Wer, wie der Autor dieser Zeilen, seine Fallschirmsprungausbildung bei der Bundeswehr gemacht hat, wird die Worte „Hopp tausend, zweitausend, dreitausend“ im Leben nicht mehr vergessen. Sie wurden einem bei der Luftlande- und Lufttransportschule in Altenstadt eingehämmert. Nach dem Absprung aus dem Flugzeug oder dem Hubschrauber ruft der Springer die Zahlen und wartet auf den Entfaltungsstoß des Schirmes, der durch eine Reißleine fest mit dem Flugzeug verbunden ist und sich automatisch öffnet. Wenn man bei fünftausend oder sechstausend angelangt war, ohne den Stoß zu spüren, wusste man, dass man ein Problem hatte und schnell den Reserveschirm ziehen sollte. Diese Art der Ausbildung hat sich beim Militär bis heute wenig geändert, sie hat sich für das Springen mit Automatikschirm aber auch bewährt. Die Wege in den Fallschirmsport sind vielfältig, die Hürden für den Einstieg sind – gemessen an den Einstiegshürden für Privatpiloten – sehr niedrig, denn als Fallschirmspringer benötigt man weder ein flugmedizinisches Medical noch eine „Zuverlässigkeitsüberprüfung“ durch die deutschen Geheimdienste noch einen englischen Sprachtest.
Der Sport gehört sicher zu den spektakulärsten Luftsportarten und fasziniert nicht nur die rund 7000 Menschen, die ihn als Lizenzinhaber in Deutschland regelmäßig betreiben. Der Faszination Fallschirmspringen erliegen in jedem Jahr Hunderte von Menschen, die sich den Traum vom freien Fall in Form eines Tandemsprungs erfüllen. Sehr häufig werden Tandemsprünge zu runden Geburtstagen oder anderen Jubiläen als besondere Geschenke präsentiert. Der Tandemsprung ist die einfachste Art, in das Fallschirmspringen reinzuschnuppern. Das Fallschirmsportcentrum (FSC) Südpfalz in Schweighofen, wo die Fotos für diesen Beitrag entstanden, wirbt für seine Tandemsprünge mit den Worten: „Du rast mit 200 km/h aus 4000 m im freien Fall der Erde entgegen, der Schirm öffnet sich, und Du gleitest fast wie ein Vogel schwerelos am geöffneten Schirm durch die Luft und blickst auf die wunderschöne Südpfalz. Unglaublich? Nein, egal ob 12 oder 99 – auch Du kannst es erleben!“
Für einige ist ein Tandemsprung ein einmaliges Erlebnis, für andere ist es der Einstieg in den Sport. Bei einer Absetzhöhe von 4000 Metern fällt man immerhin 40 bis 50 Sekunden im freien Fall, bevor der Schirm geöffnet wird. Dann hängt man als Tandempassagier noch zwischen fünf und acht Minuten am Schirm, bevor der Ausflug zu Ende geht.
Eine medizinische Untersuchung ist für einen Tandemsprung nicht notwendig. Allerdings sollten keine Herzbeschwerden oder Probleme mit dem Druckausgleich vorliegen. „Für einen Tandemsprung sollte man mindestens 1,40 Meter und maximal 1,90 Meter groß sein“, sagt Wolfgang Löffler, Ausbildungsleiter bei der Fallschirmsportgruppe Aero-Club Braunschweig im Gespräch mit dem aerokurier. Er hat selber über 6000 Sprünge und ist Tandemmaster, das heißt, er darf mit Passagieren springen. „Das Höchstgewicht des Passagiers liegt bei 90 Kilogramm“, berichtet Löffler. Die Grenzen sind abhängig vom Material. Beim FSC Südpfalz werden Passagiere bis zu einer Körpergröße von zwei Metern und einem Gewicht von 95 Kilogramm mitgenommen. Schwerere Passagiere könnten das Material an die Grenzen der Belastung bringen.
Vor dem Sprung erfolgt eine 20 bis 30 Minuten dauernde Einweisung der Passagiere in den Ablauf des Sprungs und in die Ausrüstung. Außerdem werden die Passagiere über sicherheitsrelevante Aspekte unterrichtet. Einige Trockenübungen beschließen die Einweisung, danach geht es an das Flugzeug.
Ein Spezialgurtzeug verbindet den Tandemmaster und seinen Passagier miteinander. Der Passagier hängt vor der Brust des Tandemmasters. Die Mindestabsetzhöhe beim Tandemspringen liegt in der Regel bei 2500 Metern. Empfehlenswert sind aber Höhen um die 4000 Meter, da der Passagier die einzelnen Flugphasen länger erleben kann.
AFF ist die schnellste Ausbildung





Wer nach einem Tandemsprung Lust auf mehr hat und eine Ausbildung zum Erwerb einer Sprunglizenz absolvieren will, hat zwei Möglichkeiten: einmal den konventionellen Ausbildungsweg mit Automatikschirm und verankerter Reißleine und einmal die AFF-Ausbildung. „Es gibt kaum noch Vereine, die nach der konventionellen Methode ausbilden“, sagt Uschi Kirsch, Pressesprecherin des Deutschen Aero Clubs (DAeC) in Braunschweig und selbst erfahrene Fallschirmsportlerin. Der Grund hierfür liegt in dem zeitlichen Aufwand, der dafür notwendig ist. Neben der theoretischen Ausbildung sind beim konventionellen Weg mindestens 23 Sprünge mit Automatikschirm – also mit Reißleine – notwendig, bevor der Sprungschüler seinen ersten Freifallsprung absolvieren darf. Dann kommen mindestens sieben Freifallsprünge hinzu. „Das ist selbst bei einem Sprungbiwak nicht in einer Woche zu schaffen“, berichtet Wolfgang Löffler aus seiner Erfahrung.
Voraussetzung für den Lizenzerwerb ist allerdings eine medizinische Untersuchung. „Die darf der Hausarzt durchführen. Es ist nicht notwendig, dazu zum Fliegerarzt zu gehen“, stellt Wolfgang Löffler klar. Mindestalter für den Beginn der Theorieausbildung ist 13 Jahre. Ab 14 Jahren darf man auch mit der praktischen Ausbildung anfangen, den Schein selbst erhält man aber erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres. Wer mit so jungen Jahren in den Fallschirmsport einsteigt, braucht zudem eine schriftliche Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten. Die Ausbildung wird mit einer Pürfung abgeschlossen.Das Flugzeug ist für die Fallschirmspringer nur ein Mittel zum Zweck.
Die meisten betrachten die Flugzeuge emotionslos, und viele wissen nicht einmal genau, ob sie aus einer Pilatus PC-6 Turbo Porter, einer Cessna Caravan, einer Cessna 182 oder einer Twin Otter springen. Hauptsache ist, das Flugzeug bringt die Springer schnell nach oben über die Dropzone. Absetzflüge unterscheiden sich dramatisch von den Flügen, die man als normaler UL- oder PPL-Pilot kennt. Getankt wird so wenig wie möglich, damit möglichst viele Springer in die Kabine passen, ohne dass das MTOW des Flugzeugs überschritten wird. Platzangst darf man als Springer nicht haben, denn bei manchen Flügen kommt man sich vor wie eine Sardine in der Büchse, so dicht sitzt man zusammen. Die Flüge dauern nicht lange, denn nach dem Exit der Springer stellt der Pilot das Flugzeug auf die Nase (siehe Foto links oben auf dieser Doppelseite) und stürzt sich mit einem abenteuerlich anmutenden Anstellwinkel wieder zurück in Richtung Flugplatz, wo schon der nächste „Load“ wartet.
Die schnellste, effektivste und heute am weitesten verbreitete Fallschirmsprungausbildung ist die AFF-Ausbildung. Das Konzept stammt aus den USA und wurde in den achtziger Jahren entwickelt.
Die Abkürzung AFF steht für „Accelerated Freefall“ und besteht aus einer individuellen Betreuung des Sprungschülers. „Wir bieten AFF in Wochenkursen an. Wenn alles passt, kann man die Ausbildung in drei Tagen absolvieren“, sagt Wolfgang Löffler. Der Schüler springt nach der theoretischen Ausbildung zusammen mit zwei Lehrern direkt im freien Fall aus 4000 Metern Höhe ab. Die Lehrer erteilen dem Schüler also quasi Privatunterricht in der Luft. Sie trainieren mit dem Schüler die stabile X-Lage (Grundhaltung), verschiedene Drehungen und beobachten seine Körperhaltung. AFF-Lehrer haben eine große Sprungerfahrung und können jederzeit eingreifen, sollte etwas beim Schüler nicht so laufen wie gewünscht. Mindestens sieben Sprünge sind im Rahmen der AFF-Ausbildung vorgeschrieben, um den Schüler zur Prüfung zu bringen. Die einzelnen Sprünge bauen mit definierten Leistungsstufen aufeinander auf. Danach darf der Sprungschüler das Gelernte in Solosprüngen anwenden und vor einem Prüfer demonstrieren. Er kommt so in kurzer Zeit zum Luftfahrerschein mit Beiblatt F.
Rund 1600 Euro sind für eine AFF-Ausbildung anzusetzen. Je nach Lernfortschritt und benötigter Sprungzahl können die Kosten aber auch höher liegen. In Deutschland wird in der Regel nur zwischen Ende März und Anfang November ausgebildet. Im Winter ist das Wetter zu unsicher, denn gesprungen wird nur bei guten Sichten.
Auf die Frage, ob viele Segelflugzeug- oder Kunstflugpiloten – die ja immer mit Fallschirm fliegen – schon einmal einen Schnuppersprung gewagt haben, antwortet Wolfgang Löffler: „Außer unseren Absetzpiloten sind mit uns noch keine anderen Piloten gesprungen. Die halten uns für verrückt, weil wir aus einem perfekt funktionierenden Flugzeug in der Luft aussteigen.“
aerokurier Ausgabe 08/2014