Es war eine kleine Sensation, als 2008 der bis dahin unbekannte Raphael Celier mit seinem Tragschrauber Xenon 2 auf den deutschen Markt kam. Diese Art Luftfahrzeuge gab es am deutschen Himmel, wenn überhaupt, nur als unverkleidete Tandemsitzer. Dieser hatte jedoch eine geschlossene Kabine. Man saß sogar nebeneinander, und er war er für den Luftverkehr in Deutschland zugelassen.
Das große Platzangebot im Inneren und die hubschrauberähnliche Rundumverglasung sollten eigentlich Garanten für einen raschen Marktdurchbruch sein. Aber es gab immer wieder Gerüchte und Geschichten um das Luftfahrzeug und seinen Erbauer. Mehrfach wechselnde deutsche Musterbetreuer, mangelnde Performance und technische Schwachstellen führten letztlich dazu, dass es um den Xenon sehr ruhig wurde.
Allerdings – und auch das muss gesagt werden – sind bis heute nur einige wenige glimpflich verlaufene Unfälle zu verzeichnen.
„Ein Neuanfang war die einzig sinnvolle Entscheidung, um die bisherigen Investitionen für ein gutes Konzept nicht zu gefährden“, erklärt mir Konstrukteur und Haupteigentümer Raphael Celier, als ich ihn in seinem Betrieb in Polen, 40 Kilometer südlich von Lodz, besuche. Die Geschäftsbeziehung mit seinem früheren Partner Trendak wurde aufgelöst, und Anfang 2012 gründete Celier zusammen mit drei weiteren Investoren die Celier Aviation mit Sitz in Warschau. Heute ist das Unternehmen ISO-zertifiziert und hat in Deutschland und auf Malta Niederlassungen etabliert.
In Polen treffe ich auch Harry Stüdemann, den deutschen Musterbetreuer und Verkaufsleiter des Unternehmens. Er und Raphael Celier gehen mit mir durch die Fertigungshallen, wo mit modernsten Maschinen die gesamten Aluteile des Tragschraubers hergestellt werden. Die Zelle kommt derzeit noch von einem Zulieferer aus Polen, soll aber demnächst ebenfalls im eigenen Werk produziert werden. Sie ist aus Kohlefaser aufgebaut und so konstruiert, dass sie angeblich sogar militärischen Spezifikationen entspricht. „Da müssen 15 g Belastung verkraftet werden“, unterstreicht Celier. Die Rotorblätter werden von AirCopter als Strangprofil angeliefert und hier endmontiert.
Ich sehe ein Gerät, das mich an den Sesseltester bei Ikea erinnert. Immer und immer wieder wird ein eingespannter Mast einschließlich Rotorkopf mit mehreren Tonnen nach hinten oben gezogen. „42 Millionen Hübe entsprechen etwa 2000 Betriebsstunden“, bekomme ich erklärt. In bestimmten Abständen werden die Testreihen unterbrochen und das Material geprüft. „Obwohl nach dieser Zeit keine Risse oder Ermüdungserscheinungen feststellbar sind“, führt Stüdemann weiter aus, „setzen wir die TBO aus Sicherheitsgründen auf 1000 Stunden.“
Optimale Sichtverhältnisse
In der Montagehalle stehen verschiedene Xenons in unterschiedlichen Ausbaustufen. Die Kabine ist bei allen gleich und entspricht im Groben dem altbekannten Xenon 2. Ich erinnere mich, dass ich bei meinem ersten Test vor vielen Jahren sehr erstaunt über die Abmessungen war: Die Innenbreite von 125 Zentimetern und der seitliche Sitzabstand von 28 Zentimetern sind Werte wie bei einem Kleinwagen. Ich messe den Abstand von der Sitzfläche bis zur Decke mit 95 Zentimetern und von der Rückenlehne bis zu den Pedalen mit 115 Zentimetern. Das übertrifft sogar noch so manches Kleinwagenmaß – ein zusätzlicher Grund, mich auf die Testflüge zu freuen, denn häufig bekomme ich meine 1,90 Meter Körpergröße nur mit Akrobatik ins Cockpit des Fluggeräts.
Am nächsten Morgen steht meine Testmaschine, ein Xenon 4 Executive, auf dem Vorfeld des ehemaligen Militärplatzes Piotrkow, nur wenige Kilometer vom Werk entfernt. Dieser Tragschrauber ist mit einem 8,60 Meter langen Rotor ausgestattet und hat eine deutsche Zulassung mit 560 Kilogramm. Als Antrieb dient ein Rotax 912 ULS-T. Das ist der 912er, der mit einem externen Turbolader bestückt wird und damit dauerhaft 135 PS (100 kW) leistet. Der selbstentwickelte Auspuff senkt den leicht als nervend empfundenen Rotaxsound in eine angenehmere Tonhöhe ab und reduziert die Emission auf 65 Dezibel. Der Motor treibt einen Verstellpropeller von Kaspar und beim Vorrotieren eine flexible Welle mit gekapseltem Bendix an.
Schon beim Einsteigen fällt mir sofort die Stabilität der nach vorn aufschwingenden Türen auf, eine der Schwachstellen früherer Modelle. Sie werden mit Gasdruckdämpfern gehalten und klingen beim Schließen wie eine Autotür. Im Innern beeindrucken edle Ledersitze und ein aufgeräumtes, professionell wirkendes Cockpit. Störend empfinde ich allerdings den roten Gurt, der den Steuerknüppel in vorderster Position hält, um den Rotor zu stoppen, und über den ich beim Einsteigen mein rechtes Bein schwingen muss. Das geht allerdings leichter als gedacht, und so sitze ich auf Anhieb bequem und stoße nirgends an. Da meine Rückenlehne ganz zurückgestellt ist, reicht im straff angeschnallten Zustand meine Armlänge nicht ganz aus, um an die äußersten Schalter am Armaturenbrett zu kommen. Neben mir nimmt Raphael Celier Platz und brieft mich, während der Motor warmläuft, bezüglich Vorrotieren und Startverfahren. Auf der Piste 21, aufgestellt in Startrichtung, ziehe ich den Prerotatorhebel leicht nach hinten, und nach wenigen Sekunden beginnt der Rotor sich zu drehen. Immer noch mit 2100 U/min erhöhe ich die Rotordrehzahl und führe erst bei 150 U/min Leistung nach. Bei 3150 Motorumdrehungen liegen oben knapp 250
U/min an, und ich löse die Feststellbremse. Mit Knüppel am Bauch, aber nicht mit Vollgas, rollen wir an, und schnell hebt das Bugrad ab. Durch leichtes Nachdrücken kann ich den Tragschrauber nahezu waagerecht halten und schiebe erst jetzt den Gashebel ganz nach vorn. Bei kleinster Propellersteigung geht es, fast vollbeladen, mit 5290 U/min und 38 in.Hg bei knapp 100 Stundenkilometern mit 750 ft/min aufwärts. Ein Druck auf den Verstellknopf des Kaspar-Bediengeräts reduziert die Motordrehzahl um fast 400 U/min bei gleichem Steigen. In 1500 Fuß Höhe stelle ich den Propeller noch steiler und erreiche mit 4800 U/min bei 36,5 in.Hg die Reisegeschwindigkeit von 155 km/h. Als ich wechselnde Vollkreise mit unterschiedlichen Schräglagen fliege, stelle ich fest, dass das Steuergestänge die Eingaben verzugsfrei und ohne Kraftaufwand weiterleitet. Die (optionale) elektrische Trimmung erleichtert das Fliegen sehr. Ich genieße in niedriger Flughöhe die optimalen Sichtverhältnisse aus dem Cockpit. Da gibt es keine toten Winkel, denn selbst der Fußbereich ist großzügig verglast.
In 2500 Fuß reduziere ich die Fahrt kontinuierlich und versuche dabei die Höhe zu halten. Bei etwas weniger als 50 km/h beginnt der Tragschrauber in den Sinkflug zu gehen. Jetzt ist noch Gelegenheit, in den Leerlauf zu gehen und die vertikale Autorotationsgeschwindigkeit zu ermitteln. Sie liegt bei ungefähr 9 m/s. Mit einem kurzen Nachdrücken und Halbgas bin ich schnell wieder im Levelflug und habe gerade mal 200 Fuß Höhe verloren.
Im Landeanflug erinnert mich Raphael noch mal daran, 90 bis 100 km/h bis in den sehr bodennahen Flare zu halten. Da hier aufgrund der Masse der Rotorblätter die Drehzahl nicht schnell zusammenbricht, „segeln“ wir eine ganze Weile über die 1000 Meter lange Bahn, bis wir schließlich sanft aufsetzen. Ich führe noch mehrere Landungen aus ungewöhnlichen Positionen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch und kann dem Xenon 4 in allen Situationen ein gutmütiges Verhalten bescheinigen.
Einen völlig neuen Weg beschreitet Celier Aviation im Bereich Service. Zur Ersatzteilbeschaffung loggt sich der User auf der Firmenseite ein und kommt zu einer Explosionszeichnung seines persönlichen Xenon. Mit einem Klick auf das benötigte Bauteil wird am rechten Bildschirmrand der Warenkorb mit Preisangabe angezeigt. Nach Abschluss der Bestellung erfolgt die Lieferung innerhalb von fünf Tagen. In Deutschland stehen Xenon-Piloten Wartungsstützpunkte in Leck (nahe Flensburg), Mainz und Freiburg zur Verfügung.
Technische Daten
Xenon 4
Antrieb
Motor: CA 912 ULST
Leistung: 100 kW/135 PS
Propeller: Kaspar KA-2/3LT, d = 172 cm, Dreiblatt, GFK, verstellbar
Abmessungen
Gesamtlänge: 5,10
Breite: 2,20
Höhe: 2,80
Rotordurchmesser (Aluminium): 8,60 m
Massen
Leergewicht: 295 kg
MTOW: 560 kg
Leistung
VC: 160 km/h
VNE: 180 km/h
Vmin: 35 km/h
bestes Steigen: > 3,5 m/s bei 100 km/h
Verbrauch: 18 bis 20 l/h
Tankvolumen: 84 l
Preis: ab 88 000 Euro (netto)
aerokurier Ausgabe 01/2016