Dr. Nicolas von Mende im Interview
„Partner auf Augenhöhe“

Atlas Air Service AG hat zum Jahreswechsel die AAL AG (ehemals Altenrhein Aviation Limited) zu 100 Prozent übernommen. Welche strategischen Entscheidungen dahinterstehen und welchen Kurs die Firmengruppe jetzt einschlagen möchte, erklärt CEO Dr. Nicolas von Mende.

„Partner auf Augenhöhe“
Foto: Atlas Air Service / AAL AG
Nach dem Zusammenschluss mit Augsburg Air Service gehört jetzt auch die AAL AG zu Atlas Air Service. Wieso fiel die Wahl auf das Schweizer Unternehmen?

Wir kennen die Geschäftsführer in Altenrhein seit vielen Jahren. Wenngleich Atlas Air Service nicht aktiv auf der Suche nach einem neuen Partner war, haben wir uns in Gesprächen angenähert. Schließlich hat nach 18 Monaten Verhandlungen alles zusammengepasst und es kam zum Vertragsabschluss. AAL arbeitet auf einem ebenso hohen Qualitätsniveau wie wir in Bremen und Augsburg. Diese Qualität war grundlegende Voraussetzung für eine Übernahme, schließlich möchten wir unseren Kunden an jedem Standort das gleiche hohe Service-Niveau bieten. Auch beim Management und in der Belegschaft passte alles – wir teilen die gleiche Mentalität. Wir sprechen also keinesfalls von einer feindlichen Übernahme, sondern verstehen uns als Partner auf Augenhöhe. Das zeigte sich schon Anfang Januar bei einem Besuch von sechs Managern aus Bremen und Augsburg in Altenrhein: Wir haben sofort gemeinsame Projekte geplant, etwa die weitere Digitalisierung im Betrieb und die Weiterbildung von Personal.

Unsere Highlights
Was waren die Gründe für den Zusammenschluss?

Größe ist kein Selbstzweck. Für uns sind drei Gründe entscheidend: Als Gruppe sind wir fünfmal größer als Altenrhein; das dient dem Kunden beispielsweise durch ein größeres AOG-Team und bessere Verfügbarkeit von Ersatzteilen. Zweitens erweitern wir das Portfolio der von uns betreuten Flugzeuge. Augsburg Air Service ist Spezialist für Beechcraft-Flugzeuge und jetzt auch für Arbeiten am Cirrus Jet zugelassen. In Bremen und Altenrhein haben wir viel Erfahrung mit Embraer-Jets gesammelt. Neu hinzugekommen sind die Zulassungen für die Wartung kleinerer Gulfstream-Jets wie der G280 am Standort Altenrhein. Außerdem verstehen wir uns in allen drei Betrieben auf die Maintenance der Cessna Citation-Familie. Drittens haben wir die Präsenz im Süden erweitert. Die Atlas-Gruppe betreut jetzt vermehrt Kunden aus Österreich und der Schweiz und angrenzenden Ländern.

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Welche Vorteile ergeben sich konkret? Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Standorten?

Wir haben eine dezentrale Struktur, in der die Unternehmen ihre Eigenständigkeit bewahren. Wo es uns sinnvoll erscheint, nutzen wir jedoch Synergie-Effekte. Ich denke an einen gemeinsamen AOG-Service, untereinander koordinierte Lagerhaltung von Ersatzteilen und den Austausch von besonders qualifizierten Spezialisten – das alles erhöht unsere Qualität zum Vorteil unserer Kunden. Außerdem: Hochwertige Spezialwerkzeuge und Testgeräte können wir gemeinsam nutzen und müssen sie nicht für jeden Standort einzeln kaufen. Wir wollen unsere sehr moderne IT-Infrastruktur, die wir vor vier Jahren in Bremen neu eingeführt haben, jetzt in allen Betrieben implementieren. Augsburg und Bremen teilen sich eine Buchhaltung und haben ein gemeinsames Personalmanagement. Auch das Marketing betreuen wir zentral.

Ist die Verteilung auf Standorte innerhalb und außerhalb der EU ein Vor- oder ein Nachteil?

Kurze Antwort: Es ist Vor- und Nachteil zugleich. Lange Antwort: Unser Vorteil ist, dass wir den Kunden aus der Schweiz einen inländischen Wartungsbetrieb anbieten können. Auch gibt es ausländische Kunden, die die Schweiz der EU vorziehen. Da auch in der Schweiz die Regeln der EASA gelten, ist das kein Problem. Wir schätzen die Qualität der Schweizer Arbeit, wissen aber zugleich, dass wir es dort mit einem Hochlohnland zu tun haben. Natürlich haben wir – aber auch unsere Wettbewerber – mit Warenlieferungen in EU-Drittländer einen erhöhten Aufwand mit der Verzollung – aber darin haben unsere Mitarbeiter Routine.

Atlas Air Service / AAL AG
Blick in die Werft in Altenrhein.
Die Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein waren einst auch Standort für Flugzeugbau. Mit dem Militärflugzeug P-16 entstand dort beispielsweise der Urahn des Learjet 23. Wäre der Bau von Flugzeugen eine Option für Atlas Air Service oder geht es ausschließlich ums Wartungsgeschäft?

Nein, Atlas Air Service strebt nicht an, Flugzeughersteller zu werden. Allerdings wurden in Altenrhein bis vor wenigen Jahren Strukturteile für Pilatus-Flugzeuge gefertigt. Dieses Geschäftsfeld würden wir gerne wieder aufleben lassen. Zudem besitzen wir eine breite Kompetenz bei Umrüstungen. Im vergangenen Jahr haben wir in Bremen eine Embraer Legacy 600 mit einer neuen Kabine ausgestattet. Auch auf Umrüstungen von Special-Mission-Flugzeugen verstehen wir uns. Atlas Air Service verfügt zudem über eine große Komponentenwerkstatt, in der auch größere Bauteile wie ganze Tragflächen repariert werden. Das Team in Augsburg ist auf Umrüstung und Leistungssteigerungen von King Airs spezialisiert. Also sind wir als Gruppe Komplettanbieter.

Wo sieht Atlas Air Service seinen Schwerpunkt: Als Betreiber von Business Jets, als Vermittler von Gebrauchtflugzeugen, in der fliegerischen Ausbildung oder in der Wartung?

Unser Alleinstellungsmerkmal ist unsere breite Aufstellung. Atlas Air Service und seine Partner bieten Flugbetrieb, Flugzeughandel und Flugzeugwartung aus einer Hand. Ein eher kleiner Mitspieler sind wir im Chartergeschäft. Wir managen zwölf Flugzeuge im Auftrag von Kunden, von denen nur drei für Charterflüge zur Verfügung stehen. Gebrauchtflugzeuge vermitteln wir nicht nur, sondern treten auch selbst als Käufer und Verkäufer auf. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn ein Kunde sein Flugzeug schnell veräußern möchte. Durch unsere Erfahrung in der Maintenance können wir Kunden nicht nur fundiert beim Kauf beraten, sondern die vermittelten Flugzeuge auf Wunsch auch in unsere eigene Wartung aufnehmen. Die fliegerische Ausbildung kommt vor allem unserem eigenen Flugbetrieb zu Gute. Aber auch einige Kunden freuen sich, wenn sie ihr Type Rating auf Phenom oder Citation bei uns statt in einer großen Flugschule erwerben können.

Sind weitere Übernahmen geplant?

Die Voraussetzungen sind gegeben. Die Business Aviation ist ein Wachstumsmarkt, so dass wir aus wirtschaftlicher Sicht keine Hemmnisse sehen. Bei allem, was wir tun, profitieren wir von einer konservativen Geschäftspolitik: Atlas Air Service ist schuldenfrei. Dadurch haben wir die nötige Finanzkraft. Eine mögliche Übernahme müsste aber strategisch perfekt passen und es muss sich ein Nutzen für die Kunden ergeben.

Wie sehen Sie die Marktbedingungen für die Business Aviation in den kommenden fünf bis zehn Jahren angesichts der Energiewende und vieler Veränderungen, die jetzt politisch und wirtschaftlich angestoßen werden?

Da bin ich optimistisch. Das CO2-Problem in der Luftfahrt ist technisch gelöst. Sustainable Aviation Fuel (SAF), hergestellt nach dem Prinzip Power-to-Liquid, ermöglicht einen geschlossenen CO2-Kreislauf. Das Verfahren benötigt hohe Mengen erneuerbarer Energie, aber es gibt Modellanlagen, die beweisen, dass es funktioniert – auch bei uns in der Nähe im Emsland. Der resultierende Treibstoff, basierend auf Wasser und auf Kohlendioxid aus der Atmosphäre, ist zertifiziertes Kerosin in seiner reinsten Form. Um SAF zu tanken, muss nicht mal etwas an den Triebwerken der Business Jets geändert werden. Derzeit ist dieser Treibstoff noch drei bis viermal teurer als fossile Energie und nur begrenzt verfügbar. Wir beobachten aber auch, dass unsere Kunden sich ihrer ökologischen Verantwortung als Unternehmer bewusst sind und durchaus bereit sind, höhere Preise zu zahlen. Die Business Aviation hat im Gegensatz zur Verkehrsluftfahrt von der Coronakrise profitiert, da immer mehr Kunden die Vorteile privater Reisen zu schätzen wissen. Mit verantwortlich handelnden Kunden in einem wachsenden Markt kann die Geschäftsluftfahrt beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnehmen – noch vor den Airlines.

Atlas Air Service / AAL AG
Die 50 Mitarbeiter starke AAL AG ist jetzt Teil der Firmengruppe von Atlas Air Service.

Geschichte und Daten

1927 nahmen die 1924 von Claude Dornier gegründeten Dornier-Werke Altenrhein AG ihren Betrieb auf. Bis heute bekannt ist unter anderem das Flugboot Do X. Im Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Flugzeuge für das Schweizer Militär in Lizenz gebaut. 1949 erfolgte die Umbenennung in Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein AG (FFA) unter dem neuen Eigentümer Clauio Caroni. In diese Epoche fällt die Entwicklung des Kampfjets P-16. Dessen Karriere endete zwar in Folge zweier Abstürze nach nur fünf gebauten Exemplaren, doch seine Gene lebten später im Learjet weiter. Auch der Trainer AS 202 Bravo kommt aus Altenrhein. Nach mehreren Eigentümerwechseln ist die heutige AAL AG seit Januar 2022 Teil von Atlas Air Service. Die Mitarbeiter erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund zwölf Millionen Schweizer Franken. Insgesamt beschäftigt die Firmengruppe 270 Mitarbeiter: 150 in Bremen, 70 in Augsburg und 50 in Altenrhein. Der privat betriebene Airport St. Gallen-Altenrhein am Südufer des Bodensees verfügt über eine 1500 Meter lange Piste mit Instrumentenanflug.

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Erscheinungsdatum 20.09.2023