2000 Kilometer, das ersehnte Ziel ist einen Wimpernschlag entfernt. Die Vorarbeit geleistet, ein top Flug bis hierher. Und jetzt, in 2200 Metern an der Mieminger-Kette soll es vorbei sein? Kein Steigen? Alles umsonst? Der Funkspruch eines Königsdorfer Fliegerkameraden, der in den Äther verkündet, dass es an der nur acht Kilometer nördlich gelegenen Zugspitze noch geht, rettet Felix Herolds Hammerflug. Alles wird gut …!
Alles musste gut werden. Denn als Felix Herold am 16. April sein Meisterstück abliefert, ist er bestens vorbereitet. "So ein 2000er fängt nicht am Vortag an, sondern eigentlich Jahre vorher", stellt der junge Pilot fest. Schon bei seinen ersten Flügen in Hang- und Wellenaufwind beginnt er, sich Stück für Stück eine mentale Karte zu basteln. Jeder Flug ein weiteres Puzzleteil, jede Welle ein neues Aha-Erlebnis.
Jahre der Vorbereitung zahlen sich aus
Vor allem die dynamischen Aufwinde in der Schweiz sind für ihn lange ein weißer Fleck – bis drei Wochen vor dem großen Ritt: Da flog er bei unseren südlichen Nachbarn 1000 Kilometer in der Welle. "Ich wusste also, wo es geht, und vor allem, wo es tricky werden kann." Dieses Wissen ergänzt er um die intensive Analyse vergangener großer Wellenflüge: Wo steigen andere? Wo brechen sie ab? Welche Höhe braucht es an Schlüsselstellen? Im Kopf entsteht eine Art Taktikplan.
"Dass es groß werden könnte, war mir einen Tag vorher schon klar", erzählt Felix Herold. Bei der akribischen Wettervorbereitung mithilfe diverser Dienste zeichnet sich ein fliegbares Fenster über 14,5 Stunden ab. Die Großwetterlage zeigt sich als klassische Föhnlage, ausgelöst durch ein herannahendes Tief aus dem Westen – der ideale Motor für kräftigen Südföhn in den Alpen.

Felix Herolds Flug führt zunächst nach Westen bis ans Portal des Gotthardtunnels, von dort nach Osten in die Steiermark, nochmal zurück nach Vorarlberg, wieder gen Osten bis kurz vor Wiener Neustadt und schließlich zurück nach Königsdorf.
Westlich von Innsbruck ist in den Morgenstunden ein deutlich stärkeres Windprofil als im Osten zu erwarten. Es verspricht bereits gute Bedingungen für Wellenbildung. Gleichzeitig strömt in der Westschweiz feuchte Luft ein, die sich im Tagesverlauf weiter ostwärts verlagern und gegen Mittag auch die Ostschweiz erreichen sollte.
Östlich von Innsbruck soll der Wind ebenfalls später einsetzen und verspricht dort im Tagesverlauf zunehmend nutzbare Strukturen. Ein zusätzliches Plus: Der Hangwind soll durch zunehmende Thermikentwicklung im Tagesverlauf zusätzlich unterstützen. Und doch: 2000 Kilometer? Das hatte Felix Herold nicht mal zu träumen gewagt.
Mit Kribbeln im Bauch in den Sonnenaufgang
"Die Sonne ist noch nicht am Horizont zu sehen, als wir von der Königsdorfer Piste abheben", erinnert sich Felix. Das Bauchgefühl: eine Mischung aus Vorfreude, Nervenkitzel und der großen Frage, ob Plan und Realität zusammenpassen. Der erste Hang bringt direkt drei Meter Steigen pro Sekunde im Geradeausflug. "Da fällt einem schon eine Last vom Herzen", meint er. An solchen Tagen fliegt er nach dem Motto: slow and steady. Lieber zu viel kreisen, als sich am Ende aus den Tiefen ausgraben zu müssen, denn das kostet so richtig Zeit.
Zügig geht’s zur rund 100 Kilometer südwestlich gelegenen Parseierspitze, wo sich der Einstieg in die erste Welle überraschend leicht gestaltet. Ab dem Montafon wird es sportlich. Dichte Wolken liegen auf dem Grat, kein Durchkommen auf der gewohnten Linie.
Eine einzelne Föhnlücke, knapp südlich von Bad Ragaz, scheint der rettende Pfad: also nix wie hin! Statt wie sonst südlich des Rheintals unterwegs zu sein, führt der Kurs nun mittendurch. Inzwischen auf Augenhöhe mit Gipfeln und Wolkenbasis wird die Lage knifflig.
Ein Plan-B-Gedanke schleicht sich ein: "Wenn ich jetzt die Reißleine ziehe, komm ich extrem tief in Bad Ragaz an." Noch reicht die Höhe, um weiter nach Wellen zu suchen, aber die Sicht ist mies und das Steigen in der Föhnlücke mau. Zwischen den Wolken fehlt die Übersicht, das klassische Herantasten wird zur Nervenprobe.
Und dann – endlich! Hinter einer Wolkenecke taucht eine saubere Wellenlinie auf. Der Aufstieg läuft nun glatt, Zürich gibt FL 180 frei, eine erste Erleichterung. Doch westlich davon wird es zunehmend feucht, die Wolkendecke zieht zu, Sichtfenster Fehlanzeige. Querab des Oberalppasses ist Schluss. Von der ursprünglich deklarierten Aufgabe muss sich Felix Herold verabschieden, denn die Wende liegt hinter einer Wand aus Wolken und Dunst. Unpassierbar.
Tiefer gelegt vom Tower und trotzdem durch die Welle gezirkelt
Der nächste Downer: Die Flugsicherung kündigt für 8:57 Uhr Lokalzeit Militärübungen an und begrenzt die mögliche Flughöhe auf knapp 3900 Meter. Felix Herold befindet sich zwar schon wieder auf Österreich-Kurs, ist aber zu hoch. Fast 1000 Höhenmeter muss er mittels Bremsklappeneinsatz vernichten – ein Manöver, das richtig weh tut, vor allem mental.

Felix Herold hat bereits mehr als 67 000 Kilometer bei WeGlide geloggt.
Was dann folgt, entpuppt sich als Coup des Tages: Den kompletten Weg vom westlichen Österreich bis in den Osten und wieder zurückmarschiert er ausschließlich in der Welle. Wie sich später herausstellt, liefen die Hänge zu dieser Zeit eher zäh. Doch für den Piloten heißt es keinesfalls: "zurücklehnen und steigen".
Im Gegenteil: Das Finden der richtigen Wellenlinien ist nicht selten ein Ratespiel. Manchmal weist nur ein unscheinbarer Fetzen auf laminares Steigen hin. Schon der Einstieg bei Ischgl, kurz hinter der Grenze Österreich/Schweiz, ist ein Schlüsselpunkt. Überraschend: Der Lift liegt viel weiter im Luv, als es Herold gewohnt ist.
Taktischer Wendepunkt im Osten
Timmersdorf ist Felix Herolds Wendepunkt im Osten, geografisch wie taktisch. Denn hier fällt die vielleicht wichtigste Entscheidung des Tages: abgleiten in den Hang Richtung Wien oder umdrehen und in der Welle zurückreiten? Die Wahl fällt auf die Kehrtwende, denn das Livetracking zeigt, dass die Hänge weiterhin nicht wirklich gehen.
Doch das Zurückfliegen im Wellenaufwind ist auch alles andere als ein Selbstläufer. Die straffe Brise aus Südwest bringt eine unangenehme Gegenwindkomponente ins Spiel, und die Aufwinde im mittleren Höhenband zeigen sich eher schüchtern. Hier zahlt sich die Leistung des Nimbus 4 aus, der auch bei diesen zähen Bedingungen kaum Höhe verliert.
Felix Herold ist auf Kurs, doch kurz vor dem Gerlos passiert es: Er fällt aus der Welle und wird heruntergespült auf 2000 Meter. "Oh Scheiße!", denkt er sich. Gut, dass er die Hangroute vorab am Bildschirm studiert hat. So ist ihm zumindest klar, wo es theoretisch weitergehen könnte.
Aber die Frage, ob die Hänge da unten genauso gut tragen wie in der Höhe, kann er nur durch praktisches Ausprobieren beantworten. Er hat Glück, der Einstieg an der Nordkette gelingt – und mit ihm der Sprung zurück ins System.
Durchatmen, neu sortieren und stoisch weiterfliegen
Weiter geht es am Hang bis zum westlichsten Ende des Arlbergs. Doch der Rückflug wird hier kurzzeitig zur Nervenprobe: Der Sprung über den Pass gelingt dem Piloten nur knapp über Gratniveau, zumal hier das ungute Gefühl mitfliegt, dass der Hang von der darüberliegenden Welle überlagert sein kann. Dann hieße es saufen statt steigen, und das hatte Herold schon das ein oder andere Mal erlebt. Zum Glück bleibt es beim Gedankenspiel, der Hang trägt.

Regen und Saharastaub erschweren nahe des Brenners die Sicht auf den weiteren Weg.
Ab jetzt läuft es wieder richtig rund. Zwischen Lofer und Wien scheinen die Hänge förmlich zu explodieren: eine Mischung aus kräftigem Hangwind und Thermik – und Adrenalin beim Piloten. Der immerhin 800 Kilogramm schwere Nimbus wird in den Turbulenzen regelrecht zum Flummi: plus zehn, minus acht Meter pro Sekunde, alles im rasenden Wechsel. Ein Rodeo ohne einen einzigen Kreis, mit einem Schnitt von 170 Kilometern pro Stunde nach Wien und wieder zurück. Ein Ritt, wie ihn Felix Herold so noch nie erlebt hat.
Die 2000 Kilometer sind fast erreicht, nur noch der Sprung zur Nordkette trennt Felix Herold vom Erfolg. Die Vorarbeit ist geleistet, ein 80er-Schnitt würde reichen. Am Brenner schieben sich schon erste Schauer von Süden her rein, aber hier läuft alles wie geschmiert. Auch der Sprung zur Nordkette klappt.
Das Ziel zum Greifen nah – mit kurzer Schockeinlage
Doch dann die Ernüchterung: An der Mieminger-Kette dümpelt der Nimbus in 2200 Metern herum – kein Steigen. Der Traum scheint zu platzen. In dieser kritischen Phase kommt, der eingangs erwähnte entscheidende Hinweis per Funk: Ein Königsdorfer Teamkollege meldet, dass es an der Zugspitze noch gut geht.
Dort klettert Felix Herold tatsächlich wieder über Gratniveau. 1995 Kilometer stehen in diesem Moment auf dem Logger, und es ist noch Zeit, bis es dunkel wird. Die Hangbedingungen werden allerdings zunehmend instabil: Nicht nur der Totalausfall der Mieminger-Kette gibt zu denken, auch der am Brenner einsetzende Regen will berücksichtigt werden.
Hier trifft Herold die Entscheidung, nur noch so weit zu fliegen, wie er die Höhe stabil halten kann. Das gelingt immerhin noch bis zur 20 Kilometer weiter westlich gelegenen Heiterwand, und hier ist es tatsächlich geschafft: 2000 Kilometer zeigt der Logger an, und es sind noch 80 Kilometer bis zurück nach Königsdorf.
Letzter Kraftakt bis zur Heiterwand
Nun scheint sich die Experimentierfreude final zu rächen, denn auf dem Heimweg macht Saufen mit bis zu acht Metern pro Sekunde den Endanflug zunichte. Die Hänge, kurz zuvor noch aktiv, sind einfach tot. Weder an der Nordostseite der Mieminger noch an der Zugspitze findet Felix Herold Steigen
Es ist inzwischen fünf Minuten nach Sunset, und die Zeit läuft ihm davon. Der Motor bringt den Nimbus und seinen Piloten schließlich sicher nach Hause. Die 2000 Kilometer im reinen Segelflug sind dennoch geschafft. Ziel erreicht!
Obwohl Felix Herold allein im Cockpit saß, macht er deutlich, dass dieser Erfolg ohne das Zusammenspiel vieler engagierter Menschen nicht möglich gewesen wäre. "Vereinskameraden, die um sechs Uhr morgens einen F-Schlepp möglich machen, Controller, die unkompliziert Höhenfreigaben erteilen und Durchflüge koordinieren, der DAeC, der gemeinsam mit dem Förderverein Segelflug, dem Fallschirmhersteller Spekon und TopMeteo das Förderflugzeug Nimbus 4T zur Verfügung stellt – ohne sie alle wäre es nicht gegangen. Ich bin einfach überwältigt, dass ich dank dieser Unterstützung und diesem Vertrauen einen Tag wie den 16. April erleben durfte."