Der damals 45-jährige Prüfling* merkt schnell, dass es der Prüfer sehr genau nimmt, arbeitet jener doch akribisch seine Liste ab, geht bei den Theoriefragen ins Detail. Während des zweiten Flugs unterbricht der Prüfer den Start in etwa 80 Metern Höhe, der Schüler reagiert richtig und landet die ASK 13 geradeaus. Mit dem nächsten Start allerdings wird die bis dahin korrekte, aber strenge Prüfung laut den Beteiligten zum Politikum, das in der Folge unter Fluglehrern und bei Behörden heiß diskutiert wird: Der Prüfer verlangt kurz nach dem Ausklinken in etwa 300 Metern Höhe von seinem Prüfling, das Ausleiten des Trudelns zu demonstrieren. Der traut seinen Ohren nicht. „Ich habe das zunächst für eine Fangfrage gehalten und gedacht, der Prüfer will mich testen“, sagt der Flugschüler im Gespräch mit dem aerokurier. „Ich habe geantwortet, die Höhe sei nicht ausreichend für ein derartiges Manöver. Doch der Prüfer fing an, mit mir zu diskutieren und verlangte nachdrücklich, dass ich das Notverfahren vorfliege. Schließlich habe ich mich darauf eingelassen und gehofft, dass der Prüfer weiß, was er tut.“
Was dann passiert, setzt dem Ganzen die Krone auf. „Der Prüfer leitete das Trudeln ein und blieb in den Rudern stehen, bis das Flugzeug eine volle Umdrehung beschrieben hatte“, erinnert sich der Prüfling. „Erst dann gab er die Ruder frei, und ich konnte ausleiten.“ Infolge dieser radikalen Maßnahme seitens des Prüfers sei das Trudeln erst in rund 120 Metern AGL beendet gewesen, die Höhe habe dementsprechend nicht mehr für eine normale Platzrunde ausgereicht. Dem Schüler bleibt nichts anderes übrig, als eine Landung aus ungewohnter Position auszuführen.
Die Version des Flugschülers wird von seinem Fluglehrer* bestätigt, der die Prüfung vom Boden aus beobachtet hat. „Der Prüfer hatte vor dem Flug angekündigt, trudeln zu wollen, da das Prüfungsprotokoll das so vorsehe“, sagt er. „Aber wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass er das auch durchzieht.“ Man habe in der Zwickmühle gesteckt, entweder den Prüfer machen zu lassen und sein Programm wie geplant zu absolvieren oder die Prüfung abzubrechen. „Das will man natürlich auch nicht, hat sich doch der Schüler lange genug darauf vorbereitet.“ Nachdem die Prüfung vorbei ist und der Flugschüler seinen Schein hat, ist die Sache zunächst erledigt. Aus Angst vor Repressionen durch die Behörde wird der Fall nicht gemeldet. „Wir wissen ja, wie das ist – man steht dann ganz schnell als Nestbeschmutzer da“, sagt der Fluglehrer.
Behörde stellt Grundsätze klar
Bei einer Fluglehrerfortbildung kommt diese Prüfung erneut zur Sprache, und infolge einer Diskussion auf Facebook wird der aerokurier darauf aufmerksam. Der Tenor im Netz ist eindeutig: Die meisten Kommentatoren, darunter auch namhafte Segelflieger, äußern sich kritisch über das geschilderte Vorgehen des Prüfers und raten, den Fall zu melden. Auf Nachfrage bittet das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Luftfahrtbehörde um Verständnis, dass man sich nicht zum konkreten Fall äußern könne, da die Stellungnahmen der Beteiligten teilweise widersprüchlich seien, die Prüfung schon einige Zeit zurückläge und eigene Erkenntnisse nicht vorlägen. Der Prüfer sei als erfahren und zuverlässig angesehen. Gegenüber dem aerokurier wollte sich der Prüfer selbst nicht äußern.
Losgelöst vom geschilderten Fall stellt die Behörde grundsätzlich klar, dass für alle Flugübungen die Sicherheit an erster Stelle stehe. „Dies bedeutet im Fall der praktischen SPL/LAPL(S)-Prüfung, dass die im Bericht des Prüfers im Abschnitt 3 unter e) und f) genannten Übungen nur oberhalb einer Höhe von 450 Metern über Grund zu erfolgen haben“, schreibt Sigurd Henning, Teamleiter Luftverkehr beim Regierungspräsidium Kassel. Der Beginn dieser Übungen müsse demnach weit oberhalb von 450 Metern liegen. Diese Grundsätze entsprächen den Ausführungen der „Methodik der Segelflugausbildung“ des DAeC mit Stand Juni 2016. Zudem stellt er klar, dass das Trudeln bzw. Ausleiten nicht zwangsweise zu demonstrieren ist. „Bei nicht ausreichender Flughöhe soll die Übung verbal mit dem Bewerber abgehandelt werden.“
Kündige ein Prüfer wie im skizzierten Fall eine Übung mit Unterschreitung der Sicherheitsmindesthöhe an, müssten Prüfling und Fluglehrer das nicht widerspruchslos hinnehmen. Sie sind laut Sigurd Henning „mindestens berechtigt, auf diesen Umstand hinzuweisen“. Bei erheblichen Bedenken, die vor Ort nicht ausgeräumt werden könnten, sei auf das Abbrechen der praktischen Prüfung hinzuwirken. „Für diesen Fall muss vom Ausbildungsleiter der ATO bzw. dem anwesenden Fluglehrer erwartet werden können, dass er zeitnah die zuständige Luftfahrtbehörde über den Vorfall in Kenntnis setzt“, schreibt er. Man sei in jedem Fall daran interessiert, solche Fälle künftig zu verhindern und die Prüfer entsprechend zu standardisieren.
DAeC kritisiert EASA-Vorschriften
Auch die Bundeskommission Segelflug des DAeC hat auf Nachfrage zu dem geschilderten Fall Stellung bezogen. „Die Vorgaben der EASA, was bei einer Prüfung vom Prüfling zu demonstrieren ist, sind mitunter nicht zu erfüllen“, sagt Günther Forneck, Buko-Referent für Ausbildung und Lizenzfragen. Das beziehe sich insbesondere auf das Trudeln, das laut Methodik der Segelflugausbildung in mindestens 450 Metern AGL beendet sein muss. Zudem weist Forneck auf den § 14 LuftVO hin, demzufolge Kunstflüge unter 450 Metern AGL nur im Einzelfall mit Ausnahmegenehmigung der zuständigen Luftfahrtbehörde zulässig sind. Die Frage, ob Trudeln Kunstflug oder Ausbildungselement sei, beantwortet Forneck klar: „Es ist beides, und unabhängig davon eben unter 450 Meter normalerweise nicht erlaubt.“ Da die meisten Prüfungsflüge im Windenstart mit Höhen unter 350 Metern AGL stattfänden, lägen auch die Voraussetzungen für die Durchführung von Manövern zum Ausleiten des Trudelns nicht vor.
Forneck empfiehlt den Luftfahrtbehörden, ihre Prüfer unverzüglich anzuweisen, die betreffenden Prüfungsinhalte nur dann abzufordern, wenn dies die Ausstattung, das Wetter und die örtlichen Gegebenheiten zulassen. Mit der Ausstattung weist er auf die Tatsache hin, dass viele Schuldoppelsitzer wie die ASK 21 ohne Zusatzausstattung gar nicht trudelfähig sind. Martin Kader, Rechtsanwalt und Buko-Vorstand, stimmt Forneck zu. „Der Prüfer kann Trudeln und Ausleiten nur prüfen, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen – also ausreichende Flughöhe – erfüllt sind.“ Kommt es wegen Fehlverhaltens des Prüfers zum Abbruch der Prüfung, so könne der dafür haftbar gemacht werden, interpretiert Kader die Gesetzeslage. „Laut § 839 BGB ist ein Beamter – bzw. im Fall des Prüfers ein mit Hoheitsmacht Beliehener –, der vorsätzlich oder fahrlässig seine Amtspflicht einem Dritten gegenüber verletzt, verpflichtet, ihm den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Das können auch die Gebühren für die praktische Prüfung sein.“
aerokurier Ausgabe 05/2017