Unfallanalyse
In der Luft zerlegt

Eine Fauvel AV.36 führt ein Kunstflugprogramm durch, unmittelbar danach bricht die rechte Tragfläche ab. Der Pilot wird schwer verletzt, kann sich aber mit dem Fallschirm retten. Führte ein Konstruktionsfehler zum Strukturversagen?

In der Luft zerlegt
Foto: Alan Wilson

Das Wetter ist gut, als der 53-jährige Pilot am 25. September 2019 um 14:13 Uhr auf dem Segelfluggelände Haiterbach-Nagold startet. Er will mit einer Fauvel AV.36 CR im Rahmen einer Luftfahrtveranstaltung ein Kunstflugprogramm vorführen. Der Pilot ist Inhaber der Segel- und Motorflug­-lizenz sowie der UL-Lizenz und hat zudem die Berechtigungen für TMG, Kunstflug und Nachtflug. Mit 1445 Stunden und 2741 Starts, davon mehr als 1000 Starts im Segelflug, kann er als erfahren gelten.

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Laut Zeugenaussagen wird das Flugzeug auf eine Höhe von etwa 1000 Meter über Grund geschleppt, von wo aus der Pilot mit seinem Flugprogramm beginnt. Entsprechend der Zulassung der AV.36 – erlaubt sind gemäß Flughandbuch Trudeln, Looping nach oben, Turn und Slip – besteht das Programm aus Figuren der Familie Loops. Nach acht bis neun Figuren fliegt die AV.36 laut BFU-Bericht aus nördlicher Richtung horizontal auf den Flugplatz zu. Dabei löst sich die rechte Tragfläche im Bereich des Flügel-Rumpf-Übergangs. Der Pilot wird dabei verletzt, kann sich aber mit dem Fallschirm retten. Die Wrackteile gehen in einem angrenzenden Waldstück nieder.

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Schäden durch den Aufprall

Bei der Untersuchung der auf eine Fläche von 230 mal 230 Meter verteilten Trümmer stellen die BFU-Ermittler fest, dass der schwer beschädigte Rumpf noch durch Steuerseile und Beckengurt mit der linken Tragflächenhälfte verbunden, der hintere Bereich der Fläche aber zwischen den Seitenleitwerken bis zum Holm abgetrennt ist. Die Tragfläche ist am rechten Flügel-Rumpf-Übergang abgebrochen. Weitere Beschädigungen der Flügel und Brüche in den Verbindungen der Steuerelemente ordnen die Experten dem Versagen der Flugzeugstruktur zu. Auch der Höhenruder-Leitholm ist beschädigt und im Bereich der Durchführung für das Höhenrudergestänge gebrochen. Das Wrack des Segelflugzeuges wird nach Abschluss der Arbeiten am Unfallort zur weiteren Untersuchung zur BFU nach Braunschweig transportiert. Hier wird die linke Seite der Bruchstelle am Hauptholm abgetrennt und ebenso wie ein Teil des Höhenruder-Leitholms dem Fraunhofer-Institut für Holzforschung (Wilhelm-Klauditz-Institut) zur Untersuchung übergeben.

Dabei geht es zunächst um die Klärung der Holzart, die als Parana Pine oder Brasilkiefer identifiziert wird. In mehreren Lamellen des Hauptholm-Obergurtes finden sich verschiedene Weißfäule-Erreger, die mutmaßlich schon bei der Herstellung des Gurtes im Holz vorhanden waren. Schäden infolge des Befalls schließen die Experten aber aus. Anders beim Höhenruder-Leitholm. Hier offenbaren sich am Obergurt Verfärbungen und Risse im Holz, zudem findet sich eine braune Substanz zwischen Holz und Sperrholzbeplankung. Aus der Tatsache, dass sich das Sperrholz im Bereich des Bruchs im Obergurt relativ einfach manuell ablösen lässt, schließen die Fachleute, dass die Verklebung der Beplankung von vorn-herein mangelhaft war. Schwarzer Schimmel in der Bruchfläche belegt, dass zwischen Holz und Beplankung ein Spalt vorhanden gewesen sein und zeitweilig für Schimmelpilze geeignete Feuchtebedingungen vorgelegen haben müssen. Zudem ziehen sich von einer Bohrung aus Verfärbungen durch Eisensalze durch das Holz, woraus man schlussfolgert, dass Wasser in die Bohrung eingedrungen sein muss. Auch hier finden sich Pilzspuren.

Versagen des Höhenruder-Leitholms

Das Gutachten des Wilhelm-Klauditz-Instituts kommt am Ende zu dem Schluss, dass der Hauptholm zwar durch einen Produktionsfehler geschwächt war, dieser aber allenfalls ein beitragender Faktor für den Bruch gewesen sein kann. Die Schäden am Obergurt des Höhenruder-Leitholms hingegen werden kritischer bewertet. Laut Gutachten war er "vor dem Absturz auf mehrfache Weise erheblich geschwächt", konkret verweisen die Experten auf die mangelhafte Verklebung der Sperrholzbeplankung mit den Holzleisten, die die Festig­keit in einem bereits durch eine Bohrung geschwächten Bereich erheblich herabgesetzt habe. Eingedrungenes Wasser habe hier Eisen­salze einer offenbar korrodierten Schraube, die die Festigkeit des Holzes beeinträchtigen können, ins Holz transportiert und durch die Feuchte das Pilzwachstum begünstigt.

BFU
Ein Versagen des Höhenruderleitholms war mutmaßlich Auslöser des Unfalls. An dieser Stelle war die Struktur durch eindringendes Wasser und Eisensalze im Laufe der Zeit geschwächt worden.

Nicht der einzige Vorfall

Tatsächlich ist der Absturz dieser Fauvel nicht der einzige Luftzerleger des Musters in Deutschland. Zu mindestens zwei weiteren Fällen hat die BFU im Bundesarchiv Koblenz die Akten gesichtet. Demnach war am 28. Juni 1980 in Vilshofen eine AV.36 in der Luft auseinandergebrochen, der Pilot tödlich verletzt worden. Wenngleich die Flugunfalluntersuchung hier keine eindeutigen Hinweise auf die Ursache ergab, vermutete man aufgrund des Flugverlaufs einen Bruch im Bereich der Höhensteuerung oder des hinteren Bereichs des Rumpfbootes. Gut drei Jahre später zerlegte sich ein weiteres Flugzeug dieses Typs bei einer Kunstflugvorführung in Blumberg, auch hier wurde der Pilot tödlich verletzt. Damals hatte der Hauptholm versagt, und das Bruchbild ähnelte laut BFU-Bericht dem aktuellen Fall. Es wurden ebenfalls Pilzspuren gefunden, Belastungstests ergaben einen Verlust von bis zu 40 Prozent Druck- und 10 Prozent Zugfestigkeit. Allerdings wurde auch konstatiert, dass diese Schwächung allein nicht hätte ursächlich für den Unfall gewesen sein können.

In ihrer Beurteilung konstatiert die BFU, dass weder Schwerpunkt und Zuladung noch das Wetter oder eine Überlastung durch Flugmanöver als Unfallursache in Betracht kommen. Die Verwendung von schweren Rauchpatronen samt Haltern an den Flächenspitzen, die ebenfalls im Fokus standen, wurde nach Berechnung des zusätzlichen Widerstandes allenfalls als beitragend bewertet. Angesichts des Bruchbildes sei es wahrscheinlich, dass der Höhenruder-Leitholm infolge diverser Vorschädigungen durch Feuchtigkeit und Pilzbefall sowie das Eindringen von Eisensalzen versagt habe.

Dazu komme eine Änderung der Konstruktionspläne für die Musterzulassung in Deutschland. Ursprünglich war das Höhenruder mit langen Scharnieren, sogenannten Klavierbändern, am Holm befestigt, die allerdings nicht bis in den Bereich der Gestängedurchführung reichten. Bei der deutschen Ausführung hingegen ist der Höhenruderbeschlag mit einem Scharnier befestigt. Dazu wurden nahe der Durchführung zwei Bohrungen angebracht. Diese Bauausführung schwächt nach Ansicht der BFU die Struktur des Bauteils und begünstigt das Eindringen von Feuchtigkeit. Die Schäden wurden aufgrund der schlechten Zugänglichkeit bei Nachprüfungen nicht bemerkt.

Die BFU kommt zu dem Schluss, dass infolge des Versagens des Höhenruder-Leitholms die parallel zur Flugzeuglängsachse auftretenden Kräfte direkt auf den Hauptholm wirkten, der jedoch konstruktiv hauptsächlich für die Aufnahme vertikaler Zug- und Biegekräfte ausgelegt ist. Er versagte durch die Beanspruchung quer zur vorgesehenen Hauptbelastungsrichtung. Aufgrund der weitgehend übereinstimmenden Schadensbilder sei dieses Szenario wahrscheinlich auch die Ursache für die vorangegangenen Unfälle.

Maßnahmen zur Lufttüchtigkeit

Bereits infolge des Blumberg-Unfalls verlangte das LBA die Kontrolle aller deutsch registrierten Flugzeuge des Musters und bei Befall den Austausch des Hauptholmes. Nach dem jüngsten Unfall sprach das LBA zunächst ein Startverbot für alle AV.36 aus und forderte von den Haltern die Befundberichte der vorausgegangenen Technischen Mitteilungen und der fortwährenden Überprüfung der Holzstruktur an. Ende 2018 folgte eine LTA mit der Aufforderung, den Höhenruder-Leitholm gemäß einer Technischen Mitteilung zu verstärken und eine Feuchtigkeitsüberprüfung durchzuführen. Letztere sei zudem bei jeder Jahresnachprüfung zu wiederholen. Schließlich empfiehlt die BFU, Möglichkeiten zu schaffen, um den Höhenruder-Leitholm für Kontrollen besser zugänglich zu machen, beispielsweise durch Inspektionsöffnungen.

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