Jeder Flugschüler, den reinen Segelflieger einmal außen vor gelassen, hat spätestens vor dem ersten Alleinflug Bekanntschaft mit dem "go-around" gemacht, wie das Durchstartmanöver im Englischen heißt. Während des PPL-Prüfungsfluges sowie beim alle zwei Jahre wiederkehrenden Übungsflug kümmern wir uns aber oft nur stiefmütterlich um dieses wichtige und wertvolle Verfahren. So fehlt es hier und da an Übung und manchmal auch an den notwendigen Kenntnissen im Bereich der Aerodynamik. Um aber für den berühmten zweiten Versuch noch einmal zum Platz zurückzukehren, braucht jeder Pilot die entsprechenden Fertigkeiten.
Der Begriff des Durchstartens beinhaltet dabei zum einen das Verfahren selbst: Welche Handgriffe werden in welcher Reihenfolge im Cockpit benötigt, um das Flugzeug nach einem abgebrochenen Anflug oder einer abgebrochenen Landung wieder sicher in die Luft zu bringen? Zum Durchstarten gehört zum anderen aber auch noch der navigatorische Part des Durchstartens, nämlich das Fehlanflugverfahren.
Wann und warum durchstarten?
Mein Vater, der mich das Fliegen lehrte, gab mir auf die Frage, wann man sich denn zum Durchstarten entscheidet, die Antwort: "Rechtzeitig." Was für mich zunächst recht lakonisch klang, hat meine Sichtweise später in vielen Bereichen meines Fliegerlebens geprägt. Für mich gilt dieser Ratschlag bis heute vom Schulungsdoppelsitzer über mittelschwere Turboprops bis hin zum Langstreckenjet als Ideallösung. Aber wie setzt man ihn nun in die Praxis um?
Jeder Pilot kennt diese Situation: Beim Eindrehen in den Endanflug setzt man noch die letzte Landeklappenstufe und bemerkt dann, dass man viel zu hoch und/oder zu schnell unterwegs ist. Der angepeilte Aufsetzpunkt wird wohl nicht mit der richtigen Höhe und der richtigen Geschwindigkeit zu erreichen sein. Grundsätzlich gilt für leichte einmotorige Flugzeuge die Regel, durchzustarten, wenn man nicht im ersten Drittel der Landebahn aufgesetzt hat, allerspätestens jedoch bei Erreichen der Halbbahnmarkierung. Je früher man den Anflug abbricht, desto mehr Sicherheitsreserven hat man.
Es gibt natürlich auch Situationen, in denen man absolut unvorbereitet die Handgriffe zum Durchstarten abrufen können muss. Bei anspruchsvollen Wetterbedingungen wie Seitenwind und Turbulenz oder fliegerischen Ungenauigkeiten (zu hohes oder zu tiefes Abfangen) kann es der bessere und sicherere Weg sein, durchzustarten. Spätestens, wenn das Flugzeug beginnt, mehrfach aufzusetzen und zu "springen", muss die Entscheidung zum Durchstarten fallen.
In jedem Fall gilt: Je später das Manöver eingeleitet wird, desto anspruchsvoller wird es. Während der Abbruch eines nicht stabilisierten Anflugs noch recht unspektakulär vonstatten gehen kann, ist die sogenannte "rejected landing", der Abbruch einer Landung kurz vor dem Aufsetzen, weitaus komplexer, da sich das Flugzeug hier in Bodennähe mit relativ geringer Energie befindet.
Feste Verfahren einhalten
Zu Beginn dieser Saison bin ich mit einem Flugschüler auf einen schönen Flugplatz in der Eifel geflogen. Wenig Verkehr in der Platzrunde, ein freundlicher Herr in der Luftaufsicht, kaum Wind. Alles sah nach ein paar entspannten Platzrunden aus. Der anspruchsvolle Anflug mit recht kurzem Endanflug gelang sehr gut. Kurz vor dem Aufsetzen, die Geschwindigkeit war bereits unter der normalen Anfluggeschwindigkeit, war auf der Bahn ein Reh zu erkennen, das neugierig, aber entspannt in unsere Richtung sah und keinerlei Anstalten machte, sich wegzubewegen. Der Anweisung "Durchstarten!" folgend, spulte der Flugschüler die Handgriffe für das Durchstartmanöver nahezu perfekt ab. Er gab Vollgas, schob die Vergaservorwärmung zurück auf die Position "kalt" und leitete gleichzeitig durch Ziehen des Höhenruders den Steigflug ein. Die Landeklappen wurden stufenweise während des Beschleunigungsvorgangs eingefahren, und kurz darauf war das Flugzeug in einem stabilen Steigflug.

Meiner Meinung nach sollte man bestimmte Verfahren, und dazu gehört in jedem Fall auch der "go-around", immer auswendig beherrschen. Dabei kann es durchaus kleine Unterschiede zwischen einzelnen Flugzeugmustern geben, aber im Grunde sind die Handgriffe bei fast allen Flugzeugen sehr ähnlich. Hier die Reihenfolge der zu erledigenden Aufgaben beim Durchstarten:
Power, Pitch, Flaps and Gear
heißt: Leistung setzen, Nase hoch, erste Klappenstufe einfahren und Fahrwerk einfahren
Power: Volle Leistung setzen. Zügig und gleichmäßig sollte der Leistungshebel auf volle Leistung gesetzt werden; falls vorhanden, sollte spätestens jetzt die Vergaservorwärmung auf die Position "kalt" eingestellt werden. Mit ein wenig Übung kann man beide Aufgaben mit einem Handgriff erledigen. Wenn Sie Vollgas geben, haben Sie zunächst einige aerodynamische Kräfte gegen sich: Alle Faktoren des Propellerdrehmoments sorgen mit Setzen der Startleistung (bei rechtslaufenden Motoren) in dieser Situation für die Tendenz zum Ausbrechen entgegen der Propellerdrehrichtung nach links. Die geringe Fluggeschwindigkeit in Verbindung mit dem hohen Anstellwinkel in dieser Situation verstärkt diese Tendenz zusätzlich.
In der Konsequenz muss nahezu zeitgleich mit dem Setzen der Leistung wohldosiert in das rechte Seitenruder getreten werden. Dadurch wird nicht nur die Leistung optimal umgesetzt, auch der Flugweg bleibt stabil. Wird der Seitenruderausschlag vergessen, setzt eine – abhängig von der Motorleistung – starke Gier- und daraus folgende Rolltendenz des Flugzeuges nach links ein. Die Folge könnte ein unkontrollierter Flugzustand in Bodennähe sein, der nur schwer wieder zu korrigieren ist. Die Unfallakten der Luftfahrtbehörden sind weltweit gut gefüllt mit solchen Vorfällen.
Pitch: Das Horizontbild muss von Anflug über Horizontalflug auf Steigflug justiert werden. Wenn das Durchstartmanöver vor dem Abfangen eingeleitet wird, ist zunächst das Wichtigste das Stoppen der Sinkrate. Nachdem Vollgas gegeben wurde, braucht es bei vielen Flugzeugen sogar einen leichten Druck auf das Höhenruder, um das Flugzeug am Aufbäumen zu hindern. Obwohl wir also steigen möchten, müssen wir aber das Höhenruder zunächst etwas gedrückt halten, um eine zu starke Änderung des Anstellwinkels nach oben zu vermeiden.
Ein weiterer Aspekt ist besonders bei stark motorisierten Einmots (zum Beispiel SR22 oder TBM) zu beachten: Das Flugzeug ist für die bevorstehende Landung getrimmt, also in der Regel schwanzlastig. Die Anfluggeschwindigkeit ist meist geringer als VX (Geschwindigkeit des besten Steigwinkels). Durch das Setzen der vollen Leistung wird je nach Motorleistung ein zusätzlicher Pitch-up-Effekt generiert (Flugzeugnase geht hoch). Während man diesen Effekt bei leichten Einmots noch mit Muskelkraft überdrücken kann, wird das Durchstartmanöver bei hochmotorisierten einmotorigen Flugzeugen in dieser Phase deutlich anspruchsvoller. Hier muss eine Änderung der Höhenrudertrimmung in Richtung "nose down" zeitnah erfolgen.
Flaps: Als Nächstes werden die Klappen gemäß Flughandbuch, meist stufenweise, eingefahren. Bestimmte Flugzeuge, etwa die Cessna 172 oder Cessna 150, werden nicht steigen, wenn man die Klappen auf 40 Grad lässt, weil der Widerstand zu groß ist. Deshalb hat Cessna in den jüngeren Versionen der Cessna 172 die maximale Klappenstellung auf 30 Grad begrenzt, um den Piloten etwas mehr Leistung während des Durchstartens zu geben. Die Klappen müssen natürlich trotzdem auf 20 Grad eingefahren werden.
Beim Einfahren der Klappen wandert der Druckpunkt nach vorn, und gleichzeitig erhöht sich die Überziehgeschwindigkeit. Kombinieren wir die Wanderung des Druckpunkts mit der Erhöhung der Überziehgeschwindigkeit, befinden wir uns im Ergebnis sehr nahe am kritischen Anstellwinkel. Wenn nicht ausreichend nachgedrückt wird, kann es zum Unterschreiten der Mindestgeschwindigkeit kommen mit der Konsequenz eines Strömungsabrisses in Bodennähe.
Bleiben wir beim Beispiel der Cessna 172. Sollten wir hier versehentlich die Klappen komplett einfahren, haben wir nicht nur eine Lastigkeitsänderung durch die Druckpunktwanderung, sondern es erhöht sich auch die Überziehgeschwindigkeit um ungefähr acht Knoten. Sobald die volle Leistung anliegt, das Horizontbild für den Steigflug passt und die Klappen auf den im Flughandbuch beschriebenen Wert gesetzt sind, ist es an der Zeit, das Flugzeug neu auszutrimmen. Versuchen Sie ein Durchstartmanöver einmal in einer sicheren Höhe. Möglicherweise werden Sie überrascht sein, welche aerodynamischen Kräfte auf die Ruder wirken.
Gear: Bei einem Flugzeug mit Einziehfahrwerk besteht die letzte Aufgabe darin, das Fahrwerk einzufahren. Achten Sie dabei darauf, dass eine positive Steigrate anliegt. Diese ist gemäß Definition vorhanden, wenn sowohl das Variometer als auch der Höhenmesser einen Steigflug anzeigen. Auf einigen (eher größeren) Flugzeugen wird mit dem Einfahrvorgang des Fahrwerks ein besonders hoher Widerstand durch die Fahrwerksklappen erzeugt. In einem solchen Fall wird im Flughandbuch darauf hingewiesen, das Fahrwerk erst nach Überfliegen aller Hindernisse einzufahren.
Navigation nicht vergessen
Wenn all diese durchaus anspruchsvollen Aufgaben erledigt sind, gilt es, sich mit der Navigation zu beschäftigen: Wo möchte oder muss ich eigentlich hin?

Auf manchen Flugplätzen gibt es spezifische Vorschriften, um beispielsweise zu verhindern, dass man während des Durchstartens einem Windenstart mit einem Segelflugzeug zu nahe kommt. Für Flüge nach Instrumentenflugverfahren hingegen ist das sogenannte Fehlanflugverfahren (englisch: missed approach procedure) immer genau definiert. Dabei werden etwa gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsabstände zum Gelände oder zu Hindernissen oder besonders lärmsensitiven Gebieten berücksichtigt.
All diese Maßnahmen sind nicht nur in der richtigen Reihenfolge, sondern auch in der notwendigen zeitlichen Abfolge zu erledigen. Hektik ist dabei, wie immer im Cockpit, fehl am Platz, aber ein zügiges sequenzielles Abarbeiten des Verfahrens ist der Schlüssel zum Erfolg. Hier zeigt sich deutlich, dass Übung für das Beherrschen dieses Manövers unerlässlich ist.
Sie selber wissen am besten, wann Sie das Durchstarten das letzte Mal außerhalb Ihres Übungs- oder Prüfungsfluges trainiert haben. Und Sie sind es auch, der den Grad Ihrer Professionalität als Pilot festlegt und somit auch den Grad Ihrer Sicherheit und der Ihrer Mitreisenden bestimmt.
Der Song zum Manöver
Ken Dravis ist Countrymusiker und Keynote Speaker. Und er ist Pilot. Dem Go-Around hat der US-Amerikaner einen humorvollen Song gewidmet, der von Netzjüngern mit einem passenden Video unterlegt wurde.
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