Bin ich fit genug für mein Flugvorhaben? Die Antwort auf diese Frage verlangt eine gehörige Portion Reflexionsvermögen. Zwei junge Piloten haben ein Tool entwickelt, mit dem sich Piloten selbst bewerten können.
Bin ich fit genug für mein Flugvorhaben? Die Antwort auf diese Frage verlangt eine gehörige Portion Reflexionsvermögen. Zwei junge Piloten haben ein Tool entwickelt, mit dem sich Piloten selbst bewerten können.
Die Planung eines Fluges ist eine komplexe Angelegenheit, bei der eine Vielzahl von Variablen berücksichtigt wird, angefangen von Wetter und Flugroute über Treibstoffberechnung und Weight and Balance bis hin zu Start- und Landestrecken. Bei der Mehrzahl dieser Punkte werden Sicherheitsfaktoren und Zuschläge für Unvorhergesehenes einkalkuliert. Die nachfolgend dargestellte Methode soll eine Anregung sein, Flugvorhaben systematisch nach Anforderungen zu bewerten, mögliche Risiken zu identifizieren und zu vermeiden sowie Verbesserungsmöglichkeiten für die eigenen Fertigkeiten zu entdecken.
Der Pilot definiert für den Flug verschiedene Dimensionen, deren jeweils wichtigstes Merkmal es ist, dass hier die Fertigkeiten und die Anforderungen für sich betrachtet werden können und sich nicht mit denen der anderen Dimensionen gegenseitig beeinflussen. Anhand der sechs folgenden Dimensionen, die wir als beispielhaft herausgearbeitet haben, und ihnen zugeordneter Fragen lassen sich die Herausforderungen des Fluges analysieren:
1.) Navigation und Lufträume
2.) Flugplätze
3.) Passagiere
4.) Wetter
5.) Flugzeug
6.) Ausdauer und Belastbarkeit
In jeder Dimension bewertet jetzt der Pilot seine Fertigkeiten und die Anforderungen, die der Flug an ihn stellt. Beide Bewertungen sind vollkommen subjektiv, zugegebenermaßen nur schwer quantifizierbar und hängen zudem mit Sicherheit auch von der Tagesform ab. Daher ist es wichtig, dass beide Bewertungen gemeinsam vorgenommen werden, denn nur so haben sie einen gemeinsamen Maßstab und sind miteinander vergleichbar.
Die Fertigkeiten des Piloten sind seine Fähigkeiten, beispielsweise mit bestimmten Eigenschaften des Fluges umzugehen oder auf sich ändernde Wetterbedingungen oder Probleme der Passagiere einzustellen. Im Gegensatz zu Wissen sind Fertigkeiten viel flüchtiger und müssen durch regelmäßige Übung erhalten werden.
Die Bewertung der Fertigkeiten beantwortet die Fragen:
Die letzte Frage, also nach den objektiven Daten, ist bei der Einschätzung der eigenen Fertigkeiten der wichtigste Punkt. Gemeint sind damit quantifizierbare Daten, die etwas über die eigenen Fertigkeiten aussagen. Am bekanntesten ist sicherlich das weit verbreitete Trainingsbarometer, bei dem die Anzahl der Starts und die Anzahl der Flugstunden in den letzten Monaten zu einem Trainingsstand zusammengefasst werden. Aber es könnte auch einfach ein Blick ins eigene Flugbuch sein, um zu zählen, wie oft ich selbst wirklich zu diesem oder zu jenem Platz geflogen bin. Zudem haben einige Organisationen und Flugschulen eigene Zählungen, Trainingstabellen und Kennzahlen entwickelt, die einem Piloten dabei helfen, seine eigenen Fertigkeiten objektiv zu beurteilen und sich eben nicht „in Sicherheit“ zu lügen, um einen bestimmten Flug unbedingt durchführen zu können.
Anforderungen sind die Eigenschaften des Fluges in seiner geplanten Form, denen jeder Pilot, unabhängig von seinen Fertigkeiten, ausgesetzt wäre. Üblicherweise lassen sich diese Eigenschaften gut quantifizieren. Folgende Fragen ermöglichen es, die Anforderungen eines Flugs zu bewerten:
Die Kapazität schließlich ist der Abstand zwischen der Bewertung der Fertigkeiten und der Bewertung nach den Anforderungen in den einzelnen Dimensionen. Die Kapazität gibt dem Piloten den Spielraum und die Reserve zu reagieren, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Deshalb muss die Kapazität immer positiv sein, heißt, die Fertigkeiten müssen größer sein als die Anforderungen.
Je kleiner die Kapazitäten für einen Flug werden, desto vorhersehbarer ist, dass die Arbeits-belastung steigt. Für die Allgemeine Luftfahrt gilt üblicherweise, dass eine steigende Arbeitsbelastung zu einer schlechteren Leistung (Performanz) des Piloten im Cockpit und zu einem geringeren Situationsbewusstsein führt.
Ein einfacher Flug bildet die Grundlage für die Entwicklung der eigenen fliegerischen Fertigkeiten. Entlang der oben definierten Dimensionen kann er wie folgt dargestellt werden:
Mit diesen Überlegungen sind bereits alle Einschätzungen zu Fertigkeiten und Anforderungen abgeschlossen. Überträgt man sie in eine Spinnennetz-Grafik, in der die Dimensionen sternförmig um das Zentrum herum angeordnet sind, und trägt in jeder Richtung Fertigkeiten und Anforderungen ab, ergeben sich daraus die Kapazitäten aus der Differenz der beiden Werte. Die obere Grafik zeigt, dass für diesen Sightseeing-Flug die Kapazitäten rundherum hoch sind, da der Trainingsstand des Piloten hoch ist und der Flug nur geringe Anforderungen stellt.
Geringe Kapazitäten in einer oder mehreren Dimensionen führen zu einer höheren Arbeitsbelastung. Als Pilot bin ich näher an meiner Leistungsgrenze.
Liegen in meinem Flugvorhaben die Anforderungen in mehreren Dimensionen nahe an meinen Fertigkeiten, so ist absehbar, dass ich eine große Arbeitsbelastung bewältigen muss und eine geringere Performanz erbringe. Die Kapazitäten, die ich als Pilot zur Verfügung habe, um „sicher“ mit unvorhergesehenen Ereignissen zurechtzukommen, sinken. Kurzfristig geänderte Anflugverfahren, Systemfehler oder das Verhalten eines Passagiers können dann schnell bedrohlich werden.
Ein Flug zu einem unbekannten Platz in einem unbekannten Flugzeug ist ein klarer Fall einer doppelten Anforderung. Ein solcher Flug ist in der unteren Grafik visualisiert: Deutlich erkennbar sind die hohen Anforderungen und gleichzeitig geringen Kapazitäten in den Dimensionen „Flugplätze“ und „Flugzeug“. Dies ist ein Flug mit einem geringen Spielraum für Unvorhergesehenes. Ich muss diesen Flug anders planen.
Wenn ich einen Flug plane, bei dem ich erkenne, dass die Kapazitäten rundherum, in allen Dimensionen, gering sind, dann ist das ein guter Zeitpunkt, die ganze Planung abzubrechen. Denn noch einmal: Geringe Kapazitäten bedeuten eine schlechte Leistung von mir als Piloten und keinen Spielraum für Unvorhergesehenes. So einen Flug führe ich nicht durch!
Geringe Kapazitäten in einzelnen Dimensionen eines geplanten Fluges müssen nicht schlecht sein. Vielmehr können sie als Herausforderungen genutzt werden, um im Rahmen von gezielten Übungen die eigenen Fertigkeiten auszubauen und fortlaufend zu verbessern – oder zumindest zu erhalten.
Dazu kann ich einen Flug planen, bei dem genau eine Dimension mit einer geringen Kapazität übrig bleibt, in der ich meine Fertigkeiten gezielt entwickle. In dem oben beschriebenen Fall habe ich dazu zwei Möglichkeiten, nämlich erstens, den geplanten Flug zwar mit dem unbekannten Flugzeug, aber zu einem bekannten Platz durchführen, um meine Fertigkeiten in der Dimension „Flugzeug“ zu entwickeln, oder zweitens, den geplanten Flug zu dem unbekannten Platz, aber mit einem bekannten Flugzeug durchführen, um meine Fähigkeiten in der Dimension „Flugplätze“ zu entwickeln. In beiden Fällen bleibt nur eine Anforderung übrig, an der ich gezielt und konzentriert arbeite. Auf genau diese Weise lassen sich auch alle anderen Dimensionen einzeln verbessern und dann kombinieren. Außerdem habe ich die Möglichkeit, einen Kameraden oder Fluglehrer anzusprechen, um mich bei der Entwicklung meiner Fertigkeiten zu unterstützen – sei es durch Durchsprechen der zu erwartenden Anforderungen oder einfach Mitfliegen.
Die vorgestellte Methode bietet einen Rahmen für die Selbsteinschätzung, wie groß die Arbeitsbelastung für einen geplanten Flug werden könnte und wie groß der Abstand zwischen den eigenen Fertigkeiten und den Anforde- rungen eines Fluges sein werden. In voneinander unabhängigen Dimensionen schätzt der Pilot Anforderungen ein und erhält mit einer einfachen Visualisierung einen Überblick über seine freien Kapazitäten für den geplanten Flug.Wichtig ist es dabei, parallel auftretende geringe Kapazitäten in mehreren Dimensionen zu identifizieren und ihnen zu begegnen. Die Anforderungen sollen allerdings nicht vom Fliegen abhalten, sondern gezielte Schwerpunkte für die eigene Verbesserung bieten. So kann ein Pilot auch ganz bewusst Entscheidungen treffen, um sich selbst – im besten Sinne – herauszufordern und durch Fokussieren auf die Situation weiterzuentwickeln, solange in keiner anderen Dimension eine ähnlich große Anforderung besteht.