Der Zustand des Antriebes eines motorgetriebenen Luftfahrzeuges ist für die Flugsicherheit von größtem Interesse. Allerdings sind einige Bereiche des Verbrennungsmotors nur schwer zugänglich, und es ist sehr schwierig, sie einer Sichtprüfung zu unterziehen.
Zu diesen neuralgischen Punkten zählen unter anderem die Brennräume des Motors – schließlich ist der einzige Zugang zum Brennraum die Bohrung für die Zündkerze im Zylinderkopf. Durch die Kerzenbohrung kann der Brennraum visuell begutachtet werden. Mit einem Endoskop lassen sich der Kolbenboden, die Laufflächen und Ventile auf Beschädigungen, Verschleiß oder ungewöhnliche Verfärbungen untersuchen. Was dem Endoskop verborgen bleibt, ist zum Beispiel der Zustand der Kolbenringe. Deswegen kann mit ihm auch nicht festgestellt werden, ob die Kolbenringe den Brennraum noch ausreichend abdichten. Das Gleiche gilt für die Dichtheit der Ein- und Auslassventile. Daher ist es naheliegend, die Dichtheit der Brennräume im Rahmen der periodischen Motorwartungen einer Prüfung zu unterziehen.
In der Kraftfahrzeugwartung wird hierzu eine Kompressionsmessung durchgeführt. Anstelle der Zündkerze wird ein Anschlussadapter in den Zylinderkopf eingeschraubt, an den wiederum ein Druckmessgerät angeschlossen wird. Anschließend wird der Motor mittels Anlasser durchgedreht und der maximal angezeigte Druck im Brennraum notiert. Der Vorteil dieser Methode ist, dass die benötigte Technik recht einfach und preiswert ist und dass die Messung sehr schnell durchgeführt werden kann.
Bei der Prüfung von Kolbentriebwerken in der Luftfahrt hat sich jedoch die Druckverlust-Messmethode durchgesetzt. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte sein, dass es schlichtweg nicht praktikabel ist, das Triebwerk zur Prüfung mittels Anlasser durchzudrehen. In der Wartungshalle eines Luftfahrttechnischen Betriebes wäre die klassische Kompressionsmessung nicht sicher durchführbar. Ein weiterer Nachteil der klassischen Kompressionsmessung ist die Abhängigkeit der Messergebnisse von der Drehzahl, mit der der Anlasser den Motor durchdreht. Die Druckverlust-Messmethode liefert dagegen sehr reproduzierbare Messergebnisse. Daher verlangt die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA diese Methode auch explizit für die periodische Überprüfung von Kolbentriebwerken. Beschrieben wird sie im FAA Advisory Circular 43.13-1, Kapitel 8. Aus diesem Grund schlagen auch praktisch alle Flugmotorenhersteller diese Messmethode für die Wartung und Überprüfung ihrer Motoren vor.
So wird gemessen
Das eigentliche Ziel der Druckverlustmessung ist die Ermittlung der Luftmenge, welche bei einem bestimmten Druck aus dem Brennraum entweicht. Das Messverfahren beruht auf dem Zusammenhang von Druckdifferenz und Volumenstrom durch eine Düse. Druckluft mit einem vorgegebenen Druck von 80 PSI (80 pounds per square inch) wird durch eine Düse mit einem Durchmesser von einem Millimeter (0,04 Zoll) in den Zylinder geleitet. Der Druck im Zylinder wird dann durch ein zweites Druckmessgerät erfasst. Gemessen wird übrigens am betriebswarmen Motor, wenn der Kolben am oberen Totpunkt steht und beide Ventile geschlossen sind. Die FAA und viele Motorenhersteller erlauben einen Druckverlust von 20 PSI beziehungsweise eine Druckanzeige von mindestens 60 PSI auf dem zylinderseitigen Messgerät. Bei einem Prüfdruck von 80 PSI entspricht dies einem Verlust von 32 Litern pro Minute aufgrund von Undichtigkeiten. In den Wartungsunterlagen würde dieses Messergebnis als 60 über 80 PSI angegeben oder kurz 60/80 PSI.
Vorsicht ist bei der Wahl der Messgeräte geboten. Die FAA schreibt einen Düsendurchmesser von 1,5 Millimeter für Motoren mit einer Bohrung von mehr als fünf Zoll vor. Bereits ein O-320-Motor von Lycoming hat eine Bohrung von 5,1 Zoll und würde daher eine Messung mit einer 1,5-Millimeter-Düse verlangen. Mit dieser größeren Düse würde jedoch der gleiche Volumenverlust von 32 Litern pro Minute ein Messergebnis von stolzen 77 über 80 PSI ergeben. In einem älteren Advisory Circular der FAA wurde nicht nach Bohrung, sondern nach Hubraum unterschieden, wonach die größere Düse bei den üblichen Motoren in der Allgemeinen Luftfahrt nicht zum Einsatz kam. Diese Änderung durch die FAA hat seinerzeit leider für viel Verwirrung gesorgt, bis die Motorenhersteller schließlich die zu verwendende Düsengröße über Service-Bulletins vorgegeben haben.
Heute schreiben alle Motorenhersteller die Verwendung von Druckverlust-Messgeräten mit einer Düsengröße von einem Millimeter vor. Sowohl Lycoming als auch Rotax erlauben einen minimalen Messwert von 60 über 80 PSI. Continental gibt dagegen keinen minimalen Druckwert an, sondern hat eine weitere Düse definiert, mittels derer der minimal zulässige Messwert ermittelt wird. Diese Düse, die sogenannte Master Orifice, wird anstelle des Zylinders an das Messgerät angeschlossen. Nun wird der Messdruck auf 80 PSI eingestellt und der Druckwert am zylinderseitigen Messgerät abgelesen. Der abgelesene Druck ist nun der untere zulässige Messwert bei der Druckverlustmessung. Bei einem Messgerät mit einer Düsengröße von einem Millimeter ergibt sich bei dieser Kalibriermessung ein unterer Druckgrenzwert von zirka 40 PSI.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als seien bei einem Continental-Motor deutlich größere Undichtigkeiten des Brennraums erlaubt. Berechnet man jedoch den Volumenverlust eines Zylinders mit einem Messergebnis von 40 über 80 PSI, dann wird man feststellen, dass dieser lediglich um 8 Liter pro Minute höher liegt als die 32 Liter pro Minute des PSI-Grenzwertes 60 über 80. Inzwischen bieten einige Hersteller Messgeräte mit eingebautem Continental Master Orifice an, sodass die erforderliche Kalibriermessung sehr schnell durchführbar ist.
Vorsicht bei der Messung
Auch wenn der Motor nicht wie bei der klassischen Kompressionsmessung per Anlasser gedreht wird, geht vom Propeller eine Gefahr bei der Messung aus. Schließlich wird der Brennraum mit 80 PSI – das entsprich 5,5 bar – beaufschlagt. Dieser Druck kann den Kolben und somit die Kurbelwelle mit hoher Kraft antreiben, sobald der obere Totpunkt überwunden wird. Daher sollte man die Messung immer mit zwei Personen durchführen. Eine Person hält und sichert den Propeller, während die zweite Person das Messgerät und den Druckregler beziehungsweise die Druckventile bedient. Klare Absprachen sind hier unerlässlich, damit es nicht zu Verletzungen kommt.
Ein weiterer für die Messung wichtiger Punkt ist, dass die Kurbelwelle keinesfalls rückwärts gedreht werden darf, um den Kolben auf den oberen Totpunkt zu positionieren. Dies sollte immer in der normalen Drehrichtung des Motors erfolgen, damit die Kolbenringe korrekt anliegen, wenn die Messung erfolgt.
Früher wurde ein Zylinder mit einem Messwert von weniger als 60 über 80 PSI meist sofort „gezogen“ und ersetzt. Inzwischen raten die Hersteller dazu, erst eine nochmalige und sehr gründliche endoskopische Untersuchung des betroffenen Zylinders durchzuführen und den Motor dann für einige Stunden zu betreiben und die Druckverlustmessung zu wiederholen. Erst nach diesen zusätzlichen Schritten wird entschieden, ob der Zylinder ersetzt werden muss.
aerokurier Ausgabe 04/2016