Störungen, die in kritischen Flugphasen auftreten, sind für Pilot und Passagiere besonders gefährlich. Dazu gehören vor allem Startlauf und Anfangssteigflug. Wegen des geringen Abstands zum Gelände können nach dem Abheben selbst kleine Probleme in einer Katastrophe enden. Der Untersuchungsbericht Aktenzeichen 21-0271-3X der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) macht deutlich, dass in solchen Fällen eine schnelle Entscheidung des Piloten lebensrettend sein kann.
Es ist der 9. Mai 2021. Bei besten Sichtflugbedingungen startet eine Cessna F 172 H mit drei Passagieren an Bord im niederbayerischen Straubing mit dem Ziel Friedrichshafen am Bodensee. Der 39-jährige Pilot ist seit 2017 im Besitz der Privatpilotenlizenz. Insgesamt sind in seinem Flugbuch 157 Flugstunden eingetragen. Damit hat er zu diesem Zeitpunkt noch vergleichsweise wenig Erfahrung im Cockpit gesammelt.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Friedrichshafen fliegt die Einmot am Nachmittag zum Tanken weiter nach Kempten-Durach. Dort landet sie um 16:30 Uhr und wird mit 51 Litern Super Plus betankt. Beide Tanks sind nun etwa zur Hälfte gefüllt. Kurz darauf steht die mit 145 PS eher schwach motorisierte Cessna am Rollhalt der Piste 17. Dort führt der Pilot den Startcheck durch und rollt auf die Graspiste. Um die gesamte Bahnlänge für den Start nutzen zu können, positioniert er das Flugzeug am äußersten Rand der Schwelle. Um 17:13 Uhr setzt er die Klappen auf 30 Grad und beschleunigt. Ein Augenzeuge filmt den Startlauf.
Die Motorgeräusche während der Beschleunigung nimmt der Pilot als normal wahr. Die Anzeige der Drehzahl bewegt sich zwischen 2300 und 2400 Umdrehungen pro Minute. Als die Cessna eine Geschwindigkeit von 55 Knoten erreicht hat, rotiert sie; bei etwa 65 Knoten hebt der Hochdecker von der Piste ab. Noch in Bodennähe holt der Pilot Fahrt auf, um dann rasch Höhe zu gewinnen.

Der Steigflug läuft nicht nach Plan
Doch der Anfangssteigflug läuft ganz und gar nicht nach Plan. Als die Maschine die Autobahn überfliegt, ertönt die Überziehwarnung. Der Pilot muss feststellen, dass sein Flugzeug nicht mehr steigt. Im Gegenteil: Jenseits der A980 geht die Cessna in einen Sinkflug über. Das Video des Augenzeugen dokumentiert den Flugverlauf bis hierhin.
In dieser prekären Situation trifft der PIC eine lebensrettende Entscheidung: Er beschließt, eine Notlandung einzuleiten. Zunächst visiert er den östlichen Uferbereich des Sulzberger Sees an, der in der Verlängerung der Piste 17, südlich der Autobahn A 980, liegt. Aufgrund des unebenen Geländes verwirft er den Plan jedoch wieder. Ihm bleibt daher nur noch eine Option: eine Notwasserung im Sulzberger See. Zu diesem Zeitpunkt fliegt der Hochdecker vermutlich nur noch 30 Meter über dem Boden, der Motor läuft nach Zeugenaussagen unter Volllast.
Der Pilot will nun die Wasserfläche im westlichen Teil des Moorsees anfliegen. Dort liegt am Ufer ein Strandbad, von wo schnell Hilfe kommen könnte. Beim Aufschlag auf der Wasseroberfläche in leicht seitlicher Querlage, etwa 100 Meter südlich des Ufers, bricht sofort die Frontscheibe der Cessna ein. Innerhalb weniger Sekunden wird die Kabine vom eindringenden Wasser geflutet, der Hochdecker beginnt zu sinken.

Es dauert keine fünf Minuten, bis das Flugzeug vollständig unter Wasser ist. Den Insassen gelingt es, sich aus dem sinkenden Wrack zu befreien, indem sie sich gegenseitig helfen. Zur Unfallstelle eilende Ersthelfer retten die drei Passagiere und den Piloten kurze Zeit später aus dem See.
Durch die Wucht des Aufpralls haben zwei der Passagiere schwere Verletzungen erlitten. Der Pilot und ein weiterer Fluggast werden mit leichten Verletzungen medizinisch versorgt. Das Wrack der Cessna liegt zu diesem Zeitpunkt bereits in acht Meter Tiefe in Rückenlage auf dem Grund des Moorsees. Der vordere Rumpfteil mit Propeller und Triebwerk ist vollständig im morastigen Boden des Sees versunken.
Bei der Bergung der Unfallmaschine werden die enormen Schäden an der Zelle sichtbar: Beide Tragflächen sind stark deformiert, der Motorblock ist am Brandschott teilweise abgerissen. Der Rumpf ist gleich mehrfach gestaucht, die Frontscheibe komplett gebrochen.
Bei der Prüfung der Steuerungsanlage können die Experten der BFU trotz deformierter Steuerflächen keine Fehlfunktion feststellen. Auch beim Landeklappenschalter ist keine technische Störung erkennbar. Auffällig scheint dagegen die extreme Stellung der Klappen: Sie sind auf etwa 30 Grad gerastet. Vermutlich hat sich dies in Kombination mit dem hohen Startgewicht der Unfallmaschine negativ auf die Flugeigenschaften beim Anfangssteigflug ausgewirkt. Mit 1037 Kilogramm Startgewicht lag die Masse der Cessna nur sechs Kilogramm unter der höchstzulässigen Abflugmasse. Im Untersuchungsbericht heißt es dazu wörtlich: "Es muss vor dem Startvorgang sorgfältig kalkuliert werden, ob die aktuellen Startparameter, wie Abfluggewicht, Windstärke und -richtung, Bahnlänge und Beschaffenheit, ein Überwinden von Hindernissen hinter der Startbahn zulassen."

Darüber hinaus bewerten die Experten der BFU eine zu hohe Klappenstellung unter bestimmten Umständen als problematisch: "Die primäre Aufgabe der Klappe ist es, den Auftrieb zu erhöhen. Das geht allerdings nicht nach dem Prinzip ‚Je mehr, desto besser‘. Die günstigsten Werte werden schon bei kleinen Klappenwinkeln erreicht (...)", so die BFU. Dagegen erhöhen voll ausgefahrene Klappen den Widerstand derart, dass sich die Startstrecke wiederum verlängert. Bei zu großem Klappenausschlag kann die Bremswirkung sogar so groß sein, dass die Motorleistung nicht mehr ausreicht, um sie zu überwinden. Ein Steigflug ist dann nicht mehr möglich.