
Die Kommandos sind die gleichen wie anno dazumal: „Pilot fertig?“ – „Fertig!“ – „Haltemannschaft fertig?“ – „Fertig!“ „Seilmannschaft fertig?“ – „Fertig!“ – „Ausziehen! – Laufen! – Los!“
Kaum hat der Startleiter das letzte Wort durch seine stilechte Blech-Flüstertüte gebrüllt, nimmt der SG 38 Fahrt auf und schnellt in einer Höhe von acht bis zehn Metern über Grund den Weltensegler-Hang hinab. Das Flugerlebnis – wenn man denn einen Hüpfer von 20 bis 30 Sekunden als Flug bezeichnen mag – ist für jene, die zum ersten Mal auf dem „Bock“ sitzen, so ähnlich wie der erste Alleinflug oder der erste Kunstflug. Aufregend, atemberaubend und in jedem Fall für die Ewigkeit! Und jedem, der seine Feuertaufe bestanden hat, scheinen die Mundwinkel ans Ohr getackert. Das Grinsen kommt spätestens dann nochmal wieder, wenn man am Abend vor seinem Flugbuch sitzt, zwischen die vielen Ws und Fs in der Startart-Spalte zum ersten Mal ein G einträgt und überlegt, wie sich 25 Sekunden Flugzeit vernünftig notieren lassen, und großzügig auf eine Minute aufrundet.
„Schulgleiterfliegen ist wirklich absolut simpel“, sagt Jörg Dingeldein. Jörg ist Fluglehrer bei der Flugsportvereinigung Offenbach Reinheim und außerdem Mitglied des Oldtimer Segelflugclubs Wasserkuppe. Der OSC hat zwei Schulgleiter in seiner Flotte und bietet während einer Woche im Sommer und an mehreren Wochenenden im Herbst SG-Fliegen mit Gummiseilstart an. Aus Jörgs Verein sind Ende Oktober knapp 20 Leute dabei. „Mit kleinerer Mannschaft wird das auch schwierig“, sagt er. „Vier in der Haltemannschaft, zweimal fünf als Gummihunde, ein Fluglehrer, ein Startschreiber bzw. Zeitnehmer und einer als Pilot – so viele sollten es schon sein. Dann darf aber keiner zwischendrin aufs Klo rennen, sonst stockt der Betrieb.“ Um den Gleiter vernünftig in die Luft zu schnippen, sind sechs oder sieben Mann pro Seite am Gummiseil aber besser, gibt Jörg augenzwinkernd zu.
Idiotensicher abheben

Die Einweisung auf das Flugzeug fällt denkbar kurz aus. Was die Steuerung angeht, ist der Schulgleiter gutmütig bis idiotensicher und intuitiv zu fliegen. Kurz vor dem Start checkt der Fluglehrer die Stellung des Höhenruders. „Man darf nicht zu sehr ziehen, denn die Beschleunigungsphase am Gummiseil ist wirklich nur kurz“, erklärt Jörg seinen Schützlingen. „Bei zu großem Anstellwinkel büßt man sehr schnell Geschwindigkeit ein, und der Flug wird kürzer anstatt länger.“ Tatsächlich
berichten alle, die nach ihrem Hüpfer und der Rumpel-Landung auf der Holzkufe wieder absteigen, dass sie sich kaum auf die Steuerung konzentrieren mussten. Der Fahrtwind im Gesicht, das völlige Fehlen von Instrumenten und die freie Sicht zu den Seiten und nach unten – sprich: das gesamte Flugerlebnis – seien viel zu intensiv gewesen. Gesteuert wird der SG 38, so scheint es, ganz einfach nebenbei.
Das Schulgleiterfliegen ist dabei nicht nur eine teambildende Maßnahme für Vereine, sondern auch eine tolle Werbung für den Luftsport. Während Zuschauer sonst häufig am Flugplatzzaun stehend den Flugbetrieb verfolgen, finden sie sich auf der Wasserkuppe ganz schnell mitten im Geschehen wieder. Kaum dass sie staunend einen Start beobachtet haben, können viele der Einladung, sich selbst als Gummihund zu versuchen, nicht widerstehen. „Man sieht vielen die Lust an, einfach mal mit anzupacken“, sagt Georg Kapraun, ebenfalls Fluglehrer und OSC-Mitglied. „Und dann reichen eine kurze Ansprache und Einweisung in die Kommandos, und schon ziehen sie mit dem gleichen Elan wie die alten Hasen.“ So wird auch an diesem Wochenende die Pilotenschar immer wieder von „Fußgängern“ unterstützt, die den Wanderweg am Weltensegler-Hang entlangspazieren.

Zum Schulgleiterfliegen muss man aber nicht unbedingt auf die Wasserkuppe kommen. Der Baden-Württembergische Luftsportverband besitzt einen SG 38, der sogar für F-Schlepp zugelassen ist und den Mitgliedsvereine nutzen können. Außerdem gibt es mehrere SG 38 – Originale und Nachbauten –, die privat oder in Vereinen fliegen, darunter Flugzeuge in Hoyerswerda und in Brandenburg an der Havel. Gerade auf Oldtimertreffen ist die Chance groß, einen Schulgleiter-Start zu ergattern.
„Übrigens“, verrät Jörg „muss man fürs Schulgleiterfliegen noch nicht Lizenzpilot sein. Man sollte die A-Prüfung absolviert und wenigstens eine Handvoll Soloflüge sicher hinter sich gebracht haben, dann kann man auch den SG 38 fliegen.“ Dementsprechend biete sich ein Schulgleiter-Wochenende auch als Ausflug für Jugendgruppen an.
Kontakt:
Rhönflug Oldtimer Segelflugclub Wasserkuppe e. V.
Postfach 17, 36161 Poppenhausen
Tel. +49 6654 8284
Mail: thies@osc-wasserkuppe.de,
www.osc-wasserkuppe.de
aerokurier Ausgabe 12/2017