Pilot Report Schleicher ASW 19: So fliegt der Segelflugzeug-Klassiker

Pilot Report Schleicher ASW 19
So fliegt der charmante Segelflugzeug-Klassiker

Veröffentlicht am 07.07.2025

Das Seil wird straff, die 19 ruckt an und tut genau das, was im Handbuch steht: Bei neutraler Knüppelstellung hebt das Flugzeug von allein ab und geht in einen sanften Steigflug. Nach Erreichen der Sicherheitsmindesthöhe ziehe ich ein wenig am Knüppel und bringe sie in die volle Steigfluglage. In etwa 370 m über Grund lässt das Steigen nach, ich runde den Bogen aus, und bei fast genau 400 m macht es "klick".

Meine erste Begegnung mit Gerhard Waibels noch heute beliebtem, seinerzeit für die Standardklasse entwickelten Flugzeug hätte unspektakulärer nicht sein können. Und das ist keinesfalls als Kritik zu verstehen. Ein Segler, der derart unkompliziert in die Luft zu bringen ist, sammelt bei mir vom ersten Moment an Sympathiepunkte.

Direkt über der Winde finde ich einen satten Bart und kann mich bis nahezu an den Luftraumdeckel des Sektors Alb Nord kurbeln, der die "Spielwiese" über dem Flugplatz Grabenstetten limitiert. Ein Genuss im Vergleich zu meiner Anreise mit meiner SZD-59 gut eine Stunde zuvor. Kamera und Objektive im Gepäckfach verstaut, Windenstart auf der Hahnweide und einfach rübergleiten – das war der Plan.

Der straffe Ostwind und das Lee der Albkante sorgten dafür, dass ich für die lächerlichen zehn Kilometer Luftlinie drei Anläufe und eine gute Dreiviertelstunde brauchte. Als mir zwischenzeitlich unser vereinseigener Discus 2c FES entgegenkam, der auch auf die Alb wollte und es sogar im F-Schlepp versucht hatte, war mir klar, es lag nicht allein an meinen nur homöopathisch ausgeprägten Streckenflieger-Skills.

Modernisierung bei Schleicher

Aber zurück zur Sache. In der Mai-Ausgabe 1975 kündigte der aerokurier gleich zwei neue Schleicher-Projekte an: die ASW 19 und die ASW 20. Die 19 für die damals nach ziemlichem Hin und Her endlich klar definierte Standardklasse, die 20 mit gleichem Rumpf und Wölbklappen-Flächen für die neu geschaffene 15-Meter-Klasse. Sechs Monate später, am 23. November 1975, hob der Prototyp der ASW 19 zum Erstflug ab.

In der Februar-Ausgabe 1976 titelte der aerokurier: "Leistung und Sicherheit zum Kampfpreis" und moderierte damit den detaillierten Bericht über das neue Flugzeug an. "Ein ehrgeiziger Leistungssegler von bestechender Eleganz, zu einem Preis, den man bei Schleicher selbst noch vor wenigen Monaten nicht für möglich gehalten hätte." Der Autor, dessen Name sich heute nicht mehr ermitteln lässt, musste wirklich begeistert gewesen sein.

ASW19_Cockpit
Lars_Reinhold

Besonders interessant ist dabei, wie Gerhard Waibel zum Thema Preisentwicklung bei Segelflugzeugen Mitte der 70er Jahre zitiert wurde: "Als sich vor etwa drei Jahren die Kosten der ASW 15 der 30.000-DM-Marke näherten, war dies für uns ein Alarmsignal ersten Ranges."

So mussten zur Herstellung des neuen Standardklasse-Seglers rationellere Fertigungsmethoden entwickelt werden, um den technischen und fliegerischen Fortschritt für den Kunden noch bezahlbar zu machen. Wie absurd solche Sätze in einer Zeit anmuten, in der ein konkurrenzfähiges Standardklasse-Flugzeug selbst gebraucht kaum unter 80.000 Euro zu bekommen ist …

Konstruktion: Von Holz zu GFK – ein neuer Standard

Tatsächlich markierte die ASW 19 in der Schleicher-Fertigung den finalen Schritt vom Holz zum Kunststoff. Zwar war bereits ihre Vorgängerin ASW 15 weitgehend in GFK-Bauweise entstanden, allerdings verwendete man hier noch Balsaholz als Stützstoff, was später zur berüchtigten Pilzproblematik des Musters führte.

Auch hier sei nochmal ein Zitat bemüht, dieses Mal von Edgar Krämer, seinerzeit Werkleiter in Poppenhausen: "Bei den Flächen erinnern nur noch Form, Profil und Umriss an die ASW 15. Vom Aufbau her handelt es sich um einen Flügel in Hartschaum-Sandwich-Bauweise mit gepressten Rowingholmen, der extrem einfach in der Herstellung ist." Auch der Rumpf wurde als tragende Laminatschale ohne Spanten und Stringer ausgelegt, um die Fertigung zu vereinfachen.

Trotz dieser Maßnahmen dachte man bei Schleicher das bei der ASW 15 erstmals verwirklichte Sicherheitscockpit konsequent weiter. Die äußere Rumpfhaut wurde gemäß dem damaligen aerokurier-Artikel überdimensioniert und durch Lüftungskanäle und Längsstringer sowie Spanten verstärkt, die die Sitzschale tragen. Zudem ist eine Innenschale eingeklebt, die zusätzliche Stabilität bringt.

ASW19_Hebel_Fahrwerk_Klappen
Lars_Reinhold

Nun ja, das will ich bei meinem ersten Ausflug mit der ASW 19 wahrlich nicht testen. Aber gut zu wissen, dass das Flugzeug in puncto passive Sicherheit zumindest damals offenbar auf der Höhe der Zeit war. Um mir keinen Ärger mit der Flugsicherung einzuhandeln, höre ich bei 5800 Fuß auf zu kurbeln und fliege ein Stück nach Süden, wo der Deckel auf FL 75 anhebt.

Was direkt auffällt: Es ist wirklich leise im Cockpit. Die Lüftung säuselt ein wenig, wobei die Stellung "auf" oder "zu" zumindest bei der D-6812 nahezu keine Auswirkungen auf die Geräuschkulisse hat. Ursache dafür dürfte sein, dass die Luft nicht direkt durch eine Öffnung in der Nase bläst, sondern den Umweg über eine NACA-Hutze unter dem linken Flügel und dann durch die oben bereits erwähnten Lüftungskanäle unter der Sitzschale nimmt, bevor sie direkt zwischen der Abdeckung des Instrumentenpanels und der Haubenverglasung ausströmt.

Cockpit für Zwei-Meter-Menschen

Insgesamt hat die ASW für Flugzeuge ihrer Zeit ein recht ergonomisches Cockpit. Dank der Verstellmöglichkeiten von Rückenlehne und Pedalen können sich hier selbst Zwei-Meter-Menschen bequem einrichten. Alle Bedienelemente befinden sich an der linken Bordwand, also Hebel für Störklappen und Fahrwerk sowie die Trimmung und einer der Wasserablasshebel.

Ausnahme ist der zweite Ablasshebel, der an der rechten Cockpitwand unterhalb des Haubenrahmens montiert ist. Warum Schleicher den Wasserablass nach Flügeln getrennt realisierte, erschließt sich mir nicht. Allerdings ist das ganze Wassersystem der ASW 19 insofern besonders, als dass sich die Abflussöffnungen nicht direkt am Flügel, sondern an den Seiten des Rumpfes befinden. Auch bei der PIK-20 ist das ähnlich gelöst, bei der beide Flügeltanks eine zentrale Befüll- und Ablassöffnung unter dem Rumpf haben.

Einmal passend platziert, dürfte man in der 19 für lange Streckenflüge kommod residieren. Mich persönlich stört allerdings die Tatsache, dass man die Trimmung nicht rasten kann, sondern dass sie über Reibung fixiert wird. Da ich beim Fliegen – egal welchen Musters – wirklich ständig am Nachtrimmen bin, nervt es, immer wieder den Knopf loszuschrauben, nachzujustieren und wieder festzudrehen.

Flugverhalten: Gutmütig, aber mit Eigenheiten

Was die Steuerung angeht, liegt die ASW 19 solide in der Hand. Sie ist natürlich nicht so agil wie ein 2er Discus oder gar meine SZD-59, lässt sich aber dennoch reichlich entspannt bewegen. Das Handbuch empfiehlt für das Kreisen in der Thermik 75 bis 80 km/h bei der recht geringen Flächenbelastung. Das kommt mir für die an diesem Tag herrschenden bockigen Aufwinde deutlich zu langsam vor. Ein-, zweimal habe ich den Eindruck, dass mich die Böen aufs Kreuz drehen wollen und ich am unteren Ende des grünen Bereichs gar nicht genug Ruderwirkung habe, um entsprechend gegenzusteuern.

Überhaupt scheint sich das Flugzeug selbst ohne Wasserballast erst bei etwa 85 bis 90 km/h so richtig wohlzufühlen, denn darunter vermittelt die Steuerung ein ziemlich teigiges Gefühl. Immer wieder passiert es mir, dass ich die Nase zu hoch nehme und zu langsam werde, was die 19 mit widerwilliger Umsetzung nachfolgender Steuereingaben quittiert.

Nö, hier lügt entweder das Handbuch oder ich bin zu schwer oder zu doof oder meine Segelflug-Glückspunkte sind schon am Anfang der Saison aufgebraucht. Erfahren werde ich es wohl nie.

ASW19_Air_to_Air_Heckansicht
Tobias_Barth

Kreiswechsel dauern bei Tempo 80 mit viereinhalb bis fünf Sekunden von 45 Grad zu 45 Grad gefühlt länger als mit anderen Standardklasse-Flugzeugen, auch verlangt die ASW 19 gegen Ende des Manövers einen deutlichen Seitenruderimpuls, um den Faden in die Mitte zu bekommen. Auch bei Rollübungen muss sehr differenziert gesteuert werden, damit die Nase ein halbwegs sauberes U um den Blickpunkt beschreibt.

Gewöhnungsbedürftig ist, dass das Seitenruder durch recht straffe Federn an den Pedalen im jeweiligen Ausschlag beinahe fixiert wird, wenn keine aktive Neutralstellung erfolgt. Am unteren Ende der Geschwindigkeitsskala verhält sich die 19 vergleichsweise gutmütig, der Sackflug ist selbst bei voll gezogenem Knüppel mit dem Seitenruder gut steuerbar.

Das im Handbuch beschriebene Buffeting ist aber deutlich geringer ausgeprägt, als ich erwartet habe. Wenn es ihr zu langsam wird, senkt sie einfach die Nase und holt sich Fahrt. Ins Trudeln geht sie zumindest bei meinem Kampfgewicht von etwa 82 kg inklusive Schirm nur widerwillig, und das auch sehr steil.

Es dauert mehr als eine halbe Umdrehung, bis man wirklich den Eindruck hat, dass die Strömung abgerissen ist. Dann wird die Bewegung sehr schnell, sodass man den Eindruck hat, sich in einem Spiralsturz zu befinden. Zwar behauptet das Handbuch, dass das Trudeln beim Neutralstellen aller Ruder sofort aufhört, ich beende es aber doch lieber aktiv mit der Standardmethode.

Strecken bis über 800 Kilometer

Den besten Gleitwinkel erreicht die ASW laut Handbuch bei 90 bis 105 km/h, je nach Flächenbelastung. Auch bei höheren Geschwindigkeiten bleibt die akustische Rückmeldung über vorbeiströmende Luft allenfalls dezent, man kann sie also auch mal laufen lassen, ohne dass es gleich wie wild faucht. Die Überlandflugqualitäten lassen sich bei meinem kurzen Ausflug freilich nicht beurteilen, aber ein Blick in WeGlide verrät, dass es durchaus Piloten gibt, die die Leistung des Musters auszureizen verstehen.

Insbesondere Hannes Paulus von der Fliegergruppe Gingen an der Fils ist hier herauszuheben: Unter den neun ASW-19-Flügen über 750 km taucht er fünf Mal mit Strecken zwischen 754 und 862 km auf, allesamt als raumgreifende FAI-Dreiecke vom Flugplatz Oppingen-Au aus geflogen.

Spitzenreiter indes ist Herbert Ziegerhofer von der Kapfenberger Sportvereinigung Segelflug, der am 26. August 2011 von Leoben-Timmersdorf in der Steiermark aus innerhalb von 10:12 Stunden 954,5 km mit einem Schnitt von 95 km/h flog. Sein westlichster Wendepunkt lag dabei mehr als 370 km westlich des Startortes. Es scheint bei der ASW 19 also vor allem – und wie so oft – der P-Faktor zu sein, der zum Erfolg führt.

Von solchen Leistungen bin ich freilich weit entfernt. Aber je länger ich im Cockpit sitze, desto mehr verfestigt sich mein Eindruck, dass die ASW 19 heute vor allem als Genussflugzeug taugt. Einsteigen, starten, entspannt über die Landschaft gleiten und die Aussicht genießen. Diese Begegnung mit der Waibel-Konstruktion erinnert mich an meinen ersten Flug mit der LS4 ziemlich genau vier Jahre zuvor auf dem Nachbarplatz Hülben.

Auch im Muster von Wolf Lemke, das 1980 zum ersten Mal in die Luft ging, hatte ich das Gefühl, dass damit auch ein dressierter Schimpanse klarkäme. Und auch das ist keineswegs negativ gemeint. Beide Flugzeuge machen es ihrem Piloten verdammt leicht, sei es im Start, bei der Thermiksuche oder im Überlandflug. Man muss nicht perfekt im Training stehen, um seinen Spaß zu haben, weshalb sich die Muster ideal für den Vereinsbetrieb eignen.

Und wenn man doch mal einen Clubklassewettbewerb bestreiten will, bieten sie dennoch Potenzial, um solide mitzufliegen. Die ASW 19 wird hier mit dem Index 100 gewertet, die LS4 mit 103 bzw. mit Winglets mit 104.

Wer also einen Einsitzer frei von Hochleistungsattitüde sucht, kann sich nach einer ASW 19 umsehen. Falsch macht man damit ganz sicher nichts. Komplettpakete dürften, je nach Zustand, Anhänger und Zubehör, zwischen 20.000 und 25.000 Euro zu haben sein.