Wer schon mal in einem Naturschutzgebiet wandern war, kennt solche Szenen: Trotz unübersehbarer Hinweisschilder, sich nicht abseits der Wege aufzuhalten, sind einige "Naturfreunde" genau dort fröhlich bei einem Picknick oder haben sogar ein kleines Feuer zum Grillen angezündet. Warnhinweise gibt es auch in den ICAO-Luftfahrtkarten, damit Piloten keine Kontrollzonen durch- oder Mindestflughöhen unterfliegen. Bei jeder Flugplanung sollte das peinlich genau beachtet werden.
Trotzdem kann man in schöner Regelmäßigkeit Flugzeuge beobachten, die genau dort unterwegs sind: abseits der erlaubten Lufträume. Bei einem Rundflug über dem Ruhrgebiet im Spätsommer 2022 haben ein UL-Pilot und sein Passagier einen solchen Flug jenseits der Limits mit ihrem Leben bezahlt.
Der Unfallflug: Zu tief, zu langsam, zu riskant
Am 4. September treffen sich beide auf dem Verkehrslandeplatz Dinslaken/Schwarze Heide, um zu dem vereinbarten Rundflug aufzubrechen. Der UL-Pilot hat seine Lizenz bereits im Jahr 2004 erworben und gilt mit geschätzt 2000 Flugstunden als sehr erfahren. In der Vergangenheit war er auch als Fluglehrer aktiv, seine Lehrberechtigung hat der 51-Jährige jedoch Ende 2020 auslaufen lassen und nicht mehr erneuert.
Die Route der geplanten Sightseeing-Tour soll zunächst nach Duisburg übers Wedau-Stadion führen und dann weiter über einen Zirkus, der gerade auf dem nordöstlich angrenzenden Gelände gastiert. Der UL-Pilot und sein Fluggast starten um 14:30 Uhr in Dinslaken und nehmen mit dem UL des Typs Flight Design CTSW direkt nach dem Take-off Kurs Richtung Duisburg.
Rund 15 Minuten nach dem Start überfliegt das UL in geringer Höhe das Duisburger Stadion. Die CTSW kreist dabei offenbar in nur 50 Metern über dem dicht bebauten Gelände. Unweit des Zirkuszelts, das auf der Route liegt, leitet der Pilot bei deutlich reduzierter Fahrt eine Linkskurve ein.

Crash mit Ansage: Über Leitwerkdicht bebautem Gebiet nahe der Duisburger Innenstadt kreiste der UL-Pilot in geringer Höhe. Wegen eines Strömungsabrisses verlor er die Kontrolle über sein Fluggerät.
Dabei erhöht er zunächst die Längsneigung des Ultraleichtflugzeugs, möglicherweise um Fahrt aufzunehmen. Doch in diesem Moment kippt die CTSW bereits über die linke Tragfläche ab und stürzt aus rund 30 Metern fast senkrecht ab. Der Pilot hat aufgrund der geringen Höhe keine Chance, das UL noch abzufangen.
Die CTSW kracht um 14:50 Uhr zwischen mehreren Autos auf einen Parkplatz und geht in Flammen auf. Die Unfallstelle liegt in unmittelbarer Nähe zur Duisburger Innenstadt, südlich des Hauptbahnhofs auf dem Gelände eines ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs. Der Brand des Flugzeugwracks greift in der Folge auf mehrere in der Nähe parkende Autos über, bis die Feuerwehr eintrifft und die Flammen unter Kontrolle bringen kann.
Keine Überlebenschance
Pilot und Passagier überleben den Absturz nicht. Aus einer im Zuge der Ermittlungen durch die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Auftrag gegebenen Obduktion der Leichen geht hervor, dass der Pilot infolge eines Verbrennungstraumas, der Passagier an einem Polytrauma gestorben ist. In dem Gutachten heißt es: "Aufgrund der hohen Aufschlagsenergie und dem damit einhergehenden Brand war der Unfall nicht überlebbar."
Das Feuer greift auf insgesamt acht Autos über, die durch den Brand teilweise komplett zerstört werden. Die Trümmerteile des Flugzeugs liegen zwischen den ausgebrannten Autowracks verteilt. Die Zelle der CTSW, die hauptsächlich aus Faserverbundstoffen besteht, ist fast vollständig verbrannt. Einige noch erkennbare Strukturteile können als Rumpf, Seiten- und Höhenleitwerk sowie Tragflächen mit Querruder und Landeklappen identifiziert werden.

An der Unfallstelle brannten das Wrack und mehrere Autos aus.
Außerdem sind die Steuerstangen zumindest noch teilweise erkennbar. Die Flügelholmbrücke mit den beiden Verbindungsbolzen wie auch die Anlenkungen des Seiten- und des Höhenruders sind ebenfalls noch vorhanden und angeschlossen.
Darüber hinaus können die BFU-Ermittler aber kaum mehr als einige kleinere Teile wie die Ausgleichsgewichte für das Pendelhöhenruder und Teile des Seitenruders in dem Trümmerhaufen identifizieren.
BFU-Ermittlungen: Technik war wohl nicht das Problem
Hinweise auf ein technisches Problem, das den Absturz möglicherweise verursacht hat, sind meist am Triebwerk oder an den Kraftstoffleitungen zu finden. Der Motorblock wird daher zur Untersuchung vom Dach eines der ausgebrannten Autos geborgen. An der gesamten Antriebseinheit stellen die Ermittler starke Brandschäden und Verformungen fest. Sie deuten auf die große Hitzeentwicklung durch das Feuer hin.
Dennoch kann die BFU einen Triebwerksausfall mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen: An der Propellernabe sind lediglich noch die Faserreste der drei Propellerblätter zu sehen – ein Hinweis darauf, dass der Antrieb beim Aufprall noch lief. Zudem zeigen die Elektroden aller acht Zündkerzen ein unauffälliges, rehbraunes Verbrennungsbild.
Rätselhaft ist jedoch, warum der Pilot ein derart hohes Risiko einging und über einem dicht bebauten Gelände ohne die Möglichkeit einer Sicherheits- oder Notlandung die Mindestflughöhe deutlich unterschritt.
Die US-amerikanische Unfalluntersuchungsbehörde National Transportation Safety Board (NTSB) hat zum Thema "Strömungsabriss im Tiefflug" ein sogenanntes Safety Alert (SA) mit dem Titel "Prevent Aerodynamic Stalls at Low Altitude" veröffentlicht. Darin weist die Behörde auf große Sicherheitsrisiken bei Flügen in geringer Höhe hin:
"Beim Manövrieren eines Flugzeugs in geringer Höhe unter Sichtflugbedingungen (VMC) versäumen es viele Piloten, Situationen zu vermeiden, die zu einem aerodynamischen Strömungsabriss führen. Sie erkennen die Warnzeichen für einen beginnenden Stall nicht und ergreifen keine geeigneten Maßnahmen zur Behebung des Problems."
Falsche Show: Wenn Fliegen zur Selbstgefährdung wird
Außerdem weisen die Autoren des Safety Alert darauf hin, dass ein aerodynamischer Strömungsabriss bei jeder Fluggeschwindigkeit, in jeder Fluglage und bei jeder Triebwerksleistung auftreten kann. Insbesondere riskante und überflüssige Manöver sollte man also unterlassen. Auch an dieser Stelle werden die Autoren deutlich: "Fliegen Sie keine Manöver, um andere zu beeindrucken, weder Ihre Passagiere noch andere Piloten oder Personen am Boden."

Risiko fürs Publikum: Immer wieder geraten Piloten in gefährliche Situationen, weil sie vor Fluggästen oder für die Aufzeichnung einer Kamera überflüssige Show-Einlagen fliegen – besonders in geringer Höhe, mit fatalen Folgen.
Immer wieder fliegen Piloten auch riskante Show-Einlagen, um sie mit einer Bordkamera aufzuzeichnen und später in den sozialen Medien zu teilen oder als semiprofessionelle Clips im Internet zu veröffentlichen – eine Wette auf das eigene Leben. Das Safety Alert des NTSB betont: "Angeberei kann zur tödlichen Gefahr werden, da es die Aufmerksamkeit von der primären Aufgabe, das Flugzeug sicher zu steuern, ablenkt."
Besonders in geringer Höhe bleibt bei unsauber geflogenen Manövern kein Spielraum. Die Mindestflughöhen sind in Deutschland im Anhang "Luftverkehrsregeln der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 923/2012" unter SERA 5005 klar festgelegt. Dort ist definiert, welche Minima wo und wann gelten: "Außer, wenn dies für Start oder Landung notwendig ist (…), darf ein Flug nach Sichtflugregeln nicht durchgeführt werden:
- über Städten, anderen dicht besiedelten Gebieten und Menschenansammlungen im Freien in einer Höhe von weniger als 300 Metern (1000 Fuß) über dem höchsten Hindernis innerhalb eines Umkreises von 600 Metern um das Luftfahrzeug,
- in anderen als in Nummer 1 genannten Fällen in einer Höhe von weniger als 150 Metern (500 Fuß) über dem Boden oder Wasser oder 150 Metern (500 Fuß) über dem höchsten Hindernis innerhalb eines Umkreises von 150 Metern (500 Fuß) um das Luftfahrzeug."
Der Pilot der CTSW hatte diese Minima so extrem unterschritten, dass er auf den Strömungsabriss nicht mehr wirksam reagieren konnte. Der Höhenverlust einer CTSW beim Recovern beträgt bei maximal 25 Grad Längsneigung bis zu 50 Meter. Nach Zeugenaussagen flog der Hochdecker zum Zeitpunkt des Strömungsabrisses deutlich niedriger.
Möglicherweise kippte das UL infolge zu geringer Fahrt mit gekreuzten Rudern über die Fläche ab. Mit ausreichend Höhenreserve hätte der Pilot mit voll ausgeschlagenem Seitenruder gegen die Drehrichtung und neutral gehaltenem Höhen- und Querruder das UL noch abfangen können.
Trotz der geringen Flughöhe hätte das Rettungsgerät den Aufschlag zumindest erheblich dämpfen können. Im Handbuch wird darauf hingewiesen, dass es auch dann im Notfall aktiviert werden sollte. Der CTSW-Pilot hatte das Rettungssystem jedoch nicht mehr ausgelöst.