Wenn man als Pilot auf den Funkknopf drückt, beispielsweise, um den Gegenanflug zu melden oder sich eine Startfreigabe zu holen, beginnen hinter dem Panel etwa 1000 elektronische Bauteile zu arbeiten. Erst das Zusammenspiel von Mikrochips, Dioden und Kondensatoren ermöglicht die reibungslose Kommunikation, jedes Funkgerät ist heute ein kleines Hightech-Wunderwerk – von den vielseitigen und entsprechend komplex aufgebauten Navigationssystemen ganz zu schweigen. Um diese Geräte zu produzieren, brauchen die europäischen und US-amerikanischen Avionikhersteller elektronische Bauelemente, die sie auf dem Weltmarkt einkaufen. Und hier liegt einiges im Argen.
Tatsächlich hat der aktuell als "Chipkrise" bezeichnete Mangel an Halbleiterbauelementen zwei wesentliche Ursachen. Wie verschiedene Medien übereinstimmend berichteten, hatten insbesondere die Automobilhersteller zu Beginn der Corona-Pandemie ihre Chipbestellungen deutlich reduziert, da sie einen Rückgang bei der Fahrzeugproduktion infolge mangelnder Nachfrage und Covid-bedingter Produktionsstopps befürchteten. Gleichzeitig erlebte die Büro- und Unterhaltungselektronik infolge des Homeoffice-Booms und mehrerer Lockdowns einen ungeahnten Aufschwung, sodass die Chiphersteller ihre Bestände an diese Branchen lieferten und die Autoindustrie nach den ersten Corona-Wellen Schwierigkeiten hatte, wieder genügend Bauteile zu bekommen, um die unerwartet gestiegene Nachfrage nach Neufahrzeugen zu befriedigen. Anfang 2021 kamen dann Naturkatastrophen hinzu, die die Produktion von Chips zeitweise nahezu zum Erliegen brachten. In Taiwan sorgte eine Dürre für Probleme in der Wasserversorgung der Fabriken, in Japan trafen ein Erdbeben und Brände in Chipfabriken die Hersteller nicht weniger hart. Schließlich legten schwere Winterstürme in den USA einen Teil der Stromversorgung von Texas lahm, was nicht nur einen Stopp der Produktion erzwang, sondern auch Schäden an den Maschinen und der Infrastruktur der Werke verursachte. Samsung, NXP und Infineon mussten damals ihre US-Produktion zeitweilig aussetzen, die japanischen Konzerne Renesas und Shin-Etsu kamen ebenfalls in Verzug.

Avionikhersteller in Schwierigkeiten
Wenngleich die meisten Medien die Chipkrise vorrangig auf die Automobilindustrie projizieren, sind inzwischen nahezu alle Branchen betroffen – auch die Avionik. "So gut wie alles, was wir einkaufen, von der Schraube bis zu Halbleitern, ist sowohl massiv teurer als auch schlechter lieferbar", beklagt Marc Förderer, Geschäftsführer von Air Avionics. "Manche Komponenten, die sonst innerhalb von acht Wochen lieferbar sind, haben Bestellzeiten von bis zu eineinhalb Jahren!" Daraus, so Förderer, ergäben sich Fertigungsverzögerungen für alle Geräte vom Funkgerät über Transponder bis hin zu den Displays. Nur durch geschickten, teilweise massiv teureren Einkauf, eine umfangreiche Lagerhaltung und rechtzeitiges Reagieren bereits vor einem Jahr sei das Unternehmen aktuell überhaupt lieferfähig. Bei AirAvionics rechnet man frühestens gegen Ende 2022 mit einer Erholung. "Bis dahin wird es eher noch schlimmer", so Förderer.
"Die Bauteilprobleme fingen bereits im zweiten Halbjahr 2020 an", sagt Dr. Thomas Wittig, Managing Director bei Funke Avionics. "Aktuell trifft uns das noch nicht zu sehr, da wir Rahmenverträge mit Lieferanten bereits für die nächsten zwei bis drei Jahre abgeschlossen haben und die Bauteilbeschaffung zum größten Teil bereits erledigt ist. Problematisch ist die Lage aber bei neuen Produkten." Das Hauptproblem sei die Beschaffung von Bauteilen wie integrierten Schaltkreisen, also klassischen Chips; aber auch Standardbausteine, die bislang für zwei bis drei Euro zu haben waren, seien nun nur mit Lieferzeiten von einem Jahr und mehr zu haben oder alternativ über Broker für das 20- bis 30-Fache des sonst üblichen Preises.
Ähnliche Klagen hört man von Becker Avionics aus Rheinmünster: "Im Moment sind hauptsächlich Bauteile wie ICs und Transistoren schwer zu bekommen", sagt Michael Kunz, Director of Supply Chain bei Becker. "Wir haben diesen Trend bereits sehr früh erkannt und durch rechtzeitiges Aufstocken unseres Lagerbestands darauf reagiert.Das hat uns sehr geholfen, nicht in Lieferprobleme mit unseren Endgeräten zu geraten." Von Seiten der Lieferanten würde vor allem der Rohstoffmangel als Grund für die Verzögerungen angeführt, so Kunz, wobei der Ärger parallel zur Corona-Pandemie begonnen habe. "Vorher hatten wir kaum Probleme mit der Beschaffung bzw. den Lieferzeiten für unsere Bauteile." Selbst Platzhirsch Garmin ist nicht sicher vor den Lieferschwierigkeiten in globalen Herstellungs- und Lieferketten. "Wir haben bereits Anfang 2021 erste Probleme bei der Beschaffung gehabt, aber die Auswirkungen sind in letzter Zeit deutlicher geworden, weil die Situation sich hinzog", sagt Jim Alpiser, Director of Aviation Aftermarket Sales bei Garmin. "Wir haben unsere Investitionen in den Lagerbestand immer als Vorteil für unsere Kunden genutzt, aber die langanhaltenden Auswirkungen einiger Lieferkettenengpässe haben einige dieser Sicherheitsvorkehrungen an ihre Grenzen gebracht." Besondere Auswirkungen habe die Chipkrise bei Garmin auf nachrüstbare GPS- sowie Nav/Com-Geräte und Transponder. Hinzu komme, dass sich die Umstände schnell und dynamisch änderten, wobei die eigenen Ingenieure, das Lieferkettenteam und die Lieferanten dauernd versuchten, Lösungen finden. "Es ist schwer, mit Sicherheit vorherzusagen, wann sich das alles wieder normalisiert", so Alpiser. "Die Situation ändert sich ständig, aber wir gehen davon aus, dass wir bis ins Jahr 2022 mit weiteren Herausforderungen konfrontiert sein werden, auch wenn wir hart daran arbeiten, Teile oder auch alternative Teile mit allen verfügbaren Mitteln zu beschaffen oder gar Produktumgestaltungen zu prüfen."
Doch nicht nur die Hersteller stehen angesichts der aktuellen Lage vor Problemen, auch Werft- und Reparaturbetriebe wie beispielsweise Avionik Straubing spüren die Auswirkungen der Krise. "Die Lieferzeit von Geräten führender Hersteller wie Garmin, Aspen etc. liegt aktuell zum Teil bei mehr als sechs Monaten", erklärt CEO Gunter Hemmel. Allerdings habe Avionik Straubing einen gewissen Vorlauf bei den Bestellungen, sodass bis Mitte 2022 der normale Betrieb sichergestellt sei. Was die Ursachen der Krise angeht, vermutet Hemmel nicht nur den Engpass bei Bauteilen als alleinigen Grund. "Die Transport- und Lieferketten sind durch Corona in Mitleidenschaft gezogen worden, auch das Fehlen von qualifiziertem Personal in vielen technischen Wirtschaftszweigen dürfte jetzt seine Auswirkungen zeigen." Außerdem habe auch seine Firma mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen: Viele Krankmeldungen, Homeoffice, Quarantäne. "Da sind Wartezeiten für die Kunden nicht vollständig auszuschließen."

Ende der Krise ist kaum absehbar
Wenngleich die Avionikhersteller auf eine Normalisierung Anfang 2023 hoffen, ist keineswegs klar, ob die Chipkrise bis dahin tatsächlich überwunden werden kann. Wann die ursprünglichen Fertigungskapazitäten wieder erreicht werden, ist kaum vorherzusagen, ebenso, wie sich mögliche weitere Corona-Wellen auf die Produktion und die Lieferketten auswirken. Den Unternehmen bleibt nur, das Beste aus der Situation zu machen, denn um selbst eine aktive Rolle bei der Neugestaltung der Warenströme zu spielen, sind sie im Gegensatz zur Automobilindustrie oder der Unterhaltungselektronik einfach zu klein.