Flight Training
Segelfliegen Sicherheitstraining

Mit Stall und Trudeln sind viele Segelflieger überfordert, ist Michael Zistler von der Fränkischen Fliegerschule Feuerstein überzeugt. Regelmäßige und konsequente Übung dieser Situationen könnte helfen, manchen Unfall zu vermeiden.

Segelfliegen Sicherheitstraining

Nicht nur im Motorflug, sondern auch im Segelflug finden sich überzogene Flugzustände oder gar Trudeln regelmäßig als Ursache von Unfällen in den Statistiken der BfU. Die Demonstration von Grenzflugzuständen und das Zurückführen in die Normalfluglage sind in der Ausbildung zur Segelfluglizenz vorgeschrieben. Aber unabhängig davon, wie intensiv, einprägsam und vor allem verständlich und somit beherrschbar das für den Flugschüler geübt wird, scheint zumindest für die Zeit nach dem Scheinerhalt festzustehen: Die teilweise sehr dynamischen und plötzlich auftretenden Flugmanöver mit ihren ungewohnt rasanten Bewegungen um die Achsen überfordern viele Piloten im Ernstfall! Ein harmloser Ausgang solcher „Schrecksekunden“ hängt dann oft maßgeblich von den Bedingungen der Ausgangssituation ab, etwa davon, wie viel Höhe das Flugzeug zum Zeitpunkt des Stalls noch hat oder wie schnell der Pilot Denk- und Handlungsblockaden überwinden und wieder handeln kann. Allemal entstehen für den ungeübten und überraschten Piloten hierbei in Sekundenschnelle Bedrohungssituationen mit massiver Ausschüttung von Stresshormonen, die seine kognitiven Fähigkeiten für den Moment massiv einschränken.

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Geht das Flugzeug ins Trudeln, sind viele Piloten überfordert. Wird das Ausleiten regelmäßig trainiert, können die Handlungsabläufe automatisiert werden. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Die Evolution hat für solche Stresssituationen eine Fluchtreaktion vorgesehen. Das ist aber eine denkbar schlechte Option, wenn man fest angeschnallt in einem gerade abkippenden oder trudelnden Segelflugzeug sitzt!

Man könnte Flugsicherheit mit der Formel fliegerische Fertigkeiten mal mentale Leistungsfähigkeit definieren. Durch die Multiplikation beider Faktoren soll deren Gleichwertigkeit ausgedrückt werden. Denn: es nützt mir nichts, wenn ich im Training etwas hundertprozentig beherrsche, dieses Können aber in der entsprechenden Situation durch mentale Blockaden erst gar nicht anwenden kann. Mal Null ist eben Null! Besser sind demnach die Erfolgschancen selbst bei fliegerisch weniger Versierten, die aber im Fall der Fälle die Übersicht und mentale Belastbarkeit behalten und die richtigen Reaktionen und Steuerbewegungen umsetzen können.

Schauen wir uns die beiden Faktoren einzeln an. Fliegerisches Können, bezogen auf unser Szenario „unusual attitudes recovery“, heißt zunächst, eine solche Situation in ihrer Entstehung erst einmal als Problem zu erkennen. Meiner Überzeugung nach ist das mit Abstand beste Mittel, Trudel-unfälle zu vermeiden, ganz einfach, das Trudeln selbst zu vermeiden – und erst in zweiter Linie zu lernen, das Trudeln zu beherrschen. Geringe Geschwindigkeit und hoher Anstellwinkel, das sind die primären Ausgangsbedingungen für überzogene Flugzustände. Wir sollten zunächst lernen, unsere Flugzeuge in genau diesem Zustand zu verstehen. Wir müssen sehen, hören und spüren, wie das aussieht, wie sich das anhört und anfühlt, wenn wir mit Mindestfahrt am Himmel umherschwabbeln wie eine reife Pflaume. Wie fühlen sich die Ruder in dieser Situation an? Idealerweise kommen wir in eine Art Dialog mit unserem Flugzeug und können sagen: Ja, ich verstehe dich. Ich weiß, dass du jetzt gleich zickst, wenn ich noch etwas ziehe. Okay, jetzt fällt der Flügel, das Fahrtgeräusch ist gleich ganz weg. Wie weich sind denn deine Ruder jetzt ...

Kunstflieger sind hier unter Umständen im Vorteil, weil sie ihre Flugzeuge häufig und vor allem bewusst in diese Bewegungen steuern, sie deren Reaktionen genau beobachten und dann möglichst punktgenau, ja fast intuitiv wieder ausleiten. Trudelrotationen brauchen verdammt viel Höhe, und schnelles Handeln ist deshalb angesagt. In anderen Gefahrensituationen – beispielsweise beim Seilriss im Windenstart – sind die meisten Segelflieger etwas besser vorbereitet, unter anderem auch deshalb, weil diese abrupten Startabbrüche mental besser präsent sind (guter Startcheck) und auch in der Praxis viel häufiger geübt werden.

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Es gilt, das Flugzeug zu verstehen

Wird das Trudeln rechtzeitig beherzt ausgeleitet, hält sich der Höhenverlust in Grenzen. Das kann in Bodennähe Leben retten. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Ein Sicherheitstraining sollte zunächst also das Erfühlen des Verhaltens unseres Flugzeuges im Langsam- und Sackflug demonstrieren: Fahrtanzeige, Fahrtgeräusch, Horizontlage, Ruderausschläge, Schüttelbewegungen, beginnendes Abkippen über die Nase oder über den Flügel. Immer mit der Zielsetzung der genauen und bewussten Beobachtung dieser Parameter. Durch wiederholtes Üben sollen diese Wahrnehmungen ihren Weg ins Unterbewusstsein finden, um dann im Fall der Fälle die Alarmglocken schrillen zu lassen.

Zum Ausleiten der überzogenen Flugzustände müssen die notwendigen Steuerbewegungen und ihre Auswirkungen auf die Fluglagen demonstriert werden – idealerweise immer mit minimalem Höhenverlust! Oftmals bewirken solche wiederholten Spielchen eine Entspannung und Lockerheit, die eine bewusste Wahrnehmung der Situation überhaupt erst ermöglichen. Nichts ist ein größeres Hemmnis für unsere Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit als Szenarien, in denen wir uns plötzlich bedroht fühlen!

Haben die Flugübungen im Verlauf eines Trainings ihre anfänglichen Schrecken verloren, kann mit Abkippvorgängen nach vorne oder über den Flügel weitergeübt werden. Dabei sollte dem Höhenruder besondere Bedeutung beigemessen werden. Häufige Fehler sind anfangs das verkrampfte, gezogene Festhalten – nicht immer gewinnt man durch Ziehen auch Höhe! – oder das zu frühe Abfangen bei noch zu geringer Geschwindigkeit. Übrigens: Ein theoretischer Blick in die aero-dynamischen Zusammenhänge schadet auch bei diesem Training nicht. Anhand des V/N-Diagramms können diese Effekte sehr gut erklärt werden. So nützt es nichts, den Knüppel bei 80 km/h schon wieder voll nach hinten zu ziehen, weil diese Geschwindigkeit das nötige Abfanglastvielfache gar nicht aufbauen kann. Hier hängt viel vom jeweiligen Flugzeugmuster ab. In der Regel braucht es mehrere Versuche, um in solchen Situationen das richtige Gefühl zu entwickeln – Versuche, die natürlich auch viel Spaß machen können!

Das Flugzeug steht kopf und alles dreht sich. Jetzt heißt es ruhig bleiben, die Situation analysieren und die eigenen fliegerischen Fähigkeiten anwenden. Panik hingegen lähmt und verhindert richtige Reaktionen. Foto und Copyright: Lars Reinhold

Das Sahnehäubchen des Sicherheitstrainings ist schließlich das Trudeln selbst, eine äußerst komplexe und zudem sehr flugzeugspezifische Angelegenheit. Hier sollten die Schüler auf jeden Fall erst einmal in der Theorie vermittelt bekommen, was sich ungefähr wie abspielen wird. Bei den ersten praktischen Versuchen wird der Arbeitsspeicher im Kopf kaum hinterherkommen, alle Eindrücke und Empfindungen aufzunehmen, geschweige denn sinnvoll zu ordnen. Eine mentale Vorbereitung, gerne auch mit Videos oder einem Simulator, ist hier sehr hilfreich.

In der Praxis wird anfangs dem Ausleiten eine höhere Priorität eingeräumt als dem Einleiten.
Zunächst werden einzelne Umdrehungen in jede Richtung vom Lehrer eingeleitet, die der Schüler sukzessive selbstständig ausleitet. Alle typischen Fehler wie beispielsweise Stehenlassen des Gegenseitenruders oder kaum nachgelassenes bzw. zu schnell wieder gezogenes Höhenruder sollten demonstriert und angesprochen werden. Auch dabei ist natürlich das Ziel, durch ständige Wiederholungen eine Gewöhnung an die rasante Spiralbewegung zu erreichen, die die Aufmerksamkeit für die Ausleitbewegungen und die Reaktionen des Flugzeuges darauf erst ermöglichen. Nur üben, üben und nochmals üben bringt diese Gewöhnung samt der Chance, überhaupt zu kapieren, was man jetzt gerade richtig oder falsch gemacht hat.

Wegen des großen Höhenbedarfs und der damit verbundenen F-Schlepps sind solche Trainings nicht billig, aber das Geld ist sehr gut angelegt. Weit weniger kostet es, die mentale Leistungsfähigkeit zu trainieren, auf die es ja, wie eingangs erklärt, mindestens genauso ankommt wie auf die fliegerischen Fertigkeiten. Mentales Training ist längst keine Geheimwissenschaft mehr und hat Einzug in fast alle Sportarten gehalten. Verkürzt dargestellt geht es dabei darum, sich den Bewegungsablauf und die notwendigen Handlungen mit allen Sinnen zu vergegenwärtigen – eine Art geistiges Probehandeln, ein So-tun-als-Ob. Es ist erwiesen, dass bei genügender Intensität dieselben neuronalen Spuren im Hirn geprägt werden, als ob man es tatsächlich tun würde. Wir tricksen also unser eigenes Gehirn aus!

Wichtigste Voraussetzung, damit das gelingt, ist allerdings, dass man diese Abläufe zuvor einmal mit allen Sinnen erlebt hat. Der Schüler muss also wissen, wie es  ihn beim Trudeln in den Sitz drückt. Er muss den Fahrtmesser im Spiralsturz vor seinem geistigen Auge nach rechts schnellen sehen, muss das veränderte Fahrtgeräusch im Ohr haben.

Die wichtigsten Zielsetzungen der mentalen Flugvorbereitung hat Hans Eberspächer in seinen Büchern darüber so formuliert: „Bewahrung der Handlungsfähigkeit unter allen Umständen“ und „Gut sein, wenn’s drauf ankommt“. Die meisten Piloten werden das insbesondere in Bezug auf Situationen und Übungen wie Langsamflug, Sackflug, Abkippen oder Trudeln sicherlich unschwer verstehen. Ein doppelter Grund also, sich von der praktischen wie mentalen Seite mit diesen Situationen zu beschäftigen.

Geeignete Flugzeuge, mit denen man sicher trudeln kann, gibt es genug, und auch entsprechende Trainingsangebote mit versierten Lehrern haben gute Flugschulen oder Vereine und Verbände im Programm. Nicht zuletzt bietet der Kunstflug eine Möglichkeit, sich Themen wie Strömungsabriss und Trudeln anzunähern, wenn auch von der eher ästhetischen Seite. Dennoch lernt man auch hier das Wesentliche. Der Kunstflieger Neil Williams hat es einst sehr treffend formuliert: Kunstflug ist ange-wandte Flugsicherheit, die wahnsinnig viel Spaß macht!

aerokurier Ausgabe 03/2017

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