Die Verniedlichung rührt von dem damaligen Maßstab für alle vierstrahligen Verkehrsflugzeuge her, dem „Jumbo-Jet“ Boeing 747. Denn der „Jumbolino“ ist, anders als alle anderen je gebauten Verkehrsflieger mit vier Strahltriebwerken, das einzige kleinere für Kurz- und Mittelstrecken ausgelegte Muster. Bereits seit 1998 setzt die WDL-Aviation die BAe 146 ein und ist heute das bundesweit einzige Luftfahrtunternehmen, das noch drei Flugzeuge dieses Typs betreibt. Homebase der Firma ist der Flughafen Köln/Bonn, an dem sie 1991 neu gegründet wurde. Außerdem haben ihre „Jumbolinos“ noch einen Platz am Airport Düsseldorf, von dem aus viele von der WDL-Aviation durchgeführten Flüge starten. Aber auch jeder andere Flughafen wird international auf Kundenanfrage von den Maschinen bedient.
Angefangen hatten die Köln/Bonner mit drei Fokker F-27, zu denen später noch ein Metroliner und zwei Learjet LR 55 hinzukamen. Aber für Walter Böhnke, Geschäftsführer des traditionsreichen Betriebs, ist der „Jumbolino“ das mit Abstand schönste Muster, das er je in seiner Flotte hatte. Der Jurist und Verkehrspilot muss es wissen, er war von Anfang an dabei. In den Jahren seiner Tätigkeit für die WDL-Aviation hat er nicht nur alle unterschiedlichen Muster seines Arbeitgebers geflogen, sondern auch mehr als 30 Flugzeuge für ihn angeschafft. Bis zu fünf BAe 146 zugleich hat er in der Unternehmensflotte erlebt.
Begonnen hatte Böhnke seine Karriere als Pilot 1982 noch vor der Neugründung. Die ist heute Teil der WDL-Gruppe, die auf das fliegerische Urgestein Theodor Wüllenkemper zurückgeht. Der Mülheimer Unternehmer war an der Ruhr bereits 1955 mit einer Tiger Moth in der kommerziellen Luftwerbung angetreten – aus dieser Zeit rührt auch das Kürzel WDL für „Westdeutsche Luftwerbung“ her. Die betreibt die Firmengruppe an ihrem Standort in Essen/Mülheim noch heute in Verbindung mit Passagierflügen mit einem Prallluftschiff. Kurz nach der Gründung stand dort schon eine ganze Flotte Piper PA-18 für Werbeflüge bereit, später wurden auch Inselflüge angeboten. Das Unternehmen wuchs und wuchs, ehe Walter Böhnke dort anheuerte. Schnell stieg er in dem aufstrebenden Unternehmen am neuen Standort auf, zunächst vom Piloten zum Flugbetriebsleiter, nur drei Jahre nach seinem Dienstantritt schließlich zum Geschäftsführer. Seither lenkt er fast durchgehend die Geschicke der Firma.
Die Anschaffung des ersten „Jumbolinos“ vor 18 Jahren ist auf sein Betreiben zurückzuführen und stellt für ihn einen Meilenstein im Erfolg des Wet-Lease-Anbieters dar. Zur Wahl stand 1991 entweder der Kauf einer gebrauchten ATR-72 oder eben einer BAe 146-100. Die bot zum gleichen Preis von damals 14 Millionen D-Mark gegenüber der französisch-italienischen Turboprop mehrere für Böhnke entscheidende Vorteile: Sie konnte mit den Kurzstart- und -landeeigenschaften der Turboprops mithalten, war aber deutlich schneller und leiser als diese. Außerdem gab es bei dem mit dem offiziellen Beinamen „Whisperjet“ versehenen Flugzeug fürs gleiche Geld 75 Passagierplätze, die aber auf eine Maximalbestuhlung von 82 Sitzen ausbaufähig waren. Böhnke schlug zu und sicherte sich für den neuen Flieger auch gleich ein Callsign mit angehängtem Unternehmenskürzel: D-AWDL.
Trumpfkarte „Flüsterjet“
Bereits vier Monate später folgte ein weiterer „Jumbolino“, diesmal eine BAe 146-200. Zuvor gehörte die 90-sitzige Präsidentenmaschine dem indonesischen Diktator Suharto. Und erneut hatte Böhnke nicht nur beim Kauf ein glückliches Händchen, sondern auch beim Luftfahrt-Bundesamt: Die Neuerwerbung erhielt das mit dem Namenskürzel des Unternehmensgründers versehene Callsign D-AWUE. Für den jungen Geschäftsführer war das ein gutes Omen für den Flottenausbau und die weitere Geschäftsentwicklung. Ende der 1990er Jahre hatte die Lärmdiskussion längst auch die gewerbliche Fliegerei erreicht. Da kamen die schnellen und leisen Jets mit 420 Knoten Reisetempo und dreieinhalb Stunden Reichweite gerade recht, weil sich mit ihr auch problemlos City-Airports anfliegen ließen. „Die Nachfrage war damals riesig“, erinnert sich Böhnke heute, „nicht nur bei privaten Charterern, sondern auch bei den Zubringerverbindungen für die großen Airlines.“
Von den damals 70 Beschäftigten der WDL-Aviation gehörten 35 Mitarbeiter zum fliegenden Personal. Diese Zahl auf bis zu 50 aufzustocken, hielt Böhnke nachfragebedingt für problemlos tragfähig. Natürlich wären dann aber noch zwei weitere dieser Flugzeuge vonnöten gewesen, um die Nachfrage bedienen zu können. Fünf BAe 146 kamen stattdessen noch hinzu, die letzten beiden wurden indes nicht mehr eingesetzt.
Damit markierten insgesamt fünf „Jumbolinos“ den Höchststand der aktiven Flotte dieses Musters im Köln/Bonner Flugzeugpark. Hinzu kamen in der Historie des Unternehmens noch zwei Learjets LR 55 und 16 Fokker F-27. Mit drei der Propellerflugzeuge flog die WDL-Aviation noch bis vor sechs Jahren Transporte für diverse Frachtunternehmen. Während sich mit den kleinen Bombardiers der Jetset gut bedienen ließ – in der Kundenliste der WDL-Aviation finden sich so schillernde Namen wie Naomi Campbell oder Pelé –, bot der „Jumbolino“ für größere Passagierzahlen gegenüber den ATR-Flugzeugen handfeste wirtschaftliche Vorteile.
Die letzten beiden Maschinen dieses Typs, die Böhnke angeschafft hat, waren BAe 146-300. Deren Maximalbestuhlung wollte er jedoch nicht ausschöpfen, weil das die Vorteile den ATR gegenüber relativiert hätte: „Man muss je begonnene 50 Passagierplätze einen Flugbegleiter bereithalten“, erklärt der ATPL-Inhaber, „da ist ein Limit von 72 oder 74 Fluggästen natürlich ebenso unökonomisch wie jeder Sitz über den hundertsten hinaus, weil dann eben sofort ein dritter Flugbegleiter fällig wird.“ Bis zu 100 Sitze haben sich in seinen Augen als das Optimum in der Nische des Wet-Lease erwiesen, einem Geschäftsfeld, in dem sich nur wenige Unternehmen behaupten können. Im Osten Nordrhein-Westfalens etwa gibt es noch die Avanti Air, die mit zwei Fokker 100 das gleiche Business-Aviation-Segment bedient. Der bundesweit größte Anbieter war sicher die Fluggesellschaft Germania, die im Wet-Lease ebenfalls auf dieses bis 1997 gebaute Muster setzte.
Favorit für Kurzstrecken





Die Fokker 100 war aufgrund der Auflösung eines Großteils der US-Airways-Flotte in den 1990er Jahren gebraucht sehr gut verfügbar. Allerdings waren von ihr etwa 100 Exemplare weniger gebaut worden als von der bis 2003 gefertigten BAe 146. Die lief von 1993 an in einer zweiten Serie unter der Bezeichnung Avro Regional Jet vom Band. Das niederländische Muster hat zwar eine spürbar größere Reichweite als der „Jumbolino“, der benötigt dafür aber nur deutlich kürzere Rollstrecken. Ein Vorteil, der die BAe 146 gerade in Verbindung mit ihren leisen Triebwerken auch gegenüber anderen Jets für den Intercity-Verkehr prädestiniert.
So ist sich Böhnke sicher, dass sein Lieblingsmuster maßgeblichen Anteil am Geschäftserfolg der WDL-Aviation hat, auch weil dessen besondere Eigenschaften und das äußere Erscheinungsbild bei den Kunden Eindruck hinterlassen. Denn auch jedem Laien ist auf den ersten Blick sofort klar: Fällt mal ein Triebwerk aus, ist bei dieser Maschine eben nur ein Viertel und nicht gleich die Hälfte der Schubkraft weg. Hohe Sicherheit und Komfort in Verbindung mit der guten Operabilität für den Regionalverkehr auch zu kleineren Plätzen haben eine Menge Kunden auf Böhn-kes Angebot setzen lassen, nicht nur bei Airlines.
Die drei bundesweit letzten BAe 146 hat er heute regelmäßig für Air France/Hop! und Brussels Airlines im Einsatz. Auch im Airbus-Werksverkehr zwischen Hamburg, Bristol und Toulouse sind seine Kunden in den „Jumbolinos“ geflogen – ebenso wie das Personal deutscher Premium-Autobauer oder Teile der europäischen Fußballelite. Borussia Dortmund und Schalke, Arsenal London und die U21 des Deutschen Fußballbundes, sie alle haben die BAe 146 der WDL-Aviation schon gebucht.
Um im Geschäftsfeld „Aircraft, Crew, Maintenance and Insurance“ (ACMI) – wie die für den Kunden Rundum-Sorglos-Dienstleistung Wet-Lease korrekt heißt – wirtschaftlich bestehen zu können, wird in den Unternehmen auch die Instandhaltung selbst betrieben. So verfügt auch die WDL-Aviation in Hangar 6 des Flughafens Köln Bonn über eine eigene nach EASA Part-145 zugelassene Werft. Beim Besuch des aerokuriers rollt gerade eine Maschine zum Start nach Düsseldorf aus der Halle, um von dort am nächsten Morgen mit Passagieren abzuheben. Auch bei ihr fällt – wie beim „Jumbo“ – sofort der „Elefantenbuckel“ in der Silhouette auf, der sich an den Flächenwurzeln des freitragenden Schulterdeckers erhebt. Ein weiterer WDL-“Jumbolino“ ist bereits unterwegs, der dritte steht gerade zum C-Check in der Halle und bietet somit tiefe Einblicke in die Struktur dieses interessanten Flugzeugs. Sämtliche Sitze und ein Großteil der Verkleidungen sind ausgebaut, gigantische Stützen unter Flächen und Rumpf halten die Maschine über dem Boden. Das Leitwerk ist komplett eingerüstet, demontierte Verkleidungen gewähren Einblick in die Antriebsstrukturen der Klappen, auch die Triebwerke sind teilweise freigelegt. Überall liegen Teile und Aggregate auf Werkstattwagen.
Trotz des enormen Aufwands, den ein solcher Major Check mit sich bringt, geht es erstaunlich ruhig und beschaulich in der Halle zu – überall sind die Mitarbeiter in ihre jeweiligen Baustellen vertieft. Eine junge Dame ist mit der Aufarbeitung der Lederpolster beschäftigt, ihr Kollege checkt die Klapptische in den Rückenlehnen. Dabei wird nicht einmal allein die Liste aller vorgeschriebenen Punkte in den Wartungshandbüchern abgearbeitet. Arbeiten, die noch Zeit hätten, werden bei solchen Gelegenheiten vorgezogen, um das Flugzeug nach einer solchen Inspektion nicht bald erneut aus dem Flugbetrieb nehmen zu müssen. Dem bloßen Augenschein nach dürfte das kaum drohen – im Gegenteil. Denn nach dem rein äußeren Zustand der Bauteile und Systeme, die sich in dieser Zerlegungsstufe genauer betrachten lassen, macht alles an dem Flugzeug einen extrem gepflegten Eindruck. Man sieht dem „Jumbolino“ förmlich an, dass nicht nur der Chef ihn besonders mag. Und weil gut gewartete und gepflegte Maschinen ein hohes Einsatzalter erreichen, dürften die letzten drei „Jumbolinos“ Deutschlands noch eine Weile vom Flughafen Köln Bonn aus in die Luft gehen.
Aerokurier Ausgabe 02/2017