Kein Handy, kein Radio hat Christian Langenau in seiner Werkstatt in Busdorf, Schleswig-Holstein. Bloß keine Ablenkung. Flugzeuge zu bauen oder zu reparieren, hat für ihn etwas Meditatives. Jeder Handgriff soll sitzen. So versinkt er in der Präzision seiner Arbeit, die am Ende den Prüfer und auch die Zulassungsbehörde überzeugen soll.
Früher flog der heute 60-jährige Alpha Jet und Tornado für die Bundeswehr, später die Pilatus PC-9 für eine Privatfirma in Kiel. Seit vielen Jahren lebt er seine etwas andere Luftfahrtleidenschaft aus: Bau und Reparatur historischer Segelflugzeuge. Als sein Grunau Baby fertig war, stellte sich für ihn die Frage: was nun? 2018 kam Christian Langenau anlässlich eines Baby-Treffens mit Ulf Kern ins Gespräch.
Kern hatte unter anderem mit seinem Nachbau des Oldtimers Hol's der Teufel, einer Konstruktion von Hans Jacobs aus dem Jahre 1927, die schließlich von Alexander Schleicher vollendet wurde, das Segelflug-Leistungsabzeichen in Silber erflogen – als Erster auf einem Gleitflugzeug. Kern riet ihm: "Bau doch etwas, das nicht mehr fliegt." Der Schleswig-Holsteiner entschied, es sollte sowohl per Flugzeugschlepp als auch per Winde in die Luft kommen können, da sein Heimatland zwar ein paar Buckel, aber keine nennenswerten Hänge hat.
Die Geschichte hinter "Die Grüne Post"
Seine Wahl fällt auf Die Grüne Post, deren Name und Ursprung im Jahr 1932 eine ungewöhnliche Geschichte hat. "Die Grüne Post" war eine Wochenzeitung des Ullstein-Verlages. Die Redaktion beauftragte damals den namhaften Flugzeugkonstrukteur Alexander Lippisch, ein im Aufbau einfach gehaltenes Segelflugzeug zu entwerfen. Damit sollte vor allem die flugbegeisterte Jugend kostengünstig an den Luftsport herangeführt werden.
Fritz Stamer, damals der Leiter der Flugschule auf der Wasserkuppe, stellte nach dem Erstflug fest: "Auf Anhieb ging der Kasten in die Luft und lag da vollkommen richtig." Die Bauzeichnungen erschienen als zweiteiliger Sonderdruck. Christian Langenau wundert sich über die damaligen Modalitäten: "Als Lizenzgebühr war nichts weiter zu leisten, als auf den Flugzeugen den Schriftzug ,Die Grüne Post‘ anzubringen", sagt er.

Die Grüne Post wurde von Alexander Lippisch als kostengünstiger Schulgleiter zur Förderung des Segelflugsports konstruiert.
Ihn treiben weitere Fragen zur Historie um. Wo gibt es eine Original-Bauanleitung? Er hat nur einen Scan zur Hand – dank der Hilfe der Interessengemeinschaft Albatros in der Schweiz. Der Verein unterstützt den Nachbau von Oldtimer-Segelflugzeugen, ähnlich wie die Oskar-Ursinus-Vereinigung in Deutschland Selbstbauern bei ihren Projekten unter die Arme greift. "Mein größter Wunsch ist, an die Originalunterlagen für Die Grüne Post heranzukommen."
Warum hat die Zeitung in den unruhigen Jahren mit Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Straßenkämpfen zwischen Nazis und Kommunisten überhaupt Do-it-yourself im Luftsport gefördert? Christian Langenau sucht Antworten unter anderem auf der Wasserkuppe, erinnert an den rasanten technischen Fortschritt im Flugzeugbau in den 20er Jahren und die entsprechenden Impulse für den Segelflug. Der Sport begeisterte damals breite Bevölkerungskreise und bot eine kostengünstige Alternative zu dem nach dem Ersten Weltkrieg verbotenen Motorflug.
Wie viele Nachbauten gab es?
Die von Luftfahrtpionier Oskar Ursinus 1908 gegründete Zeitschrift "Flugsport" schrieb im Februar 1933, dass 2500 Bauanleitungen für Die Grüne Post angefordert worden seien. "Vielleicht sind ungefähr einhundert geflogen", sinniert Langenau. Eine schlüssige Antwort auf diese Frage findet sich aber weder im Archiv des Ullstein-Verlages noch in dem des Axel-Springer-Verlages. Der hatte 2004 alle Unterlagen zu Zeitungen und Zeitschriften von Ullstein übernommen.
Christian Langenau vermutet, dass Exemplare der Grünen Post bis Mitte der 30er Jahre geflogen sind. Er findet aber keine Hinweise darauf, dass irgendwo noch ein originales Flugzeug erhalten ist. Lediglich einen einzigen Nachbau aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kann er ausfindig machen, aber der ist nie geflogen, weil ihm die Verkehrszulassung verwehrt wurde. Der Segler hängt an der Decke im Segelflugmuseum auf der Wasserkuppe. Und hier nimmt Langenaus eigenes Bauprojekt seinen Anfang.
Mit einem Hubsteiger nähert sich der Tüftler dem Objekt seines Interesses und nimmt Maß. Er erkennt, dass Die Grüne Post dem "Prüfling" von 1926 ähnelt, einer Weiterentwicklung des Zöglings, die sich aber nicht recht durchsetzen konnte. Nach allen Recherchen und Theorien beginnt Langenau im Juni 2020 mit dem Bau. Entscheidende Starthilfe bietet ein Gutachten von Jürgen Fecher von der Oskar-Ursinus-Vereinigung, das den Weg freimacht für einen Nachbau mit möglichen Geschwindigkeiten im F-Schlepp von 100 km/h und an der Winde von 80 km/h. Notwendig sind nur ein paar Ergänzungen zum Originalbauplan: verstärkte Holme, die Schleppkupplungen, moderne Instrumente und ein anderer Bespannstoff.
Baustart mit Hindernissen – und einem Gutachten als Schlüssel
Christian Langenau ist sich sicher, dass die auf der Wasserkuppe ausgestellte Grüne Post hätte fliegen können, da sie durchaus nach heute gültigen Standards nachgebaut wurde. Er vermutet, dass damals das Zulassungsverfahren unterschätzt worden sei. Die Anforderungen des Luftfahrt-Bundesamtes seien nicht vorab abgefragt worden, womit unter anderem Details zu Last und Statik im Nachhinein nicht geprüft werden konnten. Langenau hingegen hat eine komfortable Ausgangslage: die Kopie der Bauanleitung, das Gutachten der OUV, zertifiziertes Holz und vor allem die Erfahrungen seiner Vorgänger von der Wasserkuppe. Bei seiner Arbeit hält er engen Kontakt zum LBA.

Noch ohne Bespannung zeigt das Foto die vielen filigranen Holzteile der Konstruktion.
Griffbereit liegt auf der Werkbank die antiquarische "Werkstattpraxis für den Bau von Gleit- und Segelflugzeugen" von Hans Jacobs, dem einstigen Chef der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug in Griesheim. Das Handbuch, hier eine Ausgabe von 1941, gilt als Bibel für alle, die Oldtimer bauen oder reparieren. Detailliert wird das Schäften von Holz, das Setzen von Füllklötzen und das richtige Verleimen erklärt, zudem, wie Drahtverbindungen hergestellt oder Steuerseile gespleißt werden. Selbst das Dengeln von Aluminium wird beschrieben. Das Buch erklärt auch, wie Baupläne gelesen und die Werkstatt eingerichtet werden sollten. Nur die Kapitel über Schweißtechniken und den verwendeten Leimarten seien überholt.
Als Erstes baut Christian Langenau die Rippen für die Tragflächen. "Das war eine Routinearbeit, die mir ziemlich auf den Keks gegangen ist. Deshalb habe ich das auch vorgezogen", gibt er zu. Auch die Arbeit an Kleinteilen "ist natürlich lästig, wo ich mich im Kopf bereits im Flugzeug sitzen sehe". Insgesamt sei alles zeitaufwendiger gewesen als gedacht. "Unterm Strich hat alles vier Jahre gedauert, dabei hatte ich zwei angenommen." Vor allem sei also Geduld gefordert gewesen. "Da gilt die alte Weisheit: Gut Ding will Weile haben."
Bis zum Winter 2023 werden etliche Versuche fällig, unter anderem ein Lastversuch mit fast 1000 Kilogramm in Sandsäcken auf den Tragflächen. Für einen Artikel im Jahrbuch 2024 der OUV fasst Christian Langenau die letzten Arbeitsschritte so zusammen: "Seit Januar 2024 bekam die ‚Post‘ jetzt auch endlich was auf die Rippen. Der Rumpf und die Tragflächen wurden mit Oratex UL 600 antik in der gleichen Optik wie das Grunau Baby bespannt." Die Wahl dieses leichten Stoffes habe fünf Kilogramm Gewicht eingespart. Das Wiegen ergab "einen erfreulichen Zuladungsbereich von 75 bis 106 Kilogramm bei einem Leergewicht von 123 Kilogramm".
Mischung aus Baby und SG 38
Seit September 2024 liegt die vorläufige Verkehrszulassung zur Flugerprobung durch das LBA vor, im März 2025 wird sie um ein Jahr verlängert, um weitere Flugtests durchführen und Details nachbessern zu können.
Die Grüne Post startet 91 Jahre nach ihrem Erstflug als D-9753 auf dem Flugplatz in Kropp zu ersten Versuchen im F-Schlepp, anschließend mit der Winde auf dem Segelflugplatz Aukrug. Christian Langenau: "Die ersten Starts hinter einem Rotax-Falken entsprachen weitgehend den Erwartungen. Die ,Post‘ fliegt sich wie eine Mischung aus Grunau Baby und SG 38. Die Aussagen zu den Flugleistungen aus Ursinus` Magazin ‚Flugsport‘ vom Februar 1933 mit einer Gleitzahl von 16 und einem Eigensinken von knapp 1 m/s scheinen aber doch eher Werbecharakter zu haben."
In der zweiten Phase der vorläufigen Verkehrszulassung geht es nun darum, einen guten Mix aus Flugleistungen und Flugeigenschaften zu erzielen. "Ich muss durch die Flugerprobung vor allem nachweisen, dass sie sich gutmütig und in allen Lagen sicher fliegen lässt. Darauf legt die Behörde wert, das ist jetzt entscheidend."
Daten Die Grüne Post
Die wichtigsten Daten der Die Grüne Post für Sie auf einen Blick zusammengefasst.
Maße
- Spannweite: 10 m
- Länge: 5,84 m
- Tragflügelfläche: 13,5 m²
- Streckung: 7,4
- Leergewicht: ca. 110 kg
Geschätzte Leistungen
- Sinkgeschwindigkeit: 0,98 m/s
- Gleitzahl: 16,5
- Geschw. für beste Gleitzahl: 60 km/h
- beste Flugzeugschleppgeschw.: 90 – 100 km/h
- Landegeschwindigkeit: ca. 35 – 38 km/h