Es ist einer der schlimmsten Albträume für jeden Hubschrauberpiloten: das sogenannte Mast Bumping. Dabei kommt es durch ein plötzlich verringertes Lastvielfaches zum Aufschlagen des Rotorkopfes an den Rotormast. Die Folgen sind meist verheerend und führen in der Regel zum totalen Kontrollverlust. Hubschrauber von Robinson Helicopters sind auffallend häufig betroffen.
Ein Hubschrauber dieses Herstellers, eine R44 Raven II, steht am 17. Oktober 2021 startbereit auf dem Verkehrslandeplatz Herzogenaurach im nördlichen Bayern. An Bord sind der Pilot und zwei Passagiere. Die Bedingungen für einen Sichtflug sind hervorragend: Es ist ein sonniger Herbsttag mit leichter, hoher Bewölkung. Der Wind weht nur schwach, trotz leichtem Dunst reicht die Flugsicht über zehn Kilometer weit.

Der Pilot ist mit rund 200 Flugstunden im Hubschraubercockpit zwar noch vergleichsweise unerfahren. Doch der 61-Jährige hat davon 186 Stunden auf der Robinson R44 gesammelt und ist mit diesem Muster daher sehr vertraut. Auch seine letzte Befähigungsüberprüfung hat er neun Tage zuvor auf der R44 absolviert. Gegen Mittag hebt der Viersitzer in Herzogenaurach ab. Der Pilot meldet zunächst einen lokalen Rundflug. Offenbar plant er jedoch einen Streckenflug nach Speyer. In seinem iPad hat er die Route bereits eingegeben.
Nach dem Start dreht die Raven tatsächlich auf einen Kurs nach Westen Richtung Speyer. Auf dem Weg über den Odenwald umfliegt sie mehrere Kontrollzonen und Fallschirmsprunggebiete. Nahe der Ortschaft Schweinberg kreist der Pilot über einem Acker, auf dem ein abgeerntetes Mais-Labyrinth in Form mehrerer Figuren zu sehen ist. Wenige Minuten später, rund fünf Kilometer nordwestlich der Stadt Buchen, geht der Hubschrauber dann in einen steilen Steigflug über.

Ein mechanischer Knall
Nach dem Ausleiten des Steigflugs kündigt sich die Katastrophe mit einem "mechanisch klingenden Knall" an, wie Zeugen später berichten. Dabei falten sich die Rotorblätter offenbar nach oben. Einige Zeugen beschreiben die R44 in diesem Moment als "deformiert und irgendwie in sich verdreht". Andere Zeugen sprechen von einem Geräusch, das wie das "Zuschlagen einer Autotür" geklungen habe. Dabei sei "ein Teil oder das Heck des Hubschraubers" heruntergefallen.
Dann dreht sich die R44 zweimal um die Hochachse und kracht Augenblicke später zwischen den Ortschaften Stürzenhardt und Steinbach in ein Waldstück. Oberhalb des taumelnden Hubschraubers sei eine "glitzernde Wolke von Cockpitscheibenstücken, von Sonnenstrahlen reflektiert" zu Boden gegangen, so die weiteren Zeugenaussagen, die später bei der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) zu Protokoll gegeben werden.
Eine dunkle Rauchwolke weist den Ersthelfern kurz darauf den Weg zum Wrack der Raven, deren Kabine vollständig ausgebrannt ist. Mit Pulver-Feuerlöschern, die an einem Bauwagen in der Nähe liegen, gelingt es ihnen, den Brand schnell zu löschen. Für die Insassen kommt die Hilfe jedoch zu spät.
Der Pilot und ein Passagier sterben im Wrack. Den zweiten Passagier, der vorne links im Cockpit saß, finden die Ersthelfer rund 24 Meter vom Hauptwrack entfernt. Er wurde beim Absturz in der Luft aus dem Cockpit herausgeschleudert. Auch er verstirbt noch am Unfallort.

Das Trümmerfeld der R44 erstreckt sich über ein größeres Gebiet. Über 100 Meter in nordöstlicher Richtung vom Hauptwrack entfernt finden die Ermittler der BFU noch einzelne Teile, hauptsächlich von der Cockpitverglasung, sowie persönliche Gegenstände aus dem Cockpit, unter anderem das iPad des Piloten, das Moving-Terrain-Navigationsgerät, Teile eines Instruments, Dokumente aus dem Hubschrauber und das linke Heckrotor-Steuerungspedal. Der Rumpf ist stark gestaucht, die Rohre sind teilweise gebrochen. Die Hülle des Rotormasts ist nach hinten abgeknickt. Der Rotormast selbst ist unterhalb der Taumelscheibe abgebrochen. Rotorkopf, Taumelscheibe, oberes Mastlager und Mast werden nahe der ausgebrannten Kabine sichergestellt. Sie sind für die Analyse des Unfallgeschehens von entscheidender Bedeutung. Das Ergebnis einer genauen Untersuchung der Trümmerteile zeigt: Der Rotormast ist im Bereich des Rotorkopfes deutlich sichtbar eingedrückt. Für die Ermittler sind die Spuren eindeutig: Sowohl am Rotormast als auch am Rotorkopf weist alles auf dieselbe Ursache hin: Mast Bumping. Dabei schlägt der Rotorkopf im Flug gegen den Rotormast. Dies geschieht infolge einer abrupten Verringerung des Lastvielfachen, auch Low-g-Situation genannt. Auslöser ist eine kurze Entlastung des Rumpfs von der Rotorblattebene. Der Hubschrauber reagiert durch das Zusammenwirken von Heckrotor und Drehmoment mit einer schnellen Rollbewegung nach rechts. Häufig versuchen Piloten in dieser Situation instinktiv durch einen kräftigen Steuerimpuls nach links zu korrigieren. Dadurch kippt die Rotorblattebene nach links. Der Rumpf folgt dem Kippen aufgrund der kurzzeitigen Schwerelosigkeit gar nicht oder sehr verzögert. Dann schlägt der Rotorkopf unter Umständen gegen den Rotormast. Dabei können die Rotorblätter im schlimmsten Fall vorn in die Kabine oder hinten in den Heckausleger einschlagen. Besonders anfällig für Unfälle dieser Art sind Muster mit nur zwei Rotorblättern. Gerade bei Robinson-Helikoptern kam es Mitte der 90er Jahre zu einer Serie von Unfällen. Sowohl die zweisitzige R22 als auch der fünfsitzige Turbinenhubschrauber R66 und die R44- Modelle waren davon betroffen. Alle haben einen zweiblättrigen Hauptrotor mit zentralem Schlaggelenk am Rotorkopf.

Wer saß am Steuer?
Eine Low-g-Situation kann auf unterschiedliche Arten entstehen: Starke Turbulenzen können ebenso ursächlich sein wie technische Probleme, Steuerfehler oder gefährliche Manöver. Bei dem Absturz im Odenwald scheinen Turbulenzen jedoch nicht der Auslöser gewesen zu sein. Dagegen schließen die Ermittler nicht aus, dass der vorne sitzende Passagier kurz vor dem Unfall die Kontrolle über den Helikopter übernommen hatte. Auf seinem Platz waren Pitch und Stick nicht ausgebaut, was eigentlich mit wenigen Handgriffen machbar gewesen wäre. Möglicherweise hatte der Pilot seinem Fluggast direkt vor dem Steigflug das Steuer überlassen. Der Passagier könnte den Hubschrauber dann versehentlich in die Low-g-Situation manövriert haben.