherheits- und Luftraumfragen. Wichtig fürs Verständnis ist, dass die Interessen der Business Aviation von den Regulierern gelegentlich als nachrangig betrachtet werden. Je nachdem, welches Jahr man als Grundlage nimmt, ist die Branche mit sieben Prozent Marktanteil nur ein kleiner Sektor in der Luftfahrt. Gerade deshalb müssen wir uns gegen die großen Fluggesellschaften behaupten, die oft Rückendeckung von den beteiligten Regierungen bekommen. Vor allem bei großen Themen wie dem Klimaschutz ist es wichtig, dass wir – da wiederhole ich mich – lauter sind als andere. Leider gibt es in Europa zu viele Politiker, die Verbote und Restriktionen als probates Mittel verstehen. Egal, ob Klima-, Umwelt- oder Lärmschutz – es gibt viele Aktionen, auf denen Verbote und Restriktionen als Claim draufstehen.

Was ist derzeit das Topthema?

Für unsere Mitglieder ist entscheidend, dass die Flughäfen zugänglich sind. Genau das wird immer öfter infrage gestellt: Nahezu täglich sind wir damit konfrontiert, dass Regierungen und Behörden den Zugang zu Flughäfen für die Business Aviation limitieren wollen. Das ist ein Punkt, wo die EBAA im Sinne einer fairen Behandlung gegensteuert. Prominentes Beispiel ist Amsterdam, wir haben das aber auch in Dublin erlebt. Gelegentlich sind auch neue Steuern und Gebühren speziell für die Geschäftsluftfahrt im Gespräch. Dann muss man die Politiker daran erinnern, dass man eine Geschäftstätigkeit nicht gleichzeitig besteuern und verbieten kann. Um den Zugang zu Airports zu sichern, agieren wir auf nationaler Ebene. Die EBAA unterstützt die nationalen Verbände bei ihren Gesprächen mit Daten und Argumenten. So konnten wir schon manches abwenden: In der Schweiz wurde eine Gebühr für die Business Aviation gekippt, und auch Dublin ist weiterhin offen.

Die Business Aviation steht im Kreuzfeuer der Kritik als vermeintlicher Klimasünder. Was sollte die Branche Ihrer Ansicht nach dafür tun, um ihr Image aufzupolieren?

Wir müssen besser kommunizieren. Dass die Geschäftsluftfahrt als besonderer Klimaschädling betrachtet wird, rührt aus der Betrachtung der CO2-Emissionen pro Passagier. Tatsache ist, dass unser Geschäft darin besteht, überwiegend mit kleinen Flugzeugen mit geringen Kapazitäten zu operieren. Das führt aber nicht dazu, dass die Geschäftsluftfahrt besonders klimaschädlich ist. Für die Wirkung aufs Klima muss man jedes Gramm CO2 gleich betrachten und regulatorisch gleich behandeln. Die Geschäftsluftfahrt steht global betrachtet für 0,04 Prozent der CO2-Emissionen. Würde man sie in Europa verbieten, wäre die Wirkung aufs Klima nicht messbar. Allerdings würden wir 400 000 Arbeitsplätze zur Disposition stellen, es würden zeiteffiziente Direktverbindungen gekappt und die Infrastruktur für medizinische Flüge abgebaut. Man sollte über Wege reden, die Geschäftsluftfahrt nachhaltiger zu machen. Verbote führen jedoch zu wirtschaftlichem und sozialem Schaden. Auch sollten wir ins Bewusstsein rufen, dass die Geschäftsluftfahrt schon immer Labor für neue Technologien gewesen ist. Innovative Triebwerkstechnik und Winglets sind Beispiele dafür, wie sich Effizienz erhöhen und Emissionen reduzieren lassen. Oft werden zuerst Innovationen in der Geschäftsluftfahrt ausprobiert, um dann in die gesamte Luftfahrt übertragen zu werden. All das würde bei einem Verbot wegfallen.

Ist das Netto-Null-Ziel bei den Treibhausgas-Emissionen bis 2050 für die Business Aviation überhaupt zu erreichen?

Ja, die Ziele sind erreichbar, aber das bedarf einiger Anstrengungen. Wir bekennen uns dazu, dass nachhaltig produzierte Kraftstoffe, Sustainable Aviation Fuels, schneller in die europäische Geschäftsluftfahrt implementiert werden, als es die Regulierung ReFuel EU vorsieht. Unser Plan: 5 Prozent bis 2025, 20 Prozent bis 2030, 60 Prozent bis 2040, 80 Prozent bis 2045 und 100 Prozent bis 2050. Wir sind also bereit, mehr zu machen, als es die EU-Gesetzgebung vorschreibt, weil wir anerkennen, dass wir als Business Aviation unter besonderer Beobachtung stehen und weil die Branche weniger preissensitiv ist als eine – provokativ gesagt – Billig-Airline. Die EU-Kommission ist in der nächsten Legislaturperiode gefragt, Marktinstrumente zu erlauben, die ein flexibles Inverkehrbringen dieser Kraftstoffe ermöglichen. Diese Kraftstoffe müssen flächendeckend verfügbar gemacht werden. Wir sind auch der Elektrifizierung der Luftfahrt gegenüber positiv eingestellt, denn sie passt in unsere Nische: Eher kurze Legs von ein bis zwei Stunden sind typisch für Flüge innerhalb Europas. Ich denke, dass wir dazu im Mai auf der EBACE in Genf einige sehr spannende Konzepte sehen werden.

Als EU-Abgeordneter haben Sie an den Regeln für den europäischen Zertifikatehandel mitgewirkt. Für wie wirkungsvoll halten Sie dieses Instrument?

Grundsätzlich halte ich den Emissionshandel für das wirksamste Klimaschutzinstrument, weil er Anreize zur Emissionsminderung setzt. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen – Verbote von Produkten und Technologien – ist der Emissionshandel stets der kosteneffizienteste Weg. Deswegen sollten wir als Luftfahrt, nicht nur als Geschäftsluftfahrt, das System als das herausstellen, was es ist: der Schlüssel zur Emissionsminderung. Leider funktioniert die Realität nicht wie ein akademisches Reißbrett. Ein internationaler Emissionshandel über Europa hinaus, wie er wünschenswert wäre, ist kaum durchsetzbar. Das muss man bei der Gestaltung des europäischen Emissionshandels berücksichtigen: Es ist nicht immer das ambitionierteste und strengste Instrument, das den sinnvollsten Standard setzt. Die EU, die sich gerne als Vorreiter für Klimaschutzstandards sieht, muss jetzt demonstrieren, dass der Emissionshandel ein langfristig berechenbares Instrument für alle Wirtschaftsakteure ist.

Nach dem Boom in Folge von Corona ist die Business Aviation wieder im Normalmodus angekommen. Wohin steuert die Branche?

Was wir sehen, ist ein "Back to normal". Man darf die Corona-Jahre nicht als Maßstab für eine Entwicklung sehen – die Pandemie war ein Ereignis, mit dem niemand gerechnet hat. Es gab quasi ein Grounding von allen Flugzeugen, und es war die Geschäftsluftfahrt, die als erstes wieder gestartet ist. Inzwischen sind wir zu einer Größenordnung von sieben Prozent des Marktes zurückgekehrt. Die Geschäftsluftfahrt folgt gesamtwirtschaftlichen Trends. Wenn die Konjunktur boomt, wird mehr mit dem Business Jet geflogen. Schwächelt sie, wird weniger geflogen. Deshalb muss es in unserem Interesse sein, die Rahmenbedingungen für ein wettbewerbsfähiges Europa zu verbessern. Wenn uns die Politiker fair behandeln und als essenziellen Bestandteil des Luftverkehrs akzeptieren – Stichwort: Zugang zu Flughäfen –, mache ich mir um die Prosperität des Sektors keine Sorgen.

Schauen wir auf die EBACE. Welche thematischen Schwerpunkte werden die EBAA und die amerikanische NBAA als Veranstalter setzen?

Wir werden im Mai eine spannende und unterhaltsame EBACE in Genf erleben. Wir dürfen von den klassischen Herstellern einiges erwarten, wir setzen aber auch einen Fokus auf neue Technologien und neue Antriebssysteme. Das Netzwerk der Business Aviation erweitert sich um innovative Start-ups und Menschen mit Visionen. Die bekommen auf der Messe eine Bühne. Im vergangenen Jahr waren die Besucherzahlen wieder auf dem Niveau von 2019 vor Corona.

Zuletzt war Gulfstream als einer der führenden Hersteller bei der NBAA-BACE nicht dabei und wird voraussichtlich nicht zur EBACE kommen. Gibt es Gespräche, um das zu ändern?

Wir sind im Gespräch mit allen Herstellern. Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass sich der Charakter von Messen im Zeitalter der digitalen Kommunikation verändert. Vieles geht heutzutage auf anderen Kanälen preiswerter und mindestens genauso zielgerichtet. Dennoch werden Messen als Marktplatz und Ort der Begegnung, des Diskutierens und Austauschs wahrscheinlich sogar wichtiger. Letztendlich haben auch Hersteller wie Gulfstream, die selbst keine Flugzeuge ausstellen, ein Interesse daran, dass Messen wie die EBACE attraktiv bleiben, denn sie sind eine Branchen- demonstration nach außen.

Genf ist wegen des hohen Preisniveaus nicht bei allen Beteiligten beliebt. Gibt es Überlegungen, einen anderen Standort zu suchen?

Ich kenne keine Messe, wo nicht Aussteller oder Besucher über Kosten klagen. Kosten sind jedoch nur ein Aspekt in einem Bündel von Rahmenbedingungen. Genf hat einen Vorteil, den kaum ein anderes Messegelände in Europa bieten kann, nämlich die Verknüpfung von Flughafen und Aus-stellungsfläche. Natürlich sind wir im Gespräch mit der NBAA als Mitveranstalter, wir reden mit Ausstellern, Mit- gliedern und der Messegesellschaft über die Zukunft der EBACE. Ich freue mich auf meine erste EBACE im Mai dieses Jahres als neuer Generalsekretär der EBAA.

Das Interview entstand im Vorfeld der EBACE 2024 und ist erstmals in der Ausgabe aerokurier 5/2024 erschienen.