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Fliegen in der Krise?

aerokurier-Redaktionsleiter Lars Reinhold plädiert dafür, vorerst auf das Fliegen zu verzichten, Redakteur Samuel Pichlmaier hält dagegen nichts von Selbstgeißelung. Welcher Weg ist der richtige?

Fliegen in der Krise?
Foto: Lars Reinhold

Warum ich das Fliegen vorerst sein lasse

Um es vorweg zu nehmen: Ich fliege für mein Leben gern. Ich hänge oft selbst bei grenzwertigem Wetter am Flugplatz rum und versuche, mich irgendwie in die Luft zu mogeln, auch wenn der Verstand arg am Zweifeln ist, ob das gerade noch sinnvoll ist oder nicht. Es ist manchmal auch keine rationale Entscheidung mehr, sondern eine emotionale. Ich habe Lust, und die Lust lässt mich gewisse Risiken, die ich für kalkulierbar halte, in Kauf nehmen. Hauptsache, ich fliege.

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Entsprechend emotional reagierte ich anfangs auf die zunehmenden Einschränkungen im Luftsport und in der Freizeitfliegerei, die die Corona-Krise mit sich brachte. Wo bitteschön soll bei Flügen im Einsitzer oder Soloflügen in der Cessna ein Ansteckungsrisiko bestehen? Völlig übertrieben. Unsinnig. Totale Paranoia.

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Den Diskussionen in sozialen Netzwerken zufolge schienen zahlreiche Hobby- und Sportflieger ähnlich zu denken. Mit Neid sah ich Fotos von Piloten, die am vergangenen Wochenende noch eine Runde gedreht hatten, und ärgerte mich darüber, dass der Baden-Württembergische Luftfahrtverband meinen Heimatplatz, die Hahnweide bei Kirchheim/Teck, unter Verweis auf die von der Stadt Stuttgart erlassene Schließung der Sportstätten quasi über Nacht dichtgemacht hatte (lediglich der Flugzeubauer Schempp-Hirth darf dort noch Abnahmeflüge durchführen, um den Betrieb am Laufen zu halten).

Aus medizinischer Sicht, darin hatten mich die Gespräche mit dem Fliegerarzt meines Vertrauens bestätigt, gab es dazu überhaupt keinen Anlass. In meinem Ärger über die Aussicht, für eine gewisse Zeit nicht fliegen und mein frisch erworbenes Spielzeug endlich in seinem angestammten Element bewegen zu können entging mir aber völlig, dass es neben der medizinischen noch eine andere Komponente gibt, auf die mich erst der Hinweis eines Vereinsmitglieds brachte: die der Außenwirkung.

Dazu muss man sich – so schwer es vielleicht fällt – einmal in die Perspektive eines Nicht-Fliegers versetzen. Das öffentliche Leben und das in Vereinen und Institutionen steht aktuell nahezu still. Wie muss es dann auf all jene wirken, die zur Fliegerei keinen Bezug haben, wenn einer wie ich seiner Leidenschaft frönt, während sich alle anderen einschränken?

Natürlich könnte man jetzt entgegnen, dass die Radfahrer weiter Rad und die Motorradfahrer weiter Motorrad fahren. Dass die Jogger weiter Joggen gehen, und dass sich noch immer Leute in Cafés und Parks treffen. Stimmt, das ist so. Aber man kann sich auch mal daran erinnern, dass wir als Piloten ohnehin schon genügend Angriffsfläche bieten, Stichwort Flugplatzgegner, Stichwort Lärmbelästigung, Stichwort Fliegen in Zeiten des Klimawandels. Nicht wenige "Zivilisten" dürften sich denken, soso, die feinen Herren gehen also fliegen, als sei nichts passiert. Was für ein Bild zeichnet das vom Segelflieger, vom Ultraleichtflieger, vom Motorflieger in der Öffentlichkeit? Das Gesundheitspersonal kämpft an der Belastungsgrenze, die Wirtschaft befürchtet massive Einbrüche und wir schauen uns das alles von oben an und posten die Bilder unserer "Freiheit" dann auch noch auf Facebook?

Ich halte das für unklug.

Ich bin weit entfernt davon, den Zeigefinger zu erheben und anderen vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Dafür bin ich erstens noch nicht lange genug dabei und zweitens viel zu gerne in der Luft. Aber ich werde mich jetzt zurückhalten, werde nicht unter irgendwelchen fadenscheinigen Begründungen versuchen, mir einen Flug zu erschleichen, wenn es nicht aus beruflichen Gründen zwingend notwendig ist. Und das, obwohl ich normalerweise einen völligen Bodenkoller bekomme, wenn ich mal zwei Wochen nicht im Cockpit sitze. Aber im Gegensatz zu Radfahrern und Joggern kann ich mein Hobby eben nicht ausüben, ohne dabei ein stückweit in der Öffentlichkeit zu stehen. Fliegen geht nur am Himmel, und dort sind wir immer unter Beobachtung.

Maßhalten ist jetzt aus meiner ganz persönlichen Sicht das Mittel der Wahl. Viele leiden, also leide ich still mit. Und dafür brauche ich keine medizinische Begründung. Einer für alle, alle für einen.

Ralf Athen
Lars Reinhold ist Redaktionsleiter des aerokuriers und nutzt normalerweise jede Möglichkeit, in die Luft zu gehen.

Selbstgeißelung hilft niemandem

Bei vielen Krisen – ganz gleich ob wirtschaftlichen, politischen oder anderen Ursprungs – ist ein interessantes Phänomen zu beobachten: Rationale und vernünftige Maßnahmen werden schnell von emotionalen Appellen gekapert. Bei der aktuellen Corona-Krise ist das nicht anders.

Inzwischen scheint bei den meisten Menschen in unserem Land angekommen zu sein, dass dieses Virus unser Gesundheitssystem, unsere Wirtschaft und nicht zuletzt unsere Gesellschaft vor gewaltige Herausforderungen stellt. Viele einschneidende Maßnahmen, die sich vor wenigen Wochen kaum jemand hätte vorstellen können, sind jetzt Realität. Und die meisten dieser Maßnahmen haben einen rationalen Sinn und verhindern im besten Fall einen Kontrollverlust: Verbot von Großveranstaltungen, Schließung von Bars, Restaurants und Cafés am Abend, Reduzierung der sozialen Kontakte in allen Bereichen des Lebens, Einschränkungen beim Reisen und vieles mehr. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: All diese Maßnahmen sind unbedingt notwendig, um Schlimmeres zu verhindern.

Zugleich aber sind immer wieder Forderungen zu hören, deren Sinn sich nicht recht erschließen mag, und deren Begründung noch weniger. Man soll kein Ibuprofen mehr nehmen, auch wenn man gar nicht an CoVid-19 erkrankt ist. Kinder sollen am besten gar nicht mehr vor die Haustür gehen, da sie das Virus ja potenziell ohne Symptome in sich tragen könnten. Und Freizeitaktivitäten jeglicher Art sind sowieso mehr und mehr verdächtig. Begründung: Während sich das Krankenhauspersonal abrackert, könne man doch nicht einem Hobby frönen oder gar den Frühling genießen. Wo kämen wir denn da hin?

Jetzt steht also die Forderung im Raum, auch das Fliegen als Freizeitbeschäftigung einzustellen. Da stellt sich schlicht die Frage: Warum? Natürlich sind Aktivitäten im Verein, wo mehrere Menschen zusammenkommen und sich gegenseitige anstecken könnten derzeit nicht angesagt. Auch von Flügen mit Bekannten oder einem Fluglehrer im engen Cockpit ist sicherlich abzuraten. Aber ein entspannter Soloflug mit dem Motorsegler oder eine Runde mit dem Partner, den man sowieso den Rest des Tages um sich hat? Was spricht dagegen? Die Ansteckungsgefahr spielt da wohl keine Rolle. Zu hören ist dann mitunter: Das sei eine ganz schlechte Außenwirkung für die Allgemeine Luftfahrt. Nimmt man das Argument genauer unter die Lupe, dann zeigt sich, dass es nicht sehr tragfähig ist. Demnach hat das Fliegen an sich also schon eine schlechte Außenwirkung, egal ob eine Ansteckungsgefahr besteht oder nicht. Das müsste dann aber auch für Zeiten ohne Corona gelten. Und dann können wir die Sache gleich ganz lassen. Oder es ist das schlechte Gewissen: Ärzte und Pflegekräfte müssen schuften, während die Piloten sich einen schönen Lenz über den Wolken machen. Das ist schlicht Selbstgeißelung. Ich kann nichts dafür, dass ich nicht Medizin studiert oder einen anderen Beruf im Gesundheitssystem gewählt habe. Natürlich kann man an anderer Stelle helfen, doch dann sprechen wir über Solidarität. Die kann man auch dann praktizieren, wenn man vorher über den Wolken unterwegs war. Das schließt sich nicht aus.

Von der Fraktion der Selbstgeißelung wird auch gerne ins Feld geführt, die Fliegerei habe ja ohnehin einen schlechten Ruf. Angesichts von Klimawandel, Umweltverschmutzung oder Fluglärm müsse man jetzt nicht auch noch bei der Corona-Krise eine schlechte Figur machen. Dieses Argument führt auf ein völlig anderes Schlachtfeld, mit Corona oder der Ansteckungsgefahr hat es rein gar nichts zu tun. Wir können gerne über grüne Technologien in der Luftfahrt sprechen, aber bitte nicht in einer irrationalen Vermengung mit dem Corona-Virus. Zumal man dann die Piloten gegeneinander ausspielen würde. Denn Segelflieger oder UL-Piloten mit Elektromotor dürften dieser Argumentation zufolge guten Gewissens in die Luft, während alle anderen am Boden bleiben müssten. Was das dann noch mit Ansteckungsgefahr zu tun haben soll, ist kaum nachvollziehbar.

Unterm Strich wird eines klar: Selbstgeißelung hilft hier niemandem weiter. Wer einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten will, der kann dies unabhängig von seiner Leidenschaft fürs Fliegen tun. Schließlich hilft es auch keinem Infizierten, wenn die Segelflieger drei Monate am Boden bleiben oder UL- und Motorpiloten sich fliegerisch in Enthaltsamkeit üben.

Entspannung in der Freizeit – egal ob auf dem Fahrrad, in der Luft oder bei anderen Aktivitäten – ist für uns alle wichtig und leistet sogar einen positiven Beitrag in einer Krise wie dieser: Viele Menschen, die sich derzeit zuhause mächtig auf die Füße treten, brauchen solche Inseln der Entspannung. Wer dabei Abstand hält und die Vorsichtsmaßnahmen einhält, muss auch kein schlechtes Gewissen haben.

Samuel Pichlmaier
Samuel Pichlmeier ist Redakteur des aerokuriers und passionierter Ultraleichtflieger.

Fazit

Liebe Leser, gerne können Sie uns Ihre Meinung zu den beiden Kommentaren per Mail unter redaktion@aerokurier.de zukommen lassen.

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Erscheinungsdatum 19.05.2023