Natürlich erhebt niemand in Dorsten den Anspruch, sich mit dem von der Fliegergruppe Wolf Hirth ins Leben gerufenen legendären Oldtimertreffen zu messen. Gut 350 fliegende Teilnehmer, modernere Muster eingeschlossen, wies die Veranstaltung im vergangenen Jahr aus. Dem standen am ersten Juliwochenende dieses Jahres „nur“ 75 Flugzeuge in Dorsten gegenüber. Gleichwohl ist die deutlich weniger bekannte Veranstaltung im Westfälischen ein regionaler Publikumsmagnet, der zu Spitzenzeiten schon 8000 Zuschauer angelockt hat. Und abseits der schieren Größe gibt es ein paar bemerkenswerte Gemeinsamkeiten beider Veranstaltungen.
Denn auch der Organisator des Events in Nordrhein-Westfalen ist ein Verein – genauer gesagt, ein Segelflugverein. Der LSV Dorsten verfügt über 100 Mitglieder, seine Homebase „Dorsten am Kanal“ ist ein reiner Segelflugplatz, auf dem nicht einmal F-Schlepp betrieben wird. Gestartet wird hier per Winde, und außer Segelflugzeugen ist der Platz nur für Motorsegler und ULs zugelassen. Die nutzbare Bahnlänge von 650 Metern kann man noch am ehesten mit der Grasbahn im Schwäbischen vergleichen, die hindernisfreie Gesamtbreite des Platzes dagegen schon nicht mehr: Zwischen dem Damm zum Wesel-Datteln-Kanal im Norden und einem der Wohnbebauung vorgelagerten kleinen Wäldchen im Süden sind gerade mal 120 Meter Platz. Denn das Segelfluggelände liegt mitten im Herzen der Stadt mit knapp 80 000 Einwohnern.
Trotz dieser einschränkenden Voraussetzungen und des fulminanten Oldtimer-Events im Südwesten weist die Chronik der Dorstener Flugtage sogar Landungen von Kampfjets und einer Bundeswehr-Transall aus! Da stellt sich natürlich die Frage: Wie ist das zu schaffen? „Durch ganz viel gemeinsames, beharrliches Engagement, viel Sachkunde und Ideenreichtum sowie eine hohe Zuverlässigkeit“, lacht Heinz Kleine-Vossbeck. Ein Vierteljahrhundert war der 82-Jährige, der seit 60 Jahren in Cockpits von Segelflugzeugen mit und ohne Motor hockt, am Aufbau und der Organisation der Veranstaltung beteiligt. Die konnte erstmals Mitte der 1970er Jahre ausgerichtet werden, weil er in einem Motorsegler mit seinen Vereinskameraden Hans Hermann Günther und Robert Dudda so ziemlich jede denkbare Veranstaltung und jeden denkbaren Flugplatz abklapperte, an denen sich Eigentümer historischer Flugzeuge für einen Besuch in Dorsten gewinnen ließen.
Viele von ihnen erscheinen heute regel-mäßig, auch über die Region hinaus. Beispielsweise der holländische Eigner einer Tiger Moth mit englischem Callsign und die Piaggio P.149, die ihre Homebase in Hoogeveen haben. Andere Teilnehmer kommen aus dem Hessischen oder aus Niedersachsen, der weiteste Anflug in diesem Jahr startete vom Flugplatz Schönhagen nach Dorsten. Das Ergebnis ist eine Veranstaltung, die dem Publikum von Kunstflugvorführungen mit bemannten Flugzeugen und unbemannten Flugmodellen über Rundflüge in historischen und moderneren Mustern bis hin zu Tandemfallschirmsprüngen aus einer Antonov An-2 alles bietet, was nicht nur das Fliegerherz begehrt. Denn die direkt ans Vorfeld angrenzende Parkfläche bleibt zur Oldtimer-Rallye ausschließlich historischen Fahrzeugen vorbehalten – so gibt es für die Zuschauer bereits jede Menge Technikhistorie zu bestaunen, noch ehe sie die Absperrung zum Flugfeld überhaupt erreichen.
Seit über 30 Jahren Dorsten
Das ist mit viel Eigenleistung Ende der 1950er Jahre im vormaligen Flussbett der Lippe angelegt worden. Nachdem der Flusslauf für den Bau des angrenzenden Schifffahrtskanals vor dem Ersten Weltkrieg in Richtung Norden umgeleitet worden war, entstand dort für einige Jahre zunächst eine Pferderennbahn. Nach dem Zweiten Weltkrieg – das Gelände gehörte nun der früheren Hoesch AG – wurden auf der Fläche Kiefern angepflanzt. Mit dem Abschluss eines Pachtvertrages machten sich die Dorstener Segelflieger dann an die Rodung des elf Morgen messenden Jungwäldchens, Wurzelwerk inklusive, wie sich Kleine-Vossbeck noch gut der Plackerei für die Ausübung der gemeinsamen fliegerischen Passion in seiner Heimatstadt erinnert. Denn zuvor mussten sich die Dorstener Segelflieger, deren erste Vereinsgründung auf 1931 datiert, auf den Weg ins münsterländische Borkenberge machen, wenn sie fliegen wollten. Schon die Genehmigung des Platzes auf dem begrenzten Areal erforderte eine intensive Abstimmung mit den Behörden. „Die uns seither stets als sorgsame, sachkundige und vor allem zuverlässige Partner kennengelernt haben“, sagt Kleine-Vossbeck.
So war selbst die Genehmigung der Flugtage 1986 kein Problem, auf denen außer der Bundeswehr-Transall noch zwei der im niederrheinischen Weeze stationierten Hawker Harrier der Royal Air Force sowie Chinook- und Lynx-Helikopter das Publikum beeindruckten. Eine örtliche Filminitiative dokumentierte das Ereignis, einschließlich dramatischer Nebeneffekte wie durch die Luft wirbelnde Sonnenschirme oder Abdeckungen benachbarter Kleingarten-Lauben, im Stil alter Wochenschauen. Noch heute ist der Streifen auf der Website (flugtage-dorsten.de) der Veranstaltung zu sehen. Die Tragödie, die sich zwei Jahre später im rheinland-pfälzischen Rammstein ereignete, beendete derlei militärische Unterstützung solcher Flugtage jedoch ein für alle Male. Die Dorstener Veranstaltung blieb dagegen trotz der beengten räumlichen Verhältnisse in all den Jahrzehnten unfallfrei. Lediglich eine Jak-52, die die kurze Bahn zu schnell und zu hoch angeflogen hatte, musste zur Kollisionsvermeidung am Bahnende mal einen Ringelpiez provozieren, bei der sie sich einen Landeschaden zuzog – aber das liegt Jahre zurück.
Dass die Veranstaltung seit nunmehr über 30 Jahren regelmäßig stattfinden kann, ist auch der unkomplizierten Zusammenarbeit mit der zuständigen Landesluftfahrtbehörde im Regierungspräsidium Münster zu verdanken. „Ich brauche bis spätestens vier Wochen vor dem Termin eine Pilotenmeldung mit dem Ruf-zeichen der Maschine. Und sofern sie schwerer als zwei Tonnen ist, verlangt das Regierungspräsidium eine Startstreckenberechnung nach Handbuch“, sagt Barbara Großelohmann, die die Organisation der Dorstener Oldtimerrallye von Hans Hermann Günther vor sechs Jahren übernommen hat. Das Prozedere hat sich über die lange Zeit routiniert eingespielt, ebenso die Veranstaltungsbesuche des zuständigen Behördenvertreters, der den Dienst in dem Luftfahrtzirkus mit rund 300 Flug-bewegungen augenscheinlich genießt.
Dass der Enthusiasmus der Organisationsleitung ansteckt, zeigt auch die beeindruckende Anzahl junger Gesichter, die aus den vorgeschriebenen Warnwesten hervorlugen. Die rund zwanzig Mitglieder starke Jugendgruppe des LSV Dorsten bringt sich regelmäßig in die Vorbereitungen und die Durchführung tatkräftig ein. Und jede Menge Angehörige der aktiven Mitglieder stellen die Versorgung der Zuschauer mit Speisen und Getränken sicher. Zu den Verkaufserlösen daraus kommen noch die Gebühren für kleine Modellflieger-Verkaufsstände oder Sponsoren wie die örtliche Volksbank und ein großes Autohaus. Einnahmen, die der Verein dringend benötigt, denn T6, Ryan, Tiger Moth und Co. nehmen die weiten Anflüge natürlich nicht ohne Kompensation auf sich. Der Verein muss also erhebliche Mittel aufwenden, um Gästen und Publikum ein derart buntes Programm zu bieten. Doch damit gelingt es den westfälischen Segelfliegern immer wieder, für Piloten und Zuschauer gleichermaßen attraktiv zu sein. Das nächste Mal wollen sie das Anfang Juli 2019 schaffen.
aerokurier Ausgabe 10/2017