ADAC Luftrettung
55.000 Mal Hilfe aus der Luft

Die ADAC Luftrettung ist der größte Anbieter von HEMS-Dienstleistungen in Deutschland. Auf ihrer Jahrespressekonferenz in Stuttgart zog die gemeinnützige GmbH eine Bilanz des Jahres 2022, verwies auf ein Einsatzplus von rund sieben Prozent und gab Einblicke in aktuelle und künftige Projekte.

55.000 Mal Hilfe aus der Luft
Foto: Katrin Sdun

Die Passanten mochten zunächst von einem medizinischen Notfall in der Oper oder dem nahen Landtagsgebäude ausgehen, als Christoph 22, der Rettungshubschrauber, der am Bundeswehrkrankenhaus Ulm stationiert ist, mit Getöse auf dem Platz zwischen Oper und Eckensee im Stuttgarter Schlossgarten einschwebte. Allerdings ging es dieses Mal nicht um Menschenleben, sondern um PR in eigener Sache. An Bord ist neben Pilot Jens Jasper von der ADAC Luftrettung und Stabsfeldwebel Tom Schneider, leitender TC-HEMS/TC-NVIS auch Oberfeldarzt Dr. Björn Hoßfeld, leitender Hubschrauberarzt von Christoph 22 und Mediziner am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Gemeinsam mit Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung und Aaron Erd Projektleiter Multikopter der ADAC Luftrettung ist der Mediziner nach Stuttgart gekommen, um Rückschau auf ein ereignisreiches Jahr für die "Gelben Engel" zu halten.

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Katrin Sdun
Christoph 22 beim Anflug auf den Platz vor der Oper Stuttgart.

Die Umschreibung "ereignisreich" lässt sich konkret mit Zahlen unterfüttern: Mit 55.675 Alarmierungen verzeichneten die ADAC-Rettungshubschrauber ein Plus von fast sieben Prozent oder 3441 Einsätzen gegenüber dem Vorjahr, wo man 52.234 Mal Menschen zu Hilfe kommen musste. Pro Tag arbeiteten die Crews der 37 Luftrettungsstationen in ganz Deutschland damit im Durchschnitt rund 153 Notfälle ab.

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Als Grund für die Rekordzahlen sieht die ADAC Luftrettung zum einen die steigende Mobilität nach Ende der Coronaeinschränkungen sowie die wachsende Bedeutung von Flügen in der Dämmerung und Spezialeinsätze mit Rettungswinde. Zum anderen tragen aber auch regionale Überlastungen des bodengebundenen Rettungsdienstes sowie der inzwischen weit verbreitete Notarztmangel zum erhöhten Einsatzaufkommen bei. In vielen Regionen sei der Rettungshubschrauber bei einem Notfall häufig das einzig verfügbare Rettungsmittel, heißt es.

Überwiegend Unfälle, Hotspot ist Bayern

Einsatzgrund Nummer eins waren mit 30 Prozent Verletzungen nach Unfällen, beispielsweise im Verkehr, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit. Mit 28 Prozent knapp dahinter liegen Notfälle des Herz-Kreislauf-Systems. Knapp jeder zehnte Patient war ein Kind oder Jugendlicher.

Die meisten Einsatzorte lagen 2022 in Bayern, wo die gelben Engel 13.423 Mal in die Luft gehen mussten. Allerdings sind hier auch die meisten ADAC-Rettungshubschrauber beheimatet. Dahinter folgen Rheinland-Pfalz mit 9313, Nordrhein-Westfalen mit 6503 und Niedersachsen mit 5903. Unter den 37 Stationen liegt in der Einsatzstatistik erstmals Koblenz vorne. "Christoph 23" startete von dort zu 2192 Notfällen und gehört damit zusammen mit "Christoph 10" in Wittlich mit 2082 Einsätzen, "Christoph 18" in Ochsenfurt mit 2015 Einsätzen und "Christoph 31" in Berlin mit 2005 Einsätzen zu den vier ADAC Rettungshubschraubern mit den meisten Alarmierungen in Deutschland.

Mehr Rettungen mit der Winde und bei Nacht

Die Bedeutung von Windenrettungen hat auch 2022 weiter zugenommen. Die bestehenden Windenstationen in München, Murnau, Straubing (alle Bayern) und Sande in Niedersachsen sowie die neu mit einer Rettungswinde ausgestatteten Stationen in Imsweiler in RheinlandPfalz sowie in Hamburg verzeichneten 377 Windeneinsätze – das sind rund drei Prozent mehr als im Vorjahr. Um mit der Winde noch schneller beim Patienten zu sein, hat die ADAC Luftrettung 2022 als erste Organisation in Deutschland eine Winden-Sofortbereitschaft eingeführt. Dadurch können die Crews ohne Umrüstung der Kabine und Zwischenlandung direkt nach der Alarmierung zu Windeneinsätzen fliegen und haben so im Notfall bis zu zehn Minuten Zeitersparnis. Dieses Konzept wurde im Zuge der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal erstmals angewandt.

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Windenrettung spielt vor allem auf See und im Gebirge eine Rolle.

Auch in den Tagesrandzeiten ist die ADAC-Flotte immer häufiger in der Luft. Insgesamt 3276 Flüge bei Dämmerung und Dunkelheit wurden 2022 absolviert ein Plus von rund 23 Prozent. Möglich sind diese Einsätze unter anderem durch spezielle Nachtsichtbrillen als Teil eines hochmodernen "Night-Vision-ImagingSystems", kurz NVIS genannt. Solche Einsätze fliegen die Crews in Greven und Köln (beide Nordrhein-Westfalen), Senftenberg in Brandenburg, Sande in Niedersachsen, Mainz in Rheinland-Pfalz und Ulm in Baden-Württemberg.

Die Flüge nach Sonnenuntergang sind Teil einer bundesweiten Initiative der ADAC Luftrettung, die das Ziel hat, den Rettungsdienst aus der Luft mit einer Erhöhung der Einsatzbereitschaft in die Dämmerung und Dunkelheit hinein deutlich zu verbessern – und zwar ressourcen- und kostenschonender als ein 24-Stunden-Betrieb, für den es flächendeckend in vielen Regionen in Deutschland – vor allem in den Nachtstunden – keinen Bedarf gibt, wie die Auswertungen zeigen.

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Für Flüge bei Dunkelheit sind einige ADAC-Helicopter entsprechend ausgerüstet und die Crew speziell geschult.

Innovationen in Technik und Versorgung

Besondere Aufmerksamkeit lenkte Geschäftsführer Frédéric Bruder während der Pressekonferenz, die im Rahmen der Landespressekonferenz im Stuttgarter Landtag abgehalten wurde, auf die Innovationen bei der ADAC Luftrettung, die in den vergangenen Jahren begonnen und auch 2022 konsequent weiter verfolgt wurden. So kooperieren die Gelben Engel und der DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg-Hessen im Pilotprojekt MediCargo bei der Entwicklung einer Drohnenlogistik für den Transport von Blut, Blutproben, Medikamenten und Gewebeproben. Der Startschuss für den Transport von Blutproben per Drohne im täglichen Krankenhausbetrieb ist für den Sommer 2023 im Rahmen eines Probetriebs am Universitätsklinikum Ulm geplant.

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Blutprobentransport per Drohne - auch an diesem Projekt ist die ADAC Luftrettung beteiligt.

Ein weiteres Projekt zur besseren Patientenversorgung begann bereits 2020: Seitdem fliegen der am Bundeswehzentralkrankenhaus Koblenz stationierte Christoph 21 und Christoph 22 aus Ulm mit Blutkonserven an Bord, und können Schwerverletzte mit massivem Blutverlust bereits an der Einsatzstelle entsprechend versorgen. Unkontrollierte Blutungen infolge einer schweren Verletzung bei Unfällen ist die führende Todesursache bei Patienten im Alter unter 45 Jahren. Von den praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen des Pilotprojektes sollen weitere Stationen in Deutschland profitieren. Dabei sind die Helikopter in das Blutbanksystem der beiden Bundeswehrkrankenhäuser eingebunden, sodass sichergestellt ist, dass das wertvolle Medinzinprodukt in den Kliniken verwendung findet und nicht nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums entsorgt werden muss. Hier profitiert die ADAC Luftrettung von einer Gesetzesänderung, die den Transport von Blutprodukten in der Luftrettung seit Januar 2023 offiziell über Pilotprojekte hinaus erlaubt.

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Blutversorgung direkt im Hubschrauber - ein Pilotprojekt in Kooperation mit den Bundeswehkrankenhäusern Ulm und Koblenz machts möglich.

"In Ulm wird herausragende Arbeit geleistet. Wir sind froh die Kameradinnen und Kameradinnen der Bundeswehr als hochkompetente und absolut zuverlässige Partner an unserer Seite zu haben", betonte Frédéric Bruder zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit am Bundeswehrkrankenhaus, die sich am 1. April 2023 zum 20. Mal jährt.

Luftrettung mit dem Multikopter

Als weltweit erste Organisation positioniert sich die ADAC Luftrettung zudem, um den Betrieb von elektrisch angetriebenen Multikoptern für den Transport von Notärzten zu testen. Mit dem Hersteller Volocopter aus Bruchsal ist noch in diesem Jahr der erste öffentliche Probeflug für die Luftrettung mit einem "VoloCity" am Flughafen Lahr geplant. Ein Multikopter dieses Typs soll 2024 im Rahmen von operativen Tests in Bayern und Rheinland-Pfalz in den Realbetrieb gehen und eine vor zwei Jahren ausgearbeitete Machbarkeitsstudie mit praktischen Erfahrungswerten ergänzen.

Dabei geht es nicht um Patiententransport im Multikopter, sondern vielmehr um die Rolle, in der der Rettungshubschrauber in den allermeisten Fällen zum Einsatz kommt: als Notarztzubringer, der dann alarmiert wird, wenn ein bodengebundener Notartzt nicht oder nicht schnell genug erreichbar ist. "In diesem Zusammenhang kann ein Multikopter eine Ergänzung des bestehenden Konzepts der Luftrettung sein", kommentierte Dr. Björn Hoßfeld, leitender Hubschrauberarzt von Christoph 22. "Den Hubschrauber ablösen hingegen wird er mittelfristig aber nicht."

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Erscheinungsdatum 20.03.2023