So entsteht ein Flugzeug - Besuch bei Aquila Aviation

Zu Besuch bei Aquila Aviation
Flugzeugbau in Handarbeit

Zuletzt aktualisiert am 23.05.2014

Jeder Handgriff ist standardisiert

Das Leben einer Aquila A 210 beginnt mit dem Wareneingang. Glas- und Kohlefasermatten auf sperrigen Rollen, eine Palette mit Rotax-Motoren oder vielleicht ein Karton voller Instrumente: Jedes Teil, das in einer Aquila verbaut ist, nimmt irgendwann seinen Weg durch das Tor zum Wareneingang. Erst wenn die Artikel geprüft sind, kommen sie ins Lager und zu gegebener Zeit in die Produktion.

Der Mann, der Abläufe wie diese kontrolliert, heißt Waldemar Sawenko. „Qualitätsmanagement“ nennt sich sein Arbeitsbereich beim Flugzeugbauer Aquila Aviation by Excellence mit Sitz im brandenburgischen Schönhagen. Mit Formularen von EASA und LBA ist Sawenko per du, Vorschriften und Paragrafen rund um den Flugzeugbau sind sein Metier. Wie ein roter Faden zieht sich das Qualitätsmanagement durch die Produktion des als VLA zertifizierten Composite-Tiefdeckers A 210. „Der Mensch ist von Natur aus faul, also ist bei uns jeder Handgriff festgelegt“, sagt der 38-Jährige aus Kasachstan, der uns in seinem nüchtern eingerichteten Büro mit Blick auf den Firmenparkplatz empfängt. Welche Werkzeuge werden verwendet? Welche Drehmomente sind vorgeschrieben? Welche Materialien kommen wann und wie zum Einsatz? „Verfahren“ heißen derart standardisierte Arbeitsweisen im Fachjargon. Läuft mal etwas nicht ganz rund oder gibt es vielleicht eine Möglichkeit, Dinge besser zu machen, füllen die Mitarbeiter entsprechende Ereignismeldungen aus, die früher oder später auf Sawenkos Schreibtisch auflaufen. „Wir haben schon so manche Fehlerquelle beseitigt.“

Auf 1200 Quadratmetern Fertigungsfläche entstehen im eigenen Gebäude 20 bis 24 Flugzeuge pro Jahr. Mehr als 160 Exemplare der A 210 wurden seit Beginn des Jahrzehnts gebaut (siehe Kasten). Knapp 50 Mitarbeiter zählt das Team. „Bis in den Sommer hinein sind die Auftragsbücher voll“, sagt Vertriebsmitarbeiter und Werkspilot Wolf-Rüdiger Kruhl.

Wir folgen der Treppe nach unten in die Halle für die Rumpf- und Flügelfertigung. Aus Harz, Härtern, Glas- und Kohlefasern entstehen die Einzelteile, die später zum ganzen Flugzeug vereint werden. Glasfasern sind der Werkstoff Nummer eins bei einer Aquila A 210. Hier und da finden Kohlefasern als Verstärkung Einzug in die Zelle. Flügel, Seitenleitwerk, Cowling und die Spanten erhalten zudem Schaumelemente für eine besonders leichte und steife Sandwichbauweise.

1200 Stunden Arbeit stecken in jedem Flugzeug

Norbert Krause ist einer der Mitarbeiter, die hier von Hand laminieren, ganz klassisch. Mit routinierten Handbewegungen widmet er sich gerade dem Bau der rumpfseitigen Auflagefläche für den Haubenrahmen. Ein paar Meter weiter fertigen seine Kollegen Jürgen Albrecht und Sven Ogiermann einen Holmsteg. Jeder Mitarbeiter kennt seine Bauteile aus dem Effeff, hat sie schon unzählige Male gefertigt und weiß, wie viele Lagen Gewebe in welcher Richtung laminiert werden müssen, um die strengen Vorgaben für Stabilität und Gewicht zu erfüllen. 500 Kilogramm Leermasse wiegt eine A 210 in Basisausstattung, verspricht der Hersteller seinen Kunden.

Die Mitarbeiter dokumentieren jeden ihrer Handgriffe schriftlich. Den Titel „Certifying Staff“ tragen jene Kollegen, die in einem ständigen Prozess prüfen, ob sich nicht doch irgendwo ein Fehler eingeschlichen hat. Auch gibt es regelmäßige Audits, also interne und externe Prüfungen der Abläufe.

Zehn Prozent Toleranz nach oben oder unten sind bei den Gewichten erlaubt. Ist die Abweichung zu groß, wird das Bauteil konsequent aussortiert, und die Suche nach der Fehlerquelle beginnt. Besonders gründlich ist der Check der Flügel, bevor deren Ober- und Unterschalen unabänderlich zusammengefügt werden. Gleiches gilt für die aus Halbschalen verklebten Rümpfe.

Produktionsleiter Ralph Schellhase, mit zehnjähriger Dienstzeit gehört er zu den alten Hasen im Betrieb, deutet auf blaue, bonbonförmige Harzproben. „Wir warten, bis das Harz ausgehärtet ist. Dann wird sein Zustand protokolliert, und erst am Schluss wird die Probe entsorgt.“ Auch bei diesem Arbeitsschritt geht es um Transparenz. Jedes Bauteil lässt sich anhand seiner Seriennummer zurückverfolgen.

In einem Nebenraum bereiten zwei Mitarbeiter eine Cowling auf den nächsten Arbeitsschritt vor. Sämtliche in ihren Formen frisch laminierten Bauteile werden mittels Vakuum unter einer Folie unter Druck gesetzt. Das so genannte Abreißgewebe nimmt dabei überschüssiges Harz auf. Jedes Gramm zählt im Flugzeugbau.
Nach dieser Prozedur geht es in den Temperkammer. „Mindestens 15 Stunden bei 56 Grad Celsius müssen die Elemente aushärten“, erklärt Schellhase. In einem Mini-Ofen werden die kleinen Teile auf Temperatur gebracht, die großen Komponenten kommen in einen großen Raum, der auch als Lackierkabine dient.

Endmontage. Lars Meyhak bereitet, geschützt durch eine Atemmaske, die Oberfläche eines Rumpfs mit der Schleifmaschine auf die Lackierung vor. Eine staubige Angelegenheit, die so gar nicht in die ansonsten blitzsaubere Halle passen will. Techniker montieren Motoren und Propeller, Avioniker tauchen in die halbfertigen Cockpits ab, um die Instrumente zu verkabeln. Manchmal wird in dieser Halle auch Hochzeit gefeiert: Das ist jener Moment, in dem sich Rumpf und Flügel zum Flugzeug vereinen.

Schwarz-rot-goldene Aufkleber mit dem Schriftzug „Handmade“ zieren manche Flugzeuge. „1200 Stunden Handarbeit stecken in jedem Flugzeug“, sagt Ralph Schellhase. Jede Aquila besteht aus 3000 größeren Teilen; zählt man die Kleinteile dazu, sind es mehr als 4000. Mindestens 165.000 Euro zahlt der Kunde für so viel handgemachte Technik.

"Qualität wird hier in Deutschland produziert"

„Warum fertigt ein Unternehmen ein derart arbeitsintensives Produkt wie ein Composite-Flugzeug am Standort Deutschland, der ja immer noch als vergleichsweise teuer gilt?“, wollen wir wissen. Die Antwort liefert Waldemar Sawenko: „Qualität wird hier in Deutschland produziert. Unsere hohen Anforderungen ließen sich in Osteuropa nicht ohne Weiteres erfüllen.“ Wolf-Rüdiger Kruhl ergänzt: „Wir leben und arbeiten in Deutschland. Mit dem Abbau von Arbeitsplätzen schaden wir uns doch nur selbst.“ Leiharbeiter sind übrigens keine Option, um Auftragsspitzen abzufedern, weiß Ralph Schellhase: „Selbst gut ausgebildete Facharbeiter brauchen mehrere Monate, bis sie sich in unsere Fertigung eingefunden haben.“

Aquila setzt auf eine möglichst hohe Fertigungstiefe im eigenen Haus – sämtliche Kunststoffteile mit Ausnahme der Kabinenhaube werden selbst fabriziert. Zugeliefert werden Instrumente, Beschläge, Motoren und Propeller.

Ortswechsel. In der Avionikabteilung zieren Vorlagen für verschiedene Kabelbäume die Wände. 500 bis 1000 Meter fein verzweigter Kabel stecken je nach Ausstattung in einer A 210. Vor dem Einbau ins Flugzeug prüfen die Spezialisten sämtliche Instrumente auf ihre Funktion.

Wartungsgeschäft als zweites Standbein

Spannend wird es bei Aquila Aviation immer dann, wenn frische Ideen das Produkt besser machen sollen. Sieben bis acht Ingenieure arbeiten in der Entwicklungsabteilung, darunter auch die Firmenmitbegründer Markus Wagner und Alfred Schmiderer. Als zertifizierter Entwicklungsbetrieb genießt Aquila einige Handlungsfreiheiten, dennoch können selbst vermeintlich kleine Änderungen einen großen Aufwand bedeuten, bis neue Verfahren entwickelt und in die Produktion eingebunden sind.

Als Beispiel nennt Wolf-Rüdiger Kruhl den roten Rand um die Trittfläche für den Einstieg, ein Wunsch seitens der Flugschulen. Dazu wird zunächst eine rote Fläche auf den Flügel lackiert, erst dann wird der Trittschutz aufgeklebt. Noch wesentlich aufwändiger waren die großen Projekte der vergangenen Jahre. So wurde die A 210 für den Nachtflug zugelassen, ein Schritt, der zu vielen Verbesserungen geführt hat. Auf Initiative eines Luftbildunternehmers gibt es das VLA heute zudem als fliegende Kameraplattform. Dazu musste unter anderem ein Loch in den Boden des Gepäckfachs integriert und die Abgasanlage modifiziert werden.

Produktion und Entwicklung sind das eine Standbein von Aquila, das Wartungsgeschäft und die eigene CAMO das andere. Mit wachsender Flottengröße steigt eben auch der Wartungs- und Reparaturbedarf. Werknummer 104, das vierte Serienflugzeug, steht gerade in der Endmontagehalle zum Triebwerkstausch. Auch Halter von Flugzeugen anderer Hersteller wissen den Service bei Aquila zu schätzen.

Bei der Kundenakquise konzentriert sich der Flugzeugbauer nicht nur auf den deutschen Markt, sondern schielt auch verstärkt auf  den ausländischen. Ein neu gewonnener Kunde ist beispielsweise eine Flugschule aus Perth in Australien, die in Kürze ihre dritte Aquila erhalten wird. „Im Sommer 2013 werden wir auch in Oshkosh dabei sein und auf dem US-Markt eine Offensive starten“, verrät Wolf-Rüdiger Kruhl. Die FAA-Zulassung für die A 210 liegt längst vor.

Bevor ein Flugzeug an den Kunden geht, steht eine letzte ausgiebige Qualitätskontrolle in der etwas abseits der Produktion gelegenen Halle C3 an. Dort warten die fertigen Flugzeuge auf ihre Auslieferung. Punkt für Punkt arbeiten Schellhase und Kruhl in einer zweistündigen Zeremonie eine umfangreiche Checkliste ab. Während des Erstflugs checkt Kruhl noch einmal alle Systeme auf Herz und Nieren.
Wenn am Ende des Tages der Kunde anklopft, um sein nagelneues Flugzeug nach Hause zu fliegen, ist mal wieder so ein Mo-ment, in dem Schellhase und Kruhl sicher sind, den richtigen Beruf gewählt zu haben: „Es ist einfach schön, dass es Menschen gibt, die sich so ein Flugzeug leisten möchten und können.“

Mit neuen Modellen und neuem Investor in die Zukunft

Mitte der 1990er Jahre taten sich die Ingenieure Peter Grundhoff, Alfred Schmiderer und Markus Wagner zusammen, um ein Flugzeug für die damals noch junge VLA-Klasse zu entwickeln. Entstanden ist der Composite-Tiefdecker Aquila A 210, der auf der AERO 1999 seine Premiere hatte.

Heute gilt die A 210 als gutmütiges Trainingsflugzeug mit vielseitigen Qualitäten. Dem Erstflug im März 2000 folgten im Sommer 2001 die Musterzulassung und schließlich der Bezug der neu gebauten Hallen am Flugplatz Schönhagen.

Anfang 2005 geriet das Unternehmen in finanzielle Schieflage und schlitterte in ein Insolvenzverfahren, aus dem es erst 2008 mit einem Investor an Bord herauskam. Geschäftsführer und neuer Inhaber von Aquila Aviation ist seit wenigen Wochen Dr. Yehia Farrahg, Bruder von Rainer Farrag, der mit seinem Unternehmen Trixy Aviation in der Tragschrauber-Branche eine feste Größe ist. Markus Wagner und Alfred Schmiderer sind heute wieder als Ingenieure für Aquila tätig.

Aktuell produziert Aquila Aviation die A 211, eine leicht modifizierte Version der A210. Auf der AERO 2014 wurde das Flugzeug mit Turbomotor vorgestellt.

aerokurier Ausgabe 03/2013