Schüler investieren ihre Freizeit in das Projekt
Die Montage von Auspuff und Bremsscheiben sowie Einstellarbeiten an der Steuerung stehen an diesem Freitagnachmittag auf dem Programm. Es ist kühl im November 2011 in der Werkstatt am Flugplatz Bonn/Hangelar. Im schummrigen Mix aus Tages- und Kunstlicht steht der Rohbau eines Tragschraubers, ein MTOsport von AutoGyro aus Hildesheim.
Rundherum hat sich eine Gruppe junger Leute geschart. Zweimal in der Woche sind neun Schüler und eine Schülerin der Oberstufe des Bonner Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums nach Unterrichtsschluss hier. Freitags und samstags bauen sie einen Tragschrauber. Obwohl sie ihre Freizeit in das Projekt investieren, beeinflusst der Bau des MTOsport auch die Abiturnote –Physiklehrer Christian Olejniczak ist deshalb stets vor Ort. In diesem Schuljahr ist das Unterrichtsfach „Flugzeugbau“ erstmals Bestandteil des Lehrplans.
Ihre Betreuer, der 22-jährige Sebastian Wöhlert und der 30-jährige Frederic Jaeger, zwei Fluggerätmechaniker der Mainzer Flugschule RheinMain, die Wartungs- und Servicebetrieb sowie Vertriebspartner der Firma AutoGyro für Südwest-Deutschland ist, teilen die Tragschrauberbauer in zwei Gruppen auf: Die eine kümmert sich zunächst um die Abgasanlage des Rotax 912 S, die andere um das Anbringen der Bremsscheiben.
Gefordert sind Initiative und selbstständiges Denken

Wie werden Bauteile montiert? Welche Schraube gehört wohin? Worauf kommt es im Detail an? Die beiden UL-Spezialisten aus Mainz haben selbst täglich Kontakt mit der Technik eines Tragschraubers und wissen wie’s geht – zu viel verraten wollen sie ihren Schützlingen aber nicht. Wenn’s mal klemmt, dann sind sie natürlich zur Stelle.
Oliver Höppner hat das Projekt ins Leben gerufen. Er ist Leiter des HOG-Bildungsinstituts aus Sankt Augustin und der Initiative SchulTechnikum. Mit dem Gedanken, gemeinsam mit Schülern ein Luftfahrtprojekt zu realisieren, fuhr er im Sommer 2009 zum Flugplatz Bonn/Hangelar und traf dort auf Tragschrauber-Fluglehrer Georg Wicharz – diese Zusammenkunft war der perfekte Zufall. „Wir saßen in der Sonne und haben Pläne geschmiedet“, erinnern sich die beiden.
Zwischen diesem Treffen und dem Startschuss im September 2011 standen unzählige Briefe, Mails, Verabredungen und Telefonate. Schließlich waren viele Fragen zu beantworten. Wer finanziert den Tragschrauber? Ist es überhaupt möglich, einen Bausatz zu bekommen, wo doch AutoGyro den MTOsport ausschließlich flugfertig anbietet? Welche Schule könnte Interesse an einem solchen Projekt haben?
„Wir haben 50 Schulen kontaktiert, aber nur drei zeigten Interesse“, sagt Oliver Höppner. Am Ende bekam das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium den Zuschlag. Die Schule sieht einen ihrer Schwerpunkte im MINT-Bereich. Die Abkürzung MINT steht dabei für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Da passte das Fach namens „Flugzeugbau“ bestens ins Portfolio.
Projekt soll Interese an der Luft- und Raumfahrt wecken

Ziel ist es, bei den Schülern den Spaß an der Luft- und Raumfahrt zu wecken. Sie lernen das praktische Arbeiten, erwerben theoretische Hintergründe und müssen ganz nebenbei kaufmännisches Denken in ihr Projekt einfließen zu lassen. Oliver Höppner will so auch für einen fließenden Übergang von der Schule ins spätere Berufsleben sorgen.
Mit der Mainzer Flugschule RheinMain war schließlich auch ein Partner zur Finanzierung und technischen Baubetreuung des Tragschraubers gefunden. Der Hersteller AutoGyro aus Hildesheim seinerseits war bereit, ausnahmsweise einen Bausatz eines MTOsport auszuliefern. Nebenbei gab es unzählige Kontakte, die dabei halfen, das Projekt zu stemmen – wertvolle Tipps gab etwa die Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR). Höppner: „Wir mussten gründlich planen, denn ein Scheitern des Projekts hätten wir uns nicht leisten können.“ Kein Wunder: Alles in allem steckt ein sechsstelliger Betrag im Bonner Tragschrauberbau.
Für die Schüler bedeutet dies nicht bloß, die rund 4800 Einzelteile des MTOsport in einen flugfähigen Zustand zu versetzen. Im Rahmen des Physik-Unterrichts erhalten sie außerdem theoretisches Hintergrundwissen über die Funktionsweise eines Tragschraubers vermittelt. Im Vorfeld des Baus haben sie in mehrwöchiger Arbeit ein digitales 3D-Modell eines Tragschraubers erstellt.
Fliegerei ist für die meisten Neuland





Jeder der zehn Schüler betritt mit der (ultraleichten) Luftfahrt Neuland – einzig Lorenzo Pfeifer hat Erfahrung im Modellbau. Die Motivation, den Tragschrauber auf die Räder zu stellen, ist trotzdem oder gerade deshalb enorm hoch. Die 18-jährige Xenia Theodorou und der zwei Jahre jüngere Leon Reiffert stellen sich gerne der Herausforderung. „Es macht sehr viel Spaß, und man gewöhnt sich ans Schrauben am Samstag.“
Da stört es auch nicht, wenn hier und da mal ein Bauteil hakt – denn nicht immer passt alles so reibungslos wie erhofft. Lösungswege werden gemeinsam gesucht und gefunden. Bei unserem Besuch ist es zum Beispiel das Bugrad, das erst nach einiger Überzeugungsarbeit in seine Führung passt.
Der neue Tragschrauber hat bereits einen Motor samt Prerotator im Heck, die Steuerung arbeitet und das Fahrwerk ist montiert. Komplexe Baugruppen wie Avionik und Kabelbäume liefert AutoGyro als fertige Einheit. Alle Beteiligten sind optimistisch, den ultraleichten Drehflügler bis zum Jahres-wechsel 2011/2012 fertigzustellen.
Dann geht es auf dem Anhänger zum Hersteller nach Hildesheim, wo ein Prüfer das fertige Fluggerät abnimmt und für den Erstflug freigibt. Stationiert wird das metallicrote Schmuckstück voraussichtlich bei der Flugschule RheinMain in Mainz oder bei Georg Wicharz‘ Tragschrauberschule Köln/Bonn in Hangelar. Und die Schüler? Die dürfen auf jeden Fall mitfliegen. „Ich habe mir vorgenommen, mit jedem einzelnen eine Runde zu drehen“, sagt Georg Wicharz.
aerokurier Ausgabe 01/2012