Hubschrauber sind auf modernen Großbaustellen in schwierigem Gelände heute kaum noch wegzudenken. Sie transportieren sperrige Lasten in abgelegene Regionen oder tragen Baumaterial an die gewünschte Stelle, wenn kein Kran zur Verfügung steht. Die Arbeit erfordert höchste Präzision und viel Erfahrung. Schon kleinste Fehler können katastrophale Folgen haben. Unfälle wie das Seilbahnunglück im österreichischen Sölden zeigen das Risiko von Lufttransporteinsätzen und die mitunter dramatischen Konsequenzen, wenn etwas schiefgeht. Außer dem Piloten tragen auch Flug- und Bodenhelfer große Verantwortung. Ein Unfall im oberbayerischen Oberstdorf zeigt, dass schon bei der Planung und Vorbereitung einiges schiefgehen kann.
Sprungschanze in Oberstdorf
An der Sprungschanze in Oberstdorf stehen am 16. Mai 2019 gleich mehrere Arbeiten für den Piloten einer Eurocopter AS 350B3 und sein Team auf dem Plan. Die Bedingungen für die Transportflüge sind optimal: mehr als zehn Kilometer Sicht in Bodennähe und nur schwacher Wind aus Südwest. Das Thermometer zeigt moderate zehn Grad Celsius an. Geplant sind an diesem Frühlingstag Betonarbeiten an der Skisprungschanze. Der Hubschrauber soll die Arbeiten der Baufirma unterstützen.

Vier Masten eines Windschutzsegels
Am Morgen fliegt der Pilot der AS 350B3 zusammen mit einem Helfer von Agathazell nach Oberstdorf. Dort wartet bereits ein zweiter Flughelfer, drei Bodenhelfer sollen bei dem Einsatz ebenfalls dabei sein. Zusätzlich zu den Außenlastflügen für die Baufirma soll der Hubschrauberpilot im Auftrag des Schanzenbetreibers vier Masten eines Windschutzsegels abtransportieren. Jeder der Masten wiegt rund 800 Kilogramm.
Spezielles Außenlastgeschirr
Nachdem die Flüge für die Betonarbeiten erledigt sind, bereiten der Pilot und die Helfer den Transport der Masten vor. Der erste Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Vor dem zweiten Einsatz wird der Hubschrauber dann erneut mittels seines Lasthakens und einem speziellen Außenlastgeschirr mit dem leicht schräg stehenden Mast verbunden. Der Mast wird dabei mithilfe von drei Abspannseilen am Boden in Position gehalten. Eines der Seile führt über eine Umlenkrolle, die hoch oben in einer Fichte befestigt ist, in den angrenzenden Wald zu einem zweiten Baum, wo der Hauptbefestigungspunkt liegt. Bei der Aufnahme des Mastes sollen die Bodenhelfer zunächst zwei Abspannseile aushaken. Das letzte, über die Umlenkrolle laufende Seil darf jedoch erst gekappt werden, wenn der Hubschrauber den Mast aufgerichtet hat und die Abspannseile locker durchhängen.
Bodenhelfer täuscht sich
Gegen neun Uhr schwebt der Hubschrauber bereits wieder seitlich versetzt oberhalb des Mastes. Das Außenlastgeschirr ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht gespannt. Doch einer der Bodenhelfer, der keinen Blickkontakt zum Piloten hat, schätzt die Situation völlig falsch ein. Er denkt, der Hubschrauber habe den Mast bereits aufgerichtet und das Seil sei daher nicht gespannt – ein fataler Irrtum, der im weiteren Verlauf des Geschehens zu einem verhängnisvollen Fehler führt: Der Bodenhelfer kappt das dritte Spannseil, das über die Umlenkrolle in den Wald führt. Daraufhin nimmt die Katastrophe innerhalb weniger Sekunden ihren Lauf. Der 800 Kilogramm schwere, schräg stehende Mast fällt schlagartig in das Außenlastgeschirr des Hubschraubers.

Keine Chance
Im Außenlastspiegel sieht der Pilot zwar noch den kippenden Mast und wird zudem von einem der Flughelfer über Funk gewarnt. Doch es ist zu spät: Der 56-Jährige versucht, mit dem Hubschrauber der Last entgegen zu steigen, um das Außenlastseil zu straffen. Aber er hat keine Chance, das Unheil zu verhindern. Ein senkrechter Schlag nach unten hebt ihn abrupt aus dem Sitz, sodass er mit dem Helm hart an der Kabinendecke anschlägt. Der Hubschrauber beginnt daraufhin, sich entgegen dem Uhrzeigersinn um die Hochachse zu drehen. In diesem Moment verliert der Pilot die Kontrolle über seine Maschine. Der Hubschrauber stürzt zwischen der Bergbahn und dem Waldrand in den Hang und kippt auf die rechte Seite, das Triebwerk fängt dabei Feuer. Herbeieilende Helfer können den Piloten aus dem Wrack befreien. Mit schweren Verletzungen wird er in ein Krankenhaus gebracht. Die Flug- und Bodenhelfer bleiben unverletzt.
Ein Bild der Verwüstung
An der Unfallstelle bietet sich der Bergungsmannschaft ein Bild der Verwüstung: Das Wrack liegt mit der Rumpfnase hangabwärts ausgerichtet. Der Heckausleger ist von der übrigen Zelle abgerissen. Zudem sind Heckrotor und Heckrotorantrieb durch die Wucht des Aufschlags vom Leitwerksträger abgerissen worden und liegen einige Meter vom Hauptwrack entfernt, unterhalb der Bergbahn. Das Außenlastseil ist noch am Lasthaken des Hubschraubers eingehängt.
Folge des heftigen Rucks
Bei den Untersuchungen zur Unfallursache gehen die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) trotz der auf den ersten Blick widersprüchlichen Beschädigungen an Heckrotor und Kupplung sowie der geringen Rotationsspuren an der Heckrotorwelle nicht davon aus, dass der Heckrotorantrieb bereits im Flug ausgefallen ist. Auch die Experten des Hubschrauberherstellers halten einen Rotorausfall am Heck noch vor dem Aufprall für nicht plausibel. Die abrupt einsetzende Drehung des Hubschraubers um die Hochachse war demnach sehr wahrscheinlich eine Folge des heftigen Rucks, den der in das Außenlastgeschirr kippende Mast verursacht hatte. Der Pilot wurde dadurch aus dem Sitz gerissen, vermutlich entglitt ihm in diesem Moment kurz die Steuerung.

Schlagartige und massive Triebwerksleistungserhöhung
Unklar sei, "ob er hierbei den kollektiven Verstellhebel mit nach oben zog und seine Füße den Kontakt zu den Pedalen verloren", schreiben die BFU-Ermittler in ihrem Abschlussbericht. Aus den aufgezeichneten Daten lässt sich jedoch eindeutig schließen, dass "eine schlagartige und massive Triebwerksleistungserhöhung über das maximal zulässige Limit erfolgte", was für den Collective Pitch Position Failure ursächlich sei, so die BFU. Weiter heißt es: "Eine derartig zügige Erhöhung der Triebwerksleistung ohne entsprechenden Drehmomentausgleich (…) ist (…) aus Sicht der BFU fliegerisch nicht mehr zu kontrollieren."
Keine Einweisung
Die Fehlerkette des Unfalls setzt jedoch lange vor dem Kontrollverlust im Cockpit an. Ausschlaggebend für den Irrtum des Bodenhelfers, der das dritte Spannseil viel zu früh gekappt hatte, waren nicht nur der fehlende Sichtkontakt zum Flughelfer und der fehlende Überblick über die Gesamtsituation. Es mangelte vor allem auch an einem ausführlichen gemeinsamen Briefing noch vor dem Transportflug, der relativ kurzfristig angesetzt worden war. Ein solches Briefing mit genauen Absprachen zu Kommandos und Handzeichen zwischen allen beteiligten Akteuren, insbesondere zwischen Bodenhelfern und Flughelfern, hatte nicht stattgefunden. Die Bodenhelfer gaben sogar an, am Morgen des Unfalltages nicht eingewiesen worden zu sein. Zwar waren zwei der drei Helfer am Boden schon mehrfach bei ähnlichen Arbeiten im Einsatz. Der dritte Bodenhelfer, der das Seil gekappt hatte, war jedoch zum ersten Mal dabei.