Waldkalkung im Erzgebirge
Die Grünmacher

Im Minutentakt starten die M-18A des FSB Air Service von ihrer Behelfspiste, um den sächsischen Wald mit Tonnen von Kalk zu bewerfen. Mit einer kleinen Mannschaft funktioniert das nur, wenn jeder genau weiß, was er zu tun hat.

Die Grünmacher

Waldkalkung im Erzgebirge – Die Grünmacher

Waldkalken im Erzgebirge

Für ein Pläuschchen unter vertrauten Kollegen ist keine Zeit. Eine Verständigung ist ohnehin bestenfalls mit Handzeichen möglich, wenn der eine im Cockpit der M-18A sitzt, vor sich den im Standlauf blubbernden Neun-Zylinder-Sternmotor, und der andere im Führerhaus des fahrbaren Krans. Seine Aufgabe ist es, knapp zwei Tonnen Kalk in den Laderaum des Agrarflugzeugs rauschen zu lassen, so schnell wie es nur geht. Und er braucht dafür keinen Augenblick länger als nötig, schließlich hat er seine Handgriffe schon tausendfach getan.

Im nächsten Moment lässt Pilot Wilfried Mielke die 1000 PS der M-18A aufbrüllen und das Flugzeug rollt an. 45 Sekunden sind vergangen, seit er es an der Beladestation neben dem Kalkhügel zum Stillstand gebracht hat. Und selbst wenn der eine oder der andere vergessen hätte, etwas Wichtiges mitzuteilen: In weniger als fünf Minuten wird Wilfried Mielke wieder zur Stelle sein, wird die M-18A wieder zum Stillstand bringen, wird wieder 45 Sekunden mit laufendem Motor dort stehen, um die Befüllung mit der pulvrigen Masse abzuwarten. Am Ende des Arbeitstages wird er, genau wie Lutz Haferkorn mit der zweiten M-18A, etwa 70-mal gestartet und gelandet sein.

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Proökologische Luftarbeit

„Agrarfliegerei“ hätte man den Job, den das kleine Team des FSB Air Service aus Kyritz hier im Erzgebirge verrichtet, früher genannt. Heute heißt es ganz modern „Proökologische Luftarbeit“. Sie hat den traditionsreichen Agrarflug abgelöst, der vor allem in der DDR eine große Bedeutung hatte. Die Waldkalkung, der Abwurf von Naturkalk zur Beseitigung von Umweltschäden, ist nur ein Teil des Arbeitsgebiets. Eine weitere Aufgabe ist die Renaturierung von Ödflächen, wie sie zum Beispiel der Tagebau hinterlassen hat. Dort werden speziell entwickelte Samen-Nährstoff-Kombinationen aus der Luft verstreut. Zuweilen werden die Kyritzer Spezialisten mit ihren Flugzeugen auch ins Ausland gerufen, sie waren schon zur Heuschreckenbekämpfung in Algerien und zu ökologischen Maßnahmen in Finnland.

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Stärkung der Nährstoffkreisläufe

Der Magnesiumkalk ist ein Naturprodukt und gesundheitlich harmlos. Foto und Copyright: Frank Herzog

Die Waldkalkung oder Bodenschutzkalkung, wie die Forstleute sagen, geht auf ein menschengemachtes Problem zurück: Die Abgase der Industrie und des Verkehrs und die Schadstoffe der Landwirtschaft haben über Jahrzehnte hinweg den Böden und damit den Wäldern schwer zugesetzt. Auch wenn mittlerweile nicht mehr ganz so bedenkenlos Dreck in die Luft geblasen wird, so sind doch die Waldböden noch immer auf großer Fläche in beängstigendem Maß versauert. Das ist nicht alleine verhängnisvoll für die Bäume, der gesamte Naturhaushalt leidet darunter, bis hin zum Trinkwasser.

Kurzfristige Besserung ist nicht zu erwarten, und der Kalk ist kein Wundermittel, aber er stärkt die natürlichen Nährstoffkreisläufe und fördert die Verjüngung der Waldbäume. Das Erzgebirge war und ist besonders betroffen. Seit 1991 lässt Sachsen seine Wälder kalken, die Berieselung aus der Luft ist dabei eine Methode neben anderen.


Kalken im Akkord

3288 Tonnen kohlensauren Magnesiumkalk haben Wilfried Mielke und seine Kollegen in dem Forstrevier zwischen den Ortschaften Ansprung, Olbernhau und Rübenau, dicht an der Grenze zu Tschechien, zu verteilen. Gut 13 Quadratkilometer groß ist die Fläche, und der Zeitplan ist eng gesetzt. Drei, höchstens vier Wochen hat die kleine Mannschaft aus Piloten, einem Techniker und zwei Mann Bodenpersonal zur Verfügung.

Der Startplatz ist mit Bedacht gewählt. Das abgeerntete Maisfeld liegt in Sichtweite des Waldbereichs, der gekalkt werden soll. Die kurze Entfernung trägt ihren Teil dazu bei, die schnellen Umläufe zu ermöglichen, auf die es in diesem Geschäft so ankommt. Wichtig ist auch, dass das Feld an einer Straße liegt, damit die Lastwagen mit dem Kalknachschub und die Tankwagen herankommen können. Etwa 2700 bis 2800 Liter Treibstoff verfeuern zwei M-18A am Tag. Den Kalk liefert ein örtlicher Baustoffhändler, die Lastwagen müssen oft kommen, mitunter sogar nachts. Deswegen steht ein Briefkasten an dem Feldlager bereit, um die Lieferscheine entgegenzunehmen.

Dröhnende Tiefflüge

Dieses Feld am Rand des kleinen Ortes Rübenau hat außerdem den Vorzug, dass es in Richtung des Waldes deutlich abfällt – eine willkommene Starthilfe für die schwer beladenen M-18A Dromader, die bis zu 4700 Kilogramm wiegen können. Aus Sicht der 1100 Einwohner liegt der Startplatz weniger günstig, denn für sie bedeutet die Kalkerei dröhnende Tiefflüge über ihre Dächer hinweg, von sieben Uhr morgens bis abends um sechs, dazwischen eine Stunde Mittagspause. Die Zeiten werden genauestens eingehalten, so lautet die Vereinbarung.

Der Auftraggeber, der „Staatsbetrieb Sachsenforst“, bemüht sich, die Bevölkerung vorab durch Pressemitteilungen und im Wald durch Schilder zu informieren. Diese weiß andererseits genau, dass die zeitlich begrenzte Aktion ihrem Wald zugute kommt. 188000 Euro kostet die Kalkung alleine für dieses Revier, bezahlt wird sie vom Freistaat Sachsen und der EU. Vor zehn Jahren war dieses Revier schon einmal an der Reihe, das ist mittlerweile der übliche Turnus im Erzgebirge.


Immer flexibel

Heute ist Wilfried Mielke ausnahmsweise der einzige Flugzeugführer. Da die Tankwagenfirma eine 24-stündige Lieferverzögerung angekündigt hat, wurde die zweite M-18A kurzerhand zur 100-Stunden-Kontrolle nach Kyritz beordert. Sie flog dorthin, „so wie sie ist“, wie Techniker Wolfgang Eichmeyer lakonisch feststellt, „mit allem Dreck daran“. Für das Feinmachen vor dem Werftaufenthalt ließ der eng getaktete Arbeitstag wie gewohnt keine Zeit. Wozu auch, schließlich sollen „die Jungs in der Werft sehen können, wenn das Flugzeug eine Schwachstelle hat“.

Wolfgang Eichmeyer, langjähriger Agrarpilot mit mehr als 13000 Flugstunden, ist der Herr über Feldwerkstatt und Behelfstankstelle. Zu tun gibt es immer etwas, der Techniker wuselt den ganzen Tag zwischen seinen diversen Gerätschaften und dem Flugzeug – wenn er es denn zu fassen kriegt – hin und her. „Ich komme nicht dazu“, sagt er, „eine Zeitung anzufassen.“ Und wenn die Dromader vor seinem Container ausrollt, muss es schnell gehen: betanken, Öl nachfüllen, Scheibe putzen, schmieren, einstellen, kontrollieren. Wenn die Technik streikt, muss auch das schnellstens behoben werden, der Container hält für solche Fälle ein breites Repertoire an Werkzeugen und vorsorglich gelagerten Teilen bereit. Die technische Störung des heutigen Tages ist schnell geklärt: Die Abwurfklappe an der Unterseite der Dromader schließt nicht mehr richtig. Verantwortlich dafür ist ein festgebackener Kalkkranz, der sich am Rand der Klappe gebildet hat.

Das eifrige Kratzen und Schaben des Kollegen gibt Pilot Wilfried Mielke die seltene Gelegenheit zu einer kleinen Pause. Er fliegt als Freelancer für den FSB Air Service, im Hauptberuf ist er Flugplatzbetreiber in Wismar. Ihn kann offensichtlich nichts aus der norddeutschen Gelassenheit bringen, das Gewusel auf dem Feldflugplatz jedenfalls nicht. Das dürfte auch an den mehr als 66000 Landungen liegen, die in sein Erfahrungswissen eingegangen sind.



Berechnete Abwürfe

Die Forstverwaltung informiert über die Aktion durch Schilder und in den Zeitungen. Foto und Copyright: Frank Herzog

Bei den Abwurfflügen folgt der Pilot einem vorab berechneten Strickmuster, Ausbringungsplan genannt. Ein Bordcomputer, das „Präzisionsleitsystem“, hilft dabei, exakte Bahnen über dem Wald zu ziehen und den Kalk mit großer Gleichmäßigkeit zu verteilen. Die Abwurfklappe der M-18A ist mit einem Aufzeichnungsgerät gekoppelt, und am Ende des Tages gibt das System einen digitalen Befliegungsplan heraus, der die Grundlage ist für die Abrechnung mit der Forstverwaltung.

Dabei sind Variablen im Spiel, Regen zum Beispiel. Die Ladung muss dann reduziert werden, entsprechend kleiner ist die pro Flug mit Kalk bedachte Fläche, entsprechend häufiger muss geflogen werden.

Die Abwurfflüge sind nichts für schwache Nerven: In etwa zehn bis 20 Metern Höhe über den Baumspitzen öffnet sich die Klappe und die Dromader verliert innerhalb von Sekunden ihre Tonnenlast. Sehr viel höher darf das Flugzeug nicht sein, sonst vertrocknet der Kalk im Fallen.

Bis der Schnee fällt, muss der Job gemacht sein. Bis dahin wird Wilfried Mielke noch viele Male starten und landen, starten und landen ...

„Es muss Spaß machen“, ist sein Credo, „sonst würde ich dafür nicht aus Wismar herkommen“.

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