So fliegt die AirCam: Cockpit mit Aussicht - Spaß garantiert!

Pilot Report AirCam
Cockpit mit Aussicht: So fliegt die AirCam!

Zuletzt aktualisiert am 07.12.2023

Wir schreiben das Jahr 1995. Die National Geographic Society plant eine Coverstory über den tropischen Ndoki-Regenwald im Kongo. Um diese Wildnis zu erkunden, muss man sich tagelang mit der Machete durch den Urwald kämpfen. Einen Helikopter chartern im Kongo? Naja… Für diesen Zweck eignen sich am besten eine Piper Cub oder ein robustes Ultraleichtflugzeug, aber deren Reichweite ist zu gering, um die langen Strecken zwischen den spärlich gesäten Landepisten zu bewältigen. Die Aussicht aus einem offenen UL wäre verlockend, aber bei einem Motorausfall würde man ebenso wie in einer Piper Cub auf Nimmerwiedersehen vom Dschungel verschluckt.

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Gebaut für den Dschungel

Hier kommt Phil Lockwood ins Spiel, der sich schon bei einer früheren Reportage in Namibia als damaliger Werkspilot und Repräsentant der ultraleichten Maxair Drifter bewährt hat. Nachdem die Anforderungen der Auftraggeber genau formuliert sind, macht sich Phil an die Arbeit und konstruiert in nur sieben Monaten eine Zweimot in Leichtbauweise mit offenem Cockpit. Der Name der fliegenden Kameraplattform: AirCam. Sie ist ebenso wie die drahtverspannte Drifter ein Hochdecker, dessen Flügel mit Dacron-Segeln bezogen sind. Die beiden Zweitakter Rotax 582 – einzeln stark genug, um im Notfall auch einmotorig fliegen und sogar starten zu können – verbrauchen zusammen weniger als 22 Liter pro Stunde. Das Flugzeug übertrifft alle Erwartungen, wird nach Afrika verschifft und ins Einsatzgebiet geflogen.

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Publikumsliebling AirCam – die Produktion beginnt

Nachdem sich die AirCam in Afrika bestens bewährt hat, beschließt Phil ein zweites Exemplar zu bauen, um es bei Sun ‘n Fun in Florida der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Publikumsecho ist eindeutig: Ein Kit muss her. Nach fünf Jahren und 22 000 Stunden Arbeit verlassen die ersten Kisten das Werk. Ab 1999 werden mehr als 300 Bausätze verkauft. Das Rumpfboot ist nun deutlich geräumiger geworden, und die Motorenpalette reicht in der aktuellen Generation bis zum turbogeladenen Vergasermotor Rotax 914 mit 115 PS im Doppelpack. Ebenfalls erhältlich sind jeweils zwei Rotax 912 S mit Vergaser oder der Einspritzer 912 iS mit jeweils 74 Kilowatt (100 PS) Leistung. Floats, eine umfangreiche Instrumentierung bis zur IFR-Ausrüstung sowie eine optionale Vollverglasung lassen keine Wünsche offen. Selbst ein dritter Passagiersitz kann bei der Landversion montiert werden. Auf Rädern nimmt die AirCam im Hangar nur ungefähr so viel Platz in Anspruch wie eine Cessna 182. Auf den Clamar Amphib Floats kommt sie allerdings auf eine beeindruckende Gesamthöhe von über vier Metern. Mit dieser Auslegung ist die AirCam sicher kein Flugzeug für jedermann, aber ihre einzigartige Rundumsicht aus dem offenen Cockpit in Verbindung mit dem Handling und der Zuverlässigkeit einer Zweimot machen sie zum attraktiven Paket für Piloten, die ein sicheres, gerne etwas anspruchsvolles Flugzeug mit Spaßfaktor suchen. Der Prototyp der Kongo-Mission ist heute übrigens im EAA-Museum in Oshkosh zu bewundern.

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Wer fliegen will, muss zuerst bauen

Einen Haken hat die Sache freilich: man muss die AirCam selbst bauen. Inklusive der Motoren ist bis zum Erstflug mit etwa 200 000 Dollar und etwa 1200 Arbeitsstunden zu rechnen, Schwimmer kosten extra. Gegen Aufpreis gibt es auch ein Quickbuild-Kit, wenn man keine Zeit oder Lust hat, die mitgelieferten 11 000 Niete selbst zu setzen, nachdem man die vorgelaserten Löcher von Hand aufs Nennmaß aufgebohrt und entgratet hat. Die Qualität und Maßhaltigkeit der Teile und Komponenten ist sehr gut, wie mir mehrere Erbauer bestätigten. Selbstverständlich können sämtliche Komponenten nacheinander bestellt werden.

Carl-Friederich Schmidt

Fotografen sitzen hinten

Im Sommer treffe ich Sebastian Glück in Oshkosh. Wir hatten uns bereits auf der AERO kennengelernt, als Sebastian und Phil Lockwood zu Gast am Stand der OUV waren, um Neuigkeiten bezüglich der Zulassung als Experimental in Deutschland auszutauschen. Sebastian hat inzwischen den Vertrieb der Bausätze für Deutschland und Europa übernommen und stellt mir Ben Lively vor, der mir den knallgelben Firmendemonstrator N51SC bei einem Probeflug vorstellen soll. Wir treffen uns an der Seaplane Base am Lake Winnebago, wo die Amphibien-AirCam artgerecht zwischen Entenflott und Seerosen am schattigen Ufer vertäut ist. Nach einem Briefing in angelegten Schwimmwesten kann es losgehen. Da das Flugzeug über eine Doppelsteuerung mit der entsprechenden Instrumentierung verfügt, bietet Ben mir den vorderen Sitz an. Ich erklimme aber lieber das hintere Cockpit, um besser fotografieren zu können, denn vorne ist eine große Glaskanzel montiert.

Sebastian Glück

Schneller Start dank starker Motorisierung

Das Schleppboot bugsiert uns durch die enge Einfahrt auf den fast spiegelglatten See. Dunst hängt an diesem Morgen in der Luft, sodass wir besonders gut Ausschau nach Booten halten müssen, denn wir werden fast ausschließlich Glassy Water Procedures anwenden. Nachdem das Fahrwerk, an dem unser Schleppboot festgemacht hat, eingefahren ist, können wir die beiden Rotax 912 S starten. Außer den Kontroll-LEDs für die vier Räder (blau/up für Wasser, grün/down für Land) ragen zusätzlich auf der Oberseite der Schwimmer vier blaue Pins nach oben, um mechanisch anzuzeigen, dass alle Räder auch wirklich oben sind. Bei ruhiger Verdrängerfahrt mit 1400 Umdrehungen pro Minute haben wir genug Zeit für Checklisten und Einstellungen an der Avionik, bis beide Motoren ihre Betriebstemperatur erreichen. Nach dem Run-up und einem Takeoff-Briefing fährt Ben die Klappen auf 25 Grad und gibt bei voll gezogenem Knüppel Vollgas. Die Schwimmer zeigen sofort deutlich nach oben und nicken abermals kurz danach ohne weiteren Steuerinput. Das ist der Moment, um den Knüppel etwas nachzulassen und den "sweet spot" für die schnelle Gleitfahrt auf Stufe zu finden. Die Nadel des Fahrtmessers kommt zügig in Bewegung, denn die fast 19 Quadratmeter Flügelfläche übernehmen sofort einen großen Teil des Auftriebs von den Schwimmern. Bei 43 Meilen pro Stunde wird rotiert, um mit 60 Meilen pro Stunde zu steigen.

Carl-Friederich Schmidt

Der Ausblick ist überwältigend

Nach dem Level-off reduzieren wir die Leistung für Economy Cruise auf 4800 Umdrehungen pro Minute. Die Fahrt liegt nun bei 75 Meilen pro Stunde, und der Kraftstoffverbrauch beträgt laut Handbuch 30 Liter pro Stunde – gar nicht schlecht für so ein Flugzeug. Eine Cessna 172 auf Floats ist nicht viel schneller, verbraucht aber deutlich mehr und ist durch das hohe Gewicht eigentlich auch nur ein Zweisitzer. Nicht in Zahlen ausdrücken lässt sich das Gefühl, im offenen Cockpit unterwegs zu sein – ganz ähnlich, wie ich es von meiner Breezy kenne. Unter uns liegt, verborgen unter dem flachen Dunst, die Landschaft von Wisconsin. In der Ferne erahnen wir den Wittman Regional Airport als Schauplatz des EAA AirVentures.

Carl-Friederich Schmidt

Kein Stall-Warning oder Klappenindikator

Wegen der beiden nebeneinander angeordneten Druckpropeller reagiert das direkt angeblasene Leitwerk spontan auf Steuerinputs. Auch das Rollen um die Längsachse lässt keine Wünsche offen. Kein Wunder, denn die gesamte Hinterkante der Flügel besteht aus üppigen Querrudern und elektrischen Landeklappen. Im Gegensatz zur Landung auf Rädern, bei der Anflüge clean und fünf Meilen pro Stunde schneller geflogen werden, nähert man sich dem Wasser mit 60 Meilen pro Stunde und 25 Grad Klappen. Es gibt weder eine Anzeige für die Klappenstellung noch eine Überziehwarnung. Um also die 25-Grad-Stellung der Klappen einzustellen, hält der Pilot den Schalter drei Sekunden lang gedrückt. Sobald die Hinterkante der Klappen mit der Drahtverspannung zum Leitwerk fluchtet, passt es. Das funktioniert eigentlich ganz gut, wenn man den Kopf weit genug herumgedreht bekommt, ohne sich dabei den Hals auszurenken. Nach einigen Splash and Gos zeigt mir Ben die Feinheiten am Rande des Envelope.

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Motorausfall kann kompensiert werden

Die Überziehgeschwindigkeit liegt bei ca. 40 Meilen pro Stunde und damit gerade mal drei Meilen unter der Minimum Control Speed Air, VMCA, also der Geschwindigkeit, bei der das Flugzeug beim Ausfall des kritischen Triebwerks gerade noch voll steuerbar ist. Bei der AirCam ist das rechte Triebwerk das sogenannte kritische, das heißt, bei seinem Ausfall ist der stärkste asymmetrische Schub zu erwarten. Das ist aber eher eine theoretische Aussage, denn die beiden Motoren sitzen so nah beieinander, dass das Flugzeug im simulierten Einmotorenflug problemlos zu steuern ist. Dead foot, dead engine? Diese alte Zweimot-Weisheit ist bei der AirCam kein Thema, denn sie hält ohne krampfhaft getretenes Seitenruder sauber ihren Kurs. Lediglich den Flügel des verbleibenden Motors muss man um etwa fünf Grad neigen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass beide Motoren ausfallen, sollte man die Nase aber sofort bis auf 85 Meilen pro Stunde hinunterdrücken, um genug Reserven beim Ausschweben zu haben.

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Verfahren beim Wasserflug

Bei guten Bedingungen kann die AirCam sogar einmotorig vom Wasser starten. Auf der glatten Wasseroberfläche heute saugen sich die Schwimmer allerdings fest, und obwohl der Lake Winnebago nur auf 750 Fuß über dem Meeresspiegel liegt, beträgt die Dichtehöhe fast 3000 Fuß. Schade, einen Start mit einem Motor hätte ich gerne noch gesehen. Wenn das Wasser so spiegelglatt wie heute ist, hat man als Pilot keine Chance, im Anflug und beim Ausschweben die Höhe einzuschätzen. Die wegen des starken Dunstes eingeschränkte Sicht kommt noch erschwerend dazu. Es besteht die Gefahr, dass man bei diesen "glassy water conditions" die Wasseroberfläche gar nicht erkennt und unbewusst den Seegrund als Referenz zum Landen annimmt. Der unerwartete Einschlag mit viel zu hoher Sinkrate hat schon manches Schicksal besiegelt. Um das zu vermeiden, landet man auf kleinen Gewässern ganz nah parallel zum Ufer, zur Not kann man auch irgendwelche schwimmenden Gegenstände als Referenz abwerfen.

Carl-Friederich Schmidt

Glassy Water Procedure – kein Ausrunden notwendig

Wenn man aber genug Wasserfläche und Hindernisfreiheit für einen lang gedehnten flachen Anflug hat, wählt man das entsprechende Glassy Water Procedure, bei dem man sich der Wasseroberfläche mit konstanter Fahrt und minimaler Sinkgeschwindigkeit nähert bis zum Aufsetzen und ohne jegliches Ausrunden. Die Landekonfiguration liegt laut Handbuch bei sehr langsamen 45 bis 50 Meilen pro Stunde, um mit etwa 4000 Umdrehungen pro Minute ein Sinken von maximal 150 Fuß pro Minute einzustellen. Alles andere verläuft wie gewohnt. Sobald das Wasser spritzt, Gase raus und Knüppel an den Bauch. Es empfiehlt sich aber auch bei normalen Landungen, aufmerksam die Fahrt zu beobachten und stets mit etwas Leistung anzufliegen, denn im Leerlauf verliert das Flugzeug durch seinen hohen Luftwiderstand schnell an Fahrt, und man ist rasch hinter der Power Curve. Vollgas allein reicht dann nicht mehr aus, um schnell Fahrt aufzuholen.

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Anlegen mit Motorkraft?

Die 2180 Clamar Floats sind bei der AirCam normalerweise nicht mit Wasserrudern ausgerüstet. Das von den Pusher-Propellern direkt angeblasene Seitenruder sowie ein differenziert eingesetzter Schub der beiden Motoren ermöglichen aber ein gutes Manövrieren. Bei meinem Seaplane Rating habe ich gelernt, dass man aus Sicherheitsgründen den Motor eines Wasserflugzeuges auf den letzten Metern abstellt, um mit dem verbleibenden Schwung vorsichtig an den Steg zu steuern. Wie das bei der AirCam mit stehenden Motoren und ohne Wasserruder gehen soll, habe ich leider vergessen zu fragen. Okay, die Propeller sind hinten, da kann man vielleicht mal eine Ausnahme machen oder einfach doch lieber die Wasserruder dranbauen. Heute spielt das aber keine Rolle, denn der kleine Schlepper wartet bereits, um uns wieder in die geschützte Bucht der Seaplane Base zu bringen. Kurze Zeit später habe ich wieder festen Boden unter den Füssen und klopfe mir grinsend das Entenflott von den Schuhen. Diesen Flug werde ich so schnell nicht vergessen.

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