Die Luftfahrttechnik ist heute so ausgereift, dass technische Fehlfunktionen nur noch in seltenen Fällen zu Flugunfällen führen. Über 75 Prozent aller Flugunfälle sind auf Pilotenfehler zurückzuführen, schätzt die amerikanische Unfall-Untersuchungsbehörde NTSB. In Europa dürfte diese Zahl kaum niedriger liegen. Doch was genau sind Pilotenfehler, und wie kann man ihnen begegnen, um sie zu beseitigen? Die Air Safety Foundation der amerikanischen Piloten- und Flugzeugbesitzervereinigung AOPA beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage und hat mehrere Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Sie geht davon aus, dass die häufigste Ursache für Flugunfälle einfach eine Folge von falschen Entscheidungen von Piloten in bestimmten Situationen sind. Deswegen hat sie Empfehlungen erarbeitet, die unter dem Stichwort „Decision Making“ auch in der professionellen Fliegerei Einzug gehalten haben. Ziel der Handreichungen ist es, dass die Piloten zur richtigen Zeit die richtigen Entscheidungen treffen und so Unfälle vermeiden.

Grundsätzlich sind es nach Ansicht der Unfallforscher in der Allgemeinen Luftfahrt vor allem zwei Faktoren, die zu falschen Entscheidungen führen: Überlastung und Spaß.
Mit Überlastung ist dabei nicht nur mentale Überforderung gemeint, sondern auch die Überlastung dadurch, dass ein Pilot von sich und seinem Flugzeug mehr verlangt, als er beziehungsweise es leisten kann. Beispiel Einflug in IMC eines Piloten ohne Instrument Rating und/oder mit einem Flugzeug, das nur für den Sichtflug ausgerüstet ist. Eine andere Art der Überlastung ist eher wörtlich zu verstehen: Bewusstes oder unbewusstes Überladen des Flugzeugs mit der einhergehenden Verschlechterung der Flugleistungen. Nicht zuletzt rechnet die AOPA Air Safety Foundation auch den Versuch, mit wenig Treibstoff einen Flugplatz noch zu erreichen, zur Rubrik „Überlastung“. In allen drei Fällen haben falsche Entscheidungen der Piloten vielfach zu vermeidbaren Unfällen geführt.
Spaß als Unfallfaktor wird selten beleuchtet, aber er ist auch in Deutschland für einige fatale Unfälle verantwortlich. In diese Rubrik fallen: Kunstflug ohne Aerobatikerfahrung oder mit ungeeigneten Flugzeugen und Tiefflüge über markante touristische Punkte oder das eigene Haus.
Typisch für solche Unfälle ist, dass die Piloten durchaus wissen, dass sie ihre Limits überschreiten, aber sie trotzdem die falsche Entscheidung treffen und eine Verwandtenbesuchskurve drehen oder sich ohne Ausbildung an Kunstflugfiguren versuchen. Die Air Safety Foundation versucht, Piloten Hilfestellung zu geben, damit diese es leichter haben, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Grundsätzlich gilt, dass viele Flugunfälle bereits vor dem Start ihren Ausgangspunkt haben. Der Klassiker „Einflug in IMC“ ist nicht selten darauf zurückzuführen, dass die Piloten keine oder nicht ausreichende Wetterinformationen eingeholt hatten. Mit den entsprechenden Informationen hätten sie gewusst, dass sie in eine Wetterfalle fliegen. Deshalb rät die Organisation, sich Standards anzugewöhnen, wie zum Beispiel das Einholen von Wetterinformationen vor jedem Flug oder das Benutzen der Checkliste, und von diesen auf keinen Fall abzuweichen.
Druck, sei es finanzieller, sozialer oder zeitlicher, ist Gift für die Flugsicherheit und hat nachweislich zu vielen Unfällen geführt. In einem solchen Fall rät die Air Safety Foundation, immer einen Plan B zu entwickeln. Dieser Plan B kann auch heißen, auf einen Flug komplett zu verzichten und ein alternatives Verkehrsmittel zu nutzen, wenn das Wetter marginal ist, aber man unbedingt einen Termin an einem bestimmten Ort einhalten muss.
Wenn man nicht von Anfang an einen Plan B entwickelt hat, wird einem dieser nur mit Mühe einfallen, falls man ihn braucht, ist die Erfahrung von Psychologen, denn der Mensch greift unter Druck auf Verhaltensmuster zurück, die er kennt, um einer Situation zu entkommen. Hat man sich vorab mit einem Plan B oder einem Plan C beschäftigt, fällt es leicht, auf diese zurückzugreifen und anzuwenden. Ein Beispiel dafür ist das Sicherheitsbriefing vor dem Start: Was passiert, wenn im Start der Motor ausfällt? Wo kann ich in der Platzrunde landen, welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um zum Platz zurückzusegeln, und wie sieht die Aufgabenverteilung im Cockpit in einem solchen Fall aus?
Wer sich mit diesen Fragen vor dem Start ernsthaft beschäftigt hat, wird einen Notfall eher meistern als ein Pilot, der sich damit erst nach dem Stottern des Motors auseinandersetzt.
Während des Fluges gehört es zum Handwerkszeug eines Piloten, seine vorab erhaltenen Informationen über Wetter, Flugzeugsysteme oder Verkehr mit den aktuellen Beobachtungen zu vergleichen. Kommt die angekündigte Front eventuell schneller als vorhergesagt, stimmen Öldruck und -temperatur mit den Handbuchwerten überein? Wenn nicht, dann ist es sinnvoll, Alternativen zu ergreifen, Entscheidungen zu treffen und diese auch konsequent umzusetzen.

Um Unfälle zu vermeiden, bei denen ein Pilot das Flugzeug trockenfliegt und wegen Treibstoffmangel notlanden muss, ist es sinnvoll, sich geistige Auffanglinien zu ziehen. Nicht selten wird der Wunsch, seinen Zielflugplatz mit dem an Bord befindlichen Sprit zu erreichen, durch Gegenwind oder Umwege zunichte gemacht. Um einen dadurch bedingten Unfall zu vermeiden, kann man sich als Auffanglinie einen Zeitpunkt setzen, an dem man auf jeden Fall eine Zwischenlandung zum Tanken durchführt. Oder man steuert konsequent den nächsten Flugplatz mit Tankstelle an, wenn der Treibstoffpegel einen bestimmten Stand erreicht hat. Moderne Avionik hilft bei der Entscheidungsfindung, denn sie stellt den Luftfahrzeugführern heute eine nie zuvor gekannte Fülle an Informationen zur Verfügung. Aber das kann die Avionik nur, wenn man sie wirklich beherrscht. Mit einem Flugzeug zu fliegen, dessen Avionik man nicht beherrscht, wäre eine schlechte Entscheidung.
Vorausschauendes Fliegen und kontinuierliches Schauen nach Handlungsoptionen darf allerdings nicht zu einer Paranoia führen, in der man sich stets kurz vor einem Unfall sieht. Fliegen soll Spaß machen und sicher sein. Mit steigender Erfahrung haben Piloten ein größeres Repertoire an Handlungsoptionen zur Verfügung. Ob sie dieses Repertoire abrufen können, ist abhängig davon, wie bewusst sie Entscheidungen treffen. Die AOPA Air Safety Foundation hat festgestellt, dass erfahrene Piloten konservativer fliegen und schneller die richtigen Entscheidungen treffen, denn sie haben aus ihren Fehlern gelernt.
aerokurier Ausgabe 08/2014