Interview
Michael Platzer – Der Kiebitz und sein Vater

Mit dem Kiebitz schuf Michael Platzer eine kleine Legende der Ultraleichtszene. Auch gut 30 Jahre nach dem Erstflug kann er nicht von seinem Kind lassen und nimmt noch immer jedes Exemplar persönlich ab.

Michael Platzer – Der Kiebitz und sein Vater
Mit dem Kiebitz schuf Michael Platzer eine kleine Legende der Ultraleichtszene. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Herr Platzer, sehen Sie den Kiebitz als Lebenswerk?

Ja, das kann man so sagen. In Deutschland sind aktuell 175 Kiebitze zugelassen, weitere 30 sind im Bau oder im Ausland registriert. Das macht schon stolz. Andererseits habe ich auch viel geopfert für den Flieger. Er ist immer das Thema, egal wo man hinkommt. Das macht nicht jeder mit.

Was ist das Besondere an der Konstruktion des Flugzeugs?

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Einen Doppeldecker zu bauen ist schwierig, da aerodynamisch fünf verschiedene Strömungen beachtet werden müssen. Es gab aber kein Vorbild für das Flugzeug, das über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden ist. Es dürfte zudem den Rekord halten, als einziges Muster für mehr als 15 verschiedene Motoren zugelassen zu sein. Interessant ist auch, wie sich das Modell entwickelt hat. Bei den ersten Kiebitzen wog die Zelle samt Motor unter 150 Kilogramm.

Sie beraten alle Interessenten, die einen Kiebitz bauen wollen, von Anfang an. Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um das Projekt zu vollenden?

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Ich rate denjenigen vom Bau ab, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie es nicht durchziehen. Die Hälfte springt frühzeitig ab. Man kann einen Kiebitz in 1700 Stunden bauen, es kann aber auch ein Vielfaches an Zeit kosten. Die Eigenbauer kommen aus allen Berufsgruppen, es ist also nicht unbedingt Voraussetzung, ein Handwerk gelernt zu haben.

Warum der Name Kiebitz?

Ich wollte meinem Flugzeug keinen reißerischen Namen geben. In einem Vogelkundebuch fiel mir ein Vogel auf, der runde Flügelenden hat, so wie mein Entwurf. So wurde der Kiebitz zum Namenspaten.

Wie halten sie Kontakt zur Kiebitz-Fangemeinde, die als treu und verschworen gilt?

Es gibt die Kiebitztreffen, und ich betreue ja alle Selbstbauer. Dazu nehme ich jedes Flugzeug persönlich ab, derzeit etwa fünf bis zehn pro Jahr. Meine Lebensgefährtin hilft mir dabei. In Zusammenarbeit mit der „alten Garde“ gibt es auch einen Mitteilungsdienst. Der größte und vielleicht wichtigste Effekt des Fliegers ist die Gemeinschaft derer, die ihn fliegen.

Warum wurde der Kiebitz trotz des Erfolges nie in Serie gefertigt?

Von Beginn der Konstruktion an war mir wichtig, dass es ein Selbstbauflugzeug ist. Denn es sollte kein Flugzeug sein, das sich nur Wohlhabende zulegen können. Der Kunde hat eine gewisse Freiheit beim Bau und der Individualisierung und wächst so mit seinem Flugzeug zusammen. Die Sicherheit ist mir nach wie vor sehr wichtig, daher der enge Kontakt und die persönlichen Abnahmen.

Alle Pläne sind vom Konstrukteur selbst gezeichnet und verlangen ein Mindestmaß an technischem Verständnis. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Viele Kiebitzbauer passen ihr Flugzeug individuell an. Was halten Sie davon?

Alle Abweichungen bedeuten einen Arbeitsaufwand für mich, da ich mich um die Zulassung kümmern und das Handbuch ändern muss. Bisher habe ich viel nachgegeben ...

Vor dem Kiebitz haben Sie die Motte konstruiert. War damit der Weg zum Kiebitz vorgezeichnet?

Bei der ursprünglichen Motte ging es um Einfachstbau und eine leichte Konstruktion. Man kann sie als Prototyp für den Kiebitz sehen. Sie war wie ihr Nachfolger ein genuiner Eigenentwurf. Für den Prototyp ging ich in ein Pflanzengeschäft und kaufte alle Bambusstangen auf. In das Gestell baute ich den König-Motor mit drei Zylindern und 27 PS ein. Der flog aber zuerst nicht richtig. Erst als das Gerät mal im Nieselregen stand, bemerkte ich, wie das einfache Tuch endlich Spannung bekam. Ich flog enthusiastisch los, aber der Fahrtwind trocknete den Flügel und ich plumpste in den Acker, der labbrige Stoff war wirkungslos. Mk. II war dann aus Aluminiumrohr und mit vernünftiger Bespannung. Insgesamt wurden etwa 60 Motten nach Bauanleitung unter meiner Überwachung hergestellt.

Sie haben also den Aufschwung der Ultraleichtszene maßgeblich mitgestaltet ...

Es war eine internationale Wiedergeburt der kleinen Fliegerei und eine ähnliche Pionierstimmung wie Anfang des 20. Jahrhunderts. Alles wurde ausprobiert. Zur Zeit der Entstehung der Motte war fundiertes Wissen Mangelware. Ich baute sie, um Unfälle zu vermeiden, da damals noch der Laufstart in Verbindung mit unzuverlässigen Motoren üblich war.

Bis heute hat Platzer am Kiebitz immer weiter getüftelt, brachte eine Version mit Schwimmern in die Luft. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Apropos Laufstart: Sie flogen für die ARD-Sendung „Die Grashüpfer“ einen Lilienthalgleiter, den Sie selber gebaut haben. Wie kam das zustande?

Ich habe den Gleiter mit meiner Familie als Dekoration für einen Fliegerball gebaut. Der war aber aerodynamisch nicht zum Fliegen gemacht, deshalb musste ich für die Produktionsfirma, die davon erfahren hatte, einen neuen bauen und sollte den dann auch fliegen. 

Deren Angebot war großzügig, aber man bestand darauf, dass ich aus zehn Metern Höhe abstürzen sollte, um Lilienthals Unglücksflug nachzustellen. Nachdem ich mich lange genug geweigert hatte, war man dann einverstanden, stattdessen ein Dreiviertel-Modell mit Puppe zu opfern.

Haben Sie derzeit außer dem Kiebitz ein weiteres Projekt?

Ich hatte angefangen, einen Extremflieger zu entwickeln. Er sollte aerodynamisch ausgefeilt und sparsam sein. Die Betreuung der Kiebitze ist aber sehr zeitaufwendig, und ich musste mich fragen, wofür so ein Extremflieger überhaupt gut ist. Wir sind Luftwanderer, die gerne in der Luft sind. Wem ist also geholfen, schneller irgendwo anzukommen? Ich habe nichts gegen solche Flugzeuge, aber es ist nicht meine Philosophie. Außerdem ist so ein Flugzeug in den Händen unerfahrener Leute nicht ungefährlich, ihm fehlen nämlich die guten Langsamflugeigenschaften des Kiebitz. Mit dem bin ich schon im Regen quer zum durchweichten Acker gelandet und wieder gestartet. Wir sollten die Küken der Fliegerei nicht als Raubvögel bauen.

Ein Tüftler und seine Werke

Das Fliegen hat den Maschinenbauingenieur schon immer fasziniert. Nach der Segelflug- und Motorseglerausbildung konstruiert Platzer den Eindecker Motte. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Das Fliegen hat den Maschinenbauingenieur schon immer fasziniert. Nach der Segelflug- und Motorseglerausbildung konstruiert Platzer den Eindecker Motte, das erste dreiachsig gesteuerte Ultraleichtflugzeug Deutschlands. Mit einer Leermasse von 90 Kilogramm und ebenso viel Zuladung war sie immerhin 125 km/h schnell. Dafür reichte ein Rotax 462. Einen Bausatz gab es nicht, nur die Pläne. Spätere Motten erhielten eine Verkleidung. Sein Lebensprojekt, der Kiebitz, wurde ebenfalls ein reines Selbstbau­flugzeug.

Bis heute hat Platzer am Kiebitz immer weiter getüftelt, brachte eine Version mit Schwimmern in die Luft und konstruierte eine spezielle Rad-Ski-Kombination, mit der man aus tiefem Schnee starten und auf einer befestigten Piste landen kann. Sogar ein Tandem, das man zusammengeklappt im Kiebitzrumpf verstauen kann, hat der Tüftler gebaut. „Es nervt halt, wenn man irgendwo landet und dann nicht vom Flugplatz weg kommt“, kommentiert er lapidar.

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Erscheinungsdatum 20.09.2023