Elektro-Pionier
Rudolf Voit-Nitschmann im Interview

Rudolf Voit-Nitschmann gilt als Vater der Elektroflugzeuge Icaré und e-Genius. Der emeritierte Professor für Flugzeugbau sieht im Elektroantrieb die Zukunft der General Aviation.

Rudolf Voit-Nitschmann im Interview

Herr Voit-Nitschmann, kann der Elektroantrieb den Verbrenner in der Luftfahrt ablösen?

In der General Aviation ist die Chance sehr groß. Was den Hilfsantrieb von Segelflugzeugen angeht, sind wir auf einem guten Weg, aber auch für vier- bis sechssitzige Motorflugzeuge ist es durchaus denkbar, dass sie in Zukunft elektrisch oder zumindest mit Hybridantrieb fliegen. Pipistrel zeigt beispielsweise mit dem Alpha Electro, was bei den ULs möglich ist.

Wagen Sie eine Prognose zum Zeithorizont?

Unsere Highlights

Der elektrische Hilfsmotor für Segelflugzeuge dürfte in fünf bis zehn Jahren voll etabliert sein, in Verbindung mit dem Nasenantrieb bietet sich sogar Potenzial für Eigenstarter. Beim Motorflug in der General Aviation würde ich auf 15 bis 20 Jahre tippen. 

Wo liegen aus Ihrer Sicht aktuell die technischen Defizite der Elektrofliegerei?

Das Hauptproblem sind noch immer die Batterien. Der spezifische Energiegehalt ist zu gering, er liegt bei modernen Zellen wie im e-Genius bei rund 220 Wattstunden pro Kilogramm, Avgas bringt es auf 12 000! Andere Probleme wie lange Ladezeiten und Zyklenfestigkeit hat man inzwischen gut im Griff. Und da wären noch die Piloten, die es zu überzeugen gilt.

Das halten Sie für ein Problem?

Sponsored

Durchaus. Es gibt kaum konservativere Menschen als Motorflieger. Man muss sich vergegenwärtigen, dass viele mit der 172er Cessna aufgewachsen und noch immer unterwegs sind. Das gilt für manchen als Stand der Technik. Keine Frage, das Flugzeug ist solide und ausgereift. Aber hier zeigt sich auch ein bisschen, wie stark Piloten der Tradition verpflichtet sind. Ihnen den Elektroflug schmackhaft zu machen, wird zumindest nicht leicht.

Denkt man an Lilienthal und die Wrights, so waren Privatpiloten die Pioniere, beim Elektroflug ist es die General Aviation. Wo bleibt die kommerzielle Luftfahrt?

Zunächst muss man wissen, dass Entwicklungen in der GA mit überschaubarem Aufwand und Kosten verbunden sind, das ist in der kommerziellen Luftfahrt anders. Allerdings sind auch große Unternehmen wie beispielsweise Airbus mit dem E-Fan dabei. Sie unterstützen auch GA-Projekte wie beispielsweise den e-Genius, einfach weil sie sehen wollen, was technisch möglich ist.

Was ist denn möglich?

Unter dem Namen „Transportflugzeug 2050“ gibt es Pläne für eine Frachtmaschine mit alternativem Antrieb, auch Regionalverkehrsflugzeuge wären denkbar. Allerdings liegt das rein elektrische Fliegen in der kommerziellen Luftfahrt – Stichwort Energiedichte – noch in weiter Ferne. Hier steht eher der Hybridantrieb im Fokus.

Hybrid kennt man vom Auto. Wie funktioniert das im Flugzeug?

Wie im Pkw arbeiten Elektro- und Verbrennungsmotoren zusammen. So können beispielsweise bei einem seriellen Hybridantrieb der Start und die Landung rein elektrisch erfolgen und in Bodennähe Lärm- und Abgasemissionen reduzieren. Für den Reiseflug wird dann der Verbrenner zugeschaltet und liefert Strom für Akkus und Elektromotor. Da der Verbrenner nur auf Reiseleistung dimensioniert ist, spart das Gewicht, außerdem kann er viel effizienter gebaut werden.

Was ist mit alternativen Treibstoffen für Kolbenmotoren und Turbinentriebwerke?

Das ist keine wirkliche Alternative. Biotreibstoffe stehen in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, weil dafür Ackerfläche gebraucht wird. Der Brennstoffzellenantrieb mit Wasserstoff dürfte da besser abschneiden. Allerdings ist diese Technik sehr teuer und komplex, und es braucht eine aufwendige Infrastruktur, um den Treibstoff vorzuhalten.

Der emeritierte Professor für Flugzeugbau sieht im Elektroantrieb die Zukunft der General Aviation. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Welche Möglichkeiten jenseits des Antriebs bieten sich noch an für effizientere Flugzeuge?

Die klassische Aerodynamik mit Laminarprofilen in Kombination mit der Faserverbundbauweise ist ausgereizt, das zeigt sich vor allem im Segelflugzeugbau. Allerdings könnten Transportflugzeuge von der Laminartechnik profitieren, wenn man bereit ist, die Fluggeschwindigkeiten zu reduzieren, auf die Pfeilung zu verzichten und damit die Effizienz zu steigern. Im Project NACRE – New Aircraft Concepts Research – hat man diese Ideen aufgegriffen. Große Fortschritte sind aber nur durch neue Technologien wie die Grenzschichtabsaugung zu erreichen. Berechnungen haben gezeigt, dass trotz des Energiebedarfs für diese Technik infolge des geringeren Widerstandes Energie gespart wird.

Denken die Ingenieure heute zu eingeschränkt und halten deshalb stur am Prinzip „schlanker Rumpf, gepfeilte Tragflächen, Leitwerk hinten“ fest?

Das glaube ich nicht. Es hat ja in der Forschung so ziemlich jedes Design schon gegeben, man denke an Nurflügel- oder Canardflugzeuge. Am Bau der Speed Canard war ich seinerzeit selbst beteiligt, und bei Airbus gab es Studien zu einem A380-Nachfolger in Nurflügelbauweise. Allerdings haben sich diese Konstruktionen aus verschiedensten Gründen nicht durchgesetzt, sodass die klassische Bauart, wie Sie sie beschreiben, vorerst das Maß der Dinge bleiben wird.

Sie waren 20 Jahre Professor für Flugzeugbau. Was ist das Wichtigste, das sie Ihren Studenten mitgegeben haben?

Die Begeisterung für Luftfahrttechnik! Und ich bin überzeugt, dass man möglichst auch selbst als Pilot aktiv sein sollte, um das, was man theoretisch im Labor ausrechnet, auch praktisch verstehen zu können. Ich persönlich bin über das Interesse an der Technik zum Fliegen gekommen. Wenn man selbst im Cockpit sitzt, dann denkt man beispielsweise ganz anders über Ergonomie oder Flugeigenschaften und kann diese Erfahrungen in die Konstruktionsarbeit einbringen.

Macht Sie die Erfahrung als Luftfahrtingenieur zu einem besseren Piloten?

Ach, das denke ich nicht. Sicher verstehe ich die Systeme und die Aerodynamik besser als ein technischer Laie, aber das, worauf es ankommt, kann sich jeder aneignen.

Staffelstab ist übergeben

Rudolf Voit-Nitschmann und sein Nachfolger an der Universität Stuttgart, Andreas Strohmayer. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Mehr als 21 Jahre war Rudolf Voit-Nitschmann mit dem Flugzeugbau an der Universität Stuttgart verbunden. 1950 in Eisenach geboren, studierte er Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart und wurde nach Stationen als leitender Ingenieur bei Gyroflug, Grob und Dornier 1994 als Professor an das Institut für Flugzeugbau in Vaihingen berufen.

Unter seiner Regie entstanden wegweisende Muster wie der Solar-Motorsegler Icaré und der Elektro-Motorsegler e-Genius. Seine Leistungen wurden mit vielen Auszeichnungen gewürdigt, darunter die Goldene Daidalos-Medaille des DAeC, der OSTIV-Preis und die Auszeichnung Übermorgen­macher des Landes Baden-Württemberg.

Mitte 2015 ging Voit-Nitschmann in den Ruhestand und übergab die Professur an Andreas Strohmayer. Der Luftfahrt bleibt er auch weiterhin treu. Er ist Geschäftsführer seiner Firma Steinbeis Flugzeug- und Leichtbau und fliegt Segler und Motormaschinen ab Pattonville.

aerokurier Ausgabe 04/2016

Die aktuelle Ausgabe
aerokurier 06 / 2023

Erscheinungsdatum 19.05.2023