Dass Piloten mitunter prall gefüllte Taschen zu ihrem Flugzeug schleppen, bevor sie endlich bereit zum Abflug sind, ist nicht neu. Auch Ilka Armitter stapft mit einem großen Beutel, in dem anscheinend allerhand Flugutensilien verstaut sind, über die Segelflug-Startstelle am Flugplatz Kaufbeuren. Doch als sie die Haube ihrer Ka 6E abnimmt und anfängt auszupacken, beginnt ein für Außenstehende kurioses Schauspiel: Zunächst zieht die 32-Jährige eine Leinwand im Betttuch-Format hervor und stopft sie in einen gelben Müllsack. Den verstaut sie säuberlich im Gepäckfach ihres Flugzeugs. Als Nächstes kommen aus dem Equipment-Beutel kleine, mit Acrylfarbe gefüllte Marmeladengläser und Tupperdosen zum Vorschein. Ilka nimmt den Deckel des ersten Glases ab, prüft den Farbton und stellt es in den Beutel. Eine Farbdose folgt dem Glas. Zwei Farben sind es heute: Grün und Blau. Noch einmal prüft sie die Lage der Leinwand im Beutel. „Die muss faltig und locker liegen, sonst verteilt sich die Farbe nicht richtig und klebt nur am Rand. Das sieht dann blöd aus und ich kann’s noch mal machen.“ Jetzt heißt es tief Luft holen, Schnute an den Beutel und kräftig pusten. Der Beutel bläht sich im Gepäckfach der Ka 6E auf, dann verschließt Ilka die Öffnung mit einem Knoten. „Fertig, kann losgehen.“
Jeder andere Pilot würde wahrscheinlich schon bei einer offenen Getränkeflasche im Cockpit Zustände bekommen – von Farbgläsern ganz zu schweigen. „Das Risiko muss ich eingehen. Irgendwann passiert’s bestimmt mal, dass der Beutel reißt und ich dann die Farbe aus dem Rumpf kratzen kann. Berufsrisiko“, sagt Ilka, grinst und schwingt sich ins Cockpit. „Wenn’s Grün ist, dann passt das wenigstens zu den Gurten des Fliegers“, schickt sie noch feixend hinterher, bevor sie die Haube verriegelt und per Hand Startbereitschaft signalisiert.
Der Segler nimmt Fahrt auf, hebt ab und verschwindet in den Himmel. In der Platzrunde vollführt die Ka 6 einige abrupte Flugmanöver. Anstürzen, abfangen, Steilkurve. Einmal, zweimal, dreimal. Nach zehn Minuten setzt Ilka das Flugzeug weich ins Gras. „Eine Runde noch, das dürfte dann reichen“, sagt sie, und kurz darauf ist sie wieder in der Luft. Eine gute Stunde später, der Segler steht bereits in der Halle des LSV Kaufbeuren, zieht Ilka vorsichtig den Müllsack aus dem Gepäckfach, befreit Leinwand und Gläser und breitet das Tuch mit einem Schwung auf dem Hallenboden aus. Ein kritischer Blick, ein erstes Fazit. „Ganz okay, aber da muss noch eine zweite Lage Farbe drauf. Noch mal zwei Flüge oder so. Dann bekommt das mehr Tiefenwirkung.“
Kunstflug, ganz ohne Trudeln und Turns und Loopings – erst wenn man weiß, wie die Bilder von Ilka Armitter entstehen, wird klar, warum sie ihre Werke unter dem Namen „Flügelmacher“ bewirbt. „Deine Stücke vom Himmel“ lautet der Slogan, und das Wort Stücke bezieht sich hier bei Weitem nicht nur auf abstrakte – und ganz sicher gewöhnungsbedürftige – Bilder im Großformat. Denn für den stilbewussten Segelflieger hat Ilka eine ganze Kollektion an Schmuckstücken entworfen, angefangen von Ringen mit Segelflug-Motiven über Kettenanhänger mit Wolken bis hin zu Halsreifen, die Kunstflugspuren nachempfunden sind.
„Ich habe ursprünglich Lighting Design in Hildesheim studiert und für meine Diplomarbeit farbdynamische Timelines programmiert, die beispielsweise in Wartebereichen und medizinischen Untersuchungsräumen eingesetzt werden können“, erzählt die Segelfliegerin. Ein Stipendium nutzt sie für ein Auslandssemester in Menomonie, Wisconsin. „Dort gab es aber nichts, was irgendwie mit Lichtdesign zu tun gehabt hätte, und so habe ich mich in Goldschmiede-Kurse eingeschrieben.“ Eine Entscheidung, die sich Jahre später auszahlen wird.
Anfang 2011 kommt Ilka durch einen Freund zum Segelfliegen. „Mein Vater ist früher geflogen, und ich dachte eigentlich immer, dass Motorflug das einzig Wahre ist. Aber das Erlebnis, ohne Motorkraft in die Luft zu gehen, hat mich völlig umgehauen.“ Schon zur Mitte der Saison fliegt sie sich frei. Die Freiheit, die sie in der Luft spürt, fehlt ihr allerdings im Beruf. Im Oktober 2012 beginnt Ilka neben ihrem Job beim Lichtgiganten Philipps ein Studium der Intermedialen Kunsttherapie in Hamburg. „Meine Cousine war an Krebs erkrankt, und nicht zuletzt die Stunden, die ich bei ihr im Krankenhaus verbracht habe, haben mich zum Grübeln gebracht, was ich wirklich mit meinem Leben anfangen will. Und wenn man den Wunsch hat, Menschen zu helfen, und die Leidenschaft für Kunst addiert, landet man schnell bei der Kunsttherapie.“
Zur Kunst mit dem Flugzeug kam es dann mehr oder weniger zwangsläufig. „Es war Sommer, ich hätte eigentlich was fürs Studium tun müssen, und das bei schönstem Flugwetter. Also dachte ich mir, warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und das Segelflugzeug irgendwie künstlerisch nutzen.“ Anfangs packt sie kleine quadratische Leinwände und Farben in eine Box, mit der Zeit werden die Leinwände immer größer. Mitunter setzt Ilka dann noch den Zeichenstift an, so entsteht beispielsweise eine Reihe von Bildern, die Aresti-Symbole auf einem mit dem Flugzeug gemalten Hintergrund zeigen. Die Abschlussausstellung ihres Kunsttherapie-Studiums besteht dann auch mehrheitlich aus Bildern mit aviatischem Bezug – sei es im Hinblick auf die Herstellung oder die Motive.
Piloten, die mit abstrakter Kunst nichts am Hut haben, finden in Ilkas Schmucksortiment garantiert die passenden Alternativen, um ihre Leidenschaft gediegen und edel zur Schau stellen zu können. „Auch die Idee mit dem Segelfliegerschmuck war ein stückweit fremdbestimmt“, sagt die Künstlerin. „Klar wollte ich als Frau auch mal einen schönen Kettenanhänger haben, aber es gab eben nur die normalen Flugzeuge mit Öse dran und das war’s. Eine Freundin meinte dann nur, ich solle halt selbst welche entwerfen – immerhin hätte ich das ja während des Auslandssemesters gelernt. Recht hat sie, habe ich mir gedacht und losgelegt.“
Alles ist Handarbeit, verarbeitet werden Gold, Silber, Platin und Edelsteine vom Opal bis zum Diamant – auf Wunsch nachweislich fair gehandelt. Natürlich hat dieser Anspruch seinen Preis, den Kunden aber gerne bereit sind zu zahlen. Wer es etwas günstiger und trotzdem individuell mag, für den hat Ilka Armitter eine Handvoll Scribbles mit witzigen Motiven aus der Fliegerei beim Onlineshop Shirtlabor hochgeladen, sodass sich jeder sein Outfit im Flügelmacher-Design gestalten kann.
Bei aller künstlerischen Aktivität ist sogar noch etwas ganz Praktisches entstanden: die Undercover-Sonnenbrille. Dabei handelt es sich um ein Sonnenschutztuch aus Baumwolle, in das die Halterung für eine Sonnenbrille eingeschoben werden kann. „Mir gingen zwei Dinge total auf die Nerven“, sagt Ilka. „Erstens: die dämlichen Hüte, mit denen wir Segelflieger uns vor einem Sonnenstich schützen. Zweitens: die Bügel der Sonnenbrille, die entweder gedrückt oder die Sicht nach den Seiten eingeschränkt haben. Also hab ich ein bisschen rumprobiert und bin dann auf das Sonnenschutztuch mit Sonnenbrille gekommen. Ich habe einige Prototypen angefertigt und getestet – bei einer schlampig geflogenen Kurve ist mir die Ka 6 sogar mal ins Trudeln gefallen, und das Tuch hat gehalten! Jetzt gilt es, Betriebe zu finden, die die Undercover-Brille produzieren, damit alle Segelflieger, die genug vom Speckdeckel haben, davon profitieren können.“
aerokurier Ausgabe 11/2016
Porträt :Kunst-Flug oder Flug-Kunst
Dass Kunstflug nicht unbedingt mit Rollen und Loops zu tun haben muss, beweist Ilka Armitter. Sie ist Segelfliegerin und Designerin und bringt unter dem Namen „Flügelmacher“ ihre beiden Leidenschaften kreativ zusammen.
Zuletzt aktualisiert am 01.12.2016

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