Fliegen ohne Betriebsleiter: Die dezentrale Freiheit

Fliegen ohne Betriebsleiter
Dezentrale Freiheit

Veröffentlicht am 30.10.2024
Dezentrale Freiheit
Foto: Patrick Holland-Moritz

Die lang erwartete Revolution an Deutschlands Flugplätzen hat begonnen – beispielsweise in Bad Neuenahr-Ahrweiler (EDRA) in Rheinland-Pfalz, in Meschede-Schüren (EDKM) in Nordrhein-Westfalen und in Torgau-Beilrode (EDOG) in Sachsen. An diesen und weiteren Flugplätzen haben die zuständigen Behörden das Fliegen ohne Betriebsleiter genehmigt, wie eine nicht repräsentative Umfrage des aerokuriers unter einigen Landesluftfahrtbehörden in mehreren Bundesländern gezeigt hat. Wissen wollten wir unter anderem, wie viele Anträge fürs Fliegen ohne Betriebsleiter eingegangen sind und wie viele davon genehmigt bzw. abgelehnt wurden. Auch haben wir gefragt, welche Auflagen die Flugplatzbetreiber erfüllen müssen, um den Betrieb ohne "Türmer" genehmigt zu bekommen. Und schließlich: Wo können sich Piloten über die geänderten Verfahren informieren? So viel vorab: Fliegen ohne Betriebsleiter bedeutet nicht, dass generell kein Türmer mehr präsent ist. Teils wird die neue Praxis je nach Genehmigung nur zu Tagesrandzeiten oder unter der Woche ausgeübt.

Der Anfang: NfL 2023-1-2792

Rückblende: Mehr als zehn Jahre lang hatte sich die AOPA für diese neue Freiheit eingesetzt. Ein Schritt war die im April 2023 veröffentlichte NfL 2023-1-2792 über "Gemeinsame Grundsätze des Bundes und der Länder über das Feuerlösch- und Rettungswesen auf Flugplätzen", nach der keine in die Bedienung von Rettungsgerätschaften eingewiesene Person mehr während des Flugbetriebs präsent sein muss – ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Fliegen ohne Betriebsleiter besteht nach Auslegung einiger Luftämter allerdings nicht. Den Durchbruch brachte die am 30. April 2024 veröffentlichte NfL 2024-1-3106 "Grundsätze über die Betriebsleitung auf Landeplätzen und Segelfluggeländen ohne Flugverkehrsdienste" (ausdrücklich ohne das Wort "gemeinsame"). Damit hat das Verkehrsministerium den Weg fürs Fliegen ohne Flugleiter – der seitdem Betriebsleiter heißt – freigemacht. Flugplatzbetreibern wurde somit die Möglichkeit geboten, bei den zuständigen Landesluftfahrtbehörden Genehmigungen zu beantragen. Man ahnt es bereits: Die NfL steht im Zeichen des Föderalismus, eine bundesweit einheitliche Regelung war damit vom Tisch. Ganz neu ist das alles im Übrigen sowieso nicht, denn zum Beispiel in Hessen, so teilt es das Regierungspräsidium Darmstadt mit, "wird das Fliegen ohne Flugleiter bereits flächendeckend seit 2005 praktiziert. An die dort gemachten Erfahrungen wird nunmehr angeknüpft".

Einige Ämter sind schnell

Zu Redaktionsschluss Ende Oktober haben einige Behörden bereits eine Reihe von Genehmigungen erteilt, während andere noch nicht über die vorliegenden Anträge entschieden haben bzw. schlicht noch keine Anträge vorliegen haben. Bei der nordrhein-westfälischen Bezirksregierung Münster beispielsweise gingen 20 Anträge ein, von denen bislang elf Plätze einen positiven Bescheid erhielten. Die benachbarte Bezirksregierung in Düsseldorf hat indes noch nicht über die elf ihr vorliegenden Anträge entschieden. Sechs Genehmigungen, denen 15 Anträge gegenüberstehen, hat die Landesdirektion Sachsen erteilt. Der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz hat eine Genehmigung für den Sonderlandeplatz Bad Neuenahr-Ahrweiler an den dort ansässigen Luftsportverein zugestellt, in dem der Autor Mitglied ist. Darüber hinaus hat ein zweiter, nicht genannter Sonderlandeplatz einen positiven Bescheid erhalten. Sieben Anträge wurden bislang gestellt.

Simple Lösungen gefragt

Andere Luftämter haben noch keine Genehmigungen erteilt: Beim Luftamt Südbayern sind zwölf Anträge eingegangen, beim Regierungspräsidium Stuttgart vier, in Brandenburg und im hessischen Darmstadt waren es jeweils zwei und bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr haben "etwa zehn Prozent der rund 100 Flugplätze in Niedersachsen, für die es in Frage kommen würde", Anträge oder Voranfragen gestellt. Knapp fällt die Antwort vom Thüringer Landesverwaltungsamt in Weimar aus, wo "bisher keine Anträge für das Fliegen ohne Betriebsleiter eingegangen sind".

Die meisten Behörden sind offenbar um pragmatische, pilotenfreundliche Lösungen bemüht. So heißt es aus Stuttgart: "Es war uns wichtig, ein Vorgehen zu entwickeln, das die Antragstellung für die Flugplatzbetreiber einfach und die erforderlichen Änderungen durch die Landesluftfahrtbehörde schnell und unbürokratisch gestaltet. Daher haben wir mit dem Baden-Württembergischen Luftfahrtverband (BWLV) in einer Arbeitsgruppe an der Umsetzung gearbeitet. Ergebnis sind Formulare für Antrag und Betriebskonzept sowie Erläuterungen zu den Formularen." In Niedersachsen beispielsweise gebe es "einen intensiven Austausch zwischen unserer Behörde und den Flugplatzbetreibenden. Bei Landeplätzen muss die genehmigungspflichtige Landeplatzbenutzungsordnung auf den Betrieb ohne Betriebsleitung angepasst werden".

Bezirksregierung Münster

Änderung der Nebenbestimmungen

In der Praxis lesen sich die Genehmigungen oft unspektakulär – wenngleich, wie die Behörde in Niedersachsen erklärt, "genau genommen keine Genehmigungen für Betrieb ohne Betriebsleitung erteilt, sondern die bisherigen Nebenbestimmungen zur Flugleitung auf Antrag der Flugplatzbetreibenden entfernt" werden. Die Bezirksregierung Münster hat dem aerokurier einen anonymisierten Bescheid zukommen lassen: "Der Platzhalter hat gemäß § 53 Abs. 3 LuftVZO eine oder mehrere Personen als Betriebsleitung zu bestellen. Eine aktuelle Liste mit den Namen der bestellten Betriebsleitung ist in der Flugplatzakte aufzubewahren. Der Flugbetrieb darf auch in Abwesenheit der Betriebsleitung in Konformität mit dem Betriebskonzept in jeweils gültiger Fassung sowie gültiger Regularien stattfinden."

Die Behörde in Sachsen schreibt: "Flugbetrieb darf nur durchgeführt werden, wenn ein Flugleiter des Flugplatzbetreibers auf dem Flugplatz anwesend ist und den Flugplatzbetrieb sicherstellt. Auf die Anwesenheit eines Flugleiters kann verzichtet werden, sofern der Flugplatzbetreiber hierfür ein Verfahren festgelegt hat, welches von der Luftfahrtbehörde bestätigt wurde." Weiter heißt es: "Die Verfahren zum Flugbetrieb ohne Betriebsleiter werden in den Flugplatzbenutzungsordnungen festgelegt. Diese enthalten lokalen Regelungen, beispielsweise den Zugang zum Flugplatz, die Meldung von Flugbewegungen und die Zahlung von Entgelten."

Was ist mit gewerblichem Verkehr?

Die Frage nach der Möglichkeit von gewerblichem Verkehr ohne Betriebsleiter beantworten die meisten Behörden mit Verweis auf Einzelfallentscheidungen, während es aus Münster ein klares Ja gibt: "Bei Gewährleistung des Brandschutzes ist auch das Fliegen ohne Betriebsleiter für gewerbliche Flüge möglich." Keine Diskussionen gibt es über die Pflicht, das Gelände in einem betriebssicheren Zustand zu halten – diese Auf-gabe liegt weiterhin beim Platzbetreiber. So hat die Behörde dem Verein in Bad Neuenahr von der Behörde die Auflage erteilt, den Platz vor der ersten Flugbewegung eines Tages zu kontrollieren.

Für Piloten wird das Leben aber nicht in jeder Hinsicht einfacher, denn eine einheitliche Regelung zur Veröffentlichung der geänderten Verfahren gibt es nicht. Einige Behörden wie zum Beispiel Darmstadt streben eine Veröffentlichung in der AIP an, andernorts, etwa in Sachsen, wird mit Blick auf PPR-Regelungen ein Hinweis auf der Website der jeweiligen Plätze als ausreichend erachtet.

Hintergrund: Das darf der Betriebsleiter (nicht)

In den am 9. Oktober erschienen "Richtlinien für die Durchführung des Flugfunks auf Flugplätzen ohne Flugverkehrsdienste (Air Traffic Services)" wird deutlich, wie wenig Rechte der Betriebsleiter hat. Nicht ohne Grund wird dieser in der NfL 2024-1-3106 als "Erfüllungsgehilfe und privatrechtlicher Vertreter des Flugplatzbetreibenden" bezeichnet, der vor allem eines nicht darf: Im Sinne der alten Bezeichnung Flüge leiten. Das Schreiben nennt die wenigen erlaubten Sprechfunkinhalte. Durchgegeben werden dürfen etwa Hinweise auf Segelflug- oder Sprungbetrieb, eine Empfehlung über die aktive Piste oder Aufforderungen zu Positionsmeldungen. Erlaubt sind auch "Informationen zur Gefahrenabwehr". Mit der Information etwa über die (De-)Aktivierung von VFR-Sektoren endet die Kompetenz auch schon weitgehend. Exakte Angaben zum Wind sind ebenso wenig zulässig wie allzu detaillierte Angaben zum Wetter, die über eine grobe Beschreibung von Gewittern oder schlechten Sichten hinausgehen. Ebenfalls tabu: Die Übermittlung von QNH oder ATC-Frequenzen. Ebenfalls geregelt ist in der Veröffentlichung das Absetzen von Blindmeldungen durch den Piloten, wenn die Bodenfunkstelle nicht besetzt ist.

Übersicht: Wo das Fliegen ohne Betriebsleiter schon möglich ist *

Bezirksregierung Münster
Verkehrslandeplatz Altena-Hegenscheid (EDKD)
Verkehrslandeplatz Borkenberge (EDLB)
Verkehrslandeplatz Meschede-Schüren (EDKM)
Sonderlandeplatz Hagen Hof-Wahl
Sonderlandeplatz Hamm Lippewiesen (EDLH)
Sonderlandeplatz Paderborn-Haxterberg (EDLR)
Sonderlandeplatz Plettenberg-
Hueinghausen (EDKP)
Sonderlandeplatz Schameder (EDGQ)
Sonderlandeplatz Soest/Bad Sassendorf (EDLZ)
Segelfluggelände Büren am Schwalenberg
Segelfluggelände Hengsen-Opherdicke
Landesdirektion Sachsen
Verkehrslandeplatz Görlitz (EDBX)
Verkehrslandeplatz Roitzschjora (EDAW)
Verkehrslandeplatz Rothenburg/Görlitz (EDBR)
Sonderlandeplatz Pirna-Pratzschwitz (EDAR)
Sonderlandeplatz Torgau-Beilrode (EDOG)
UL-Gelände Pretzschendorf
Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz **
Sonderlandeplatz Bad Neuenahr-Ahrweiler (EDRA)

* Angaben der befragten Behörden
** Die Behörde hat Genehmigungen für zwei Sonderlandeplätze in Rheinland-Pfalz erteilt, von denen uns einer bekannt ist.