Für das Briefing vor meinem ersten Wölbklappenflug nimmt sich Fluglehrer Torsten viel Zeit, mir alles im Detail zu erklären. „Achte auf die Fahrt: nicht unter Tempo 100, eher 110, vor allem im Landeanflug! Lass beim ersten Start die Wölbe neutral, dann hast du einen normalen 15-Meter-Flieger. Das Fahrwerk im Schlepp nicht einfahren, denn erstens müsstest du dazu umgreifen, zweitens hat der Speed Astir nur eine Bodenkupplung, und die wird dann von den Fahrwerksklappen verdeckt.“ Okay, verstanden. „Bei der Landung bitte erst positiv wölben, wenn du dir ganz sicher bist, dass du den Platz auch erreichst. Dann in die Stellung fünf oder sieben, und du kannst schön steil anfliegen. Ganz wichtig: Im Endteil nicht wieder neutral oder gar negativ wölben, sonst sackt er durch!“
Zum ersten Mal in meinem Fliegerleben habe ich mein Kniebrett im Einsatz und mir Stichpunkte gemacht, auf was ich in welcher Situation achten muss. Der Speed Astir hat mich schon länger gereizt, denn mit den fein abgestuften Elastic Flaps, die keinen Klappenspalt aufweisen, ist er schon etwas Besonderes. Im Cockpit sieht es angesichts der vielen Hebel, die mit ihrer Überlänge dem Begriff Hebel optisch und physikalisch mehr als gerecht werden, ein bisschen aus wie in einem Kampfflugzeug. Die Morane rollt heran und nimmt mich an den Haken. Über Funk steht Torsten mir bei. Ruhig und bedacht gibt er Kommandos, so fühle ich mich nicht allein mit der Herausforderung, die jeder erste Flug auf einem unbekannten Einsitzer ist.
Kaum in der Luft, ist es fast ein bisschen Routine. Die Lizenzprüfung liegt schon eine ganze Zeit zurück – auf einen gewissen Erfahrungsschatz kann ich also zurückgreifen. Und der Speedy fliegt, wie er soll. Zugegeben, es ist verglichen mit einem IIer-Discus wirklich Arbeit. Umwölben, neu trimmen, wieder wölben – das Flugzeug will aktiv geflogen werden. Eine gute Stunde dauert mein Ausflug in die Welt der frühen Wölbklappenfliegerei, und als ich wieder unten bin, nimmt sich Torsten Zeit für eine gemeinsame Analyse.
Seit 2012 betreibt Torsten Land die Flugschule, die heute „Abenteuer Segelflug“ heißt und den Sonderlandeplatz Pritzwalk-Sommersberg, der Luftlinie ziemlich genau mittig zwischen Hamburg und Berlin liegt, vor der Schließung bewahrt hat. Sowohl der Platz als auch die Flugschule haben eine wechselvolle Geschichte: 1956 bis 1990 war Sommersberg Agrarflugplatz der Interflug mit agrochemischem Zentrum. Bereits in den 60er Jahren kam der Plan auf, an diesem Ort ein Segelfluggelände der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) zu errichten. Umgesetzt wurde er nicht. 1990 gründete sich hier der Fliegerclub Wolf Hirth, der gut zehn Jahre lang Segel- und Modellflug betrieb, bis die demografische Enwicklung zuschlug und es immer weniger Mitglieder wurden. Ende 2015 drohte gar die Betriebsgenehmigung für den Flugplatz auszulaufen – bis Torsten Land das Ruder übernahm.
Seit der 9. Klasse ist er aktiver Pilot, dem PPL(C) 1992 folgten TMG und PPL(A), 2000 kam der Fluglehrer für Einmots dazu. Ab 2008 flog Torsten in Kyritz, betrieb hier eine Stemme S10. „Immer wieder kamen Leute auf uns zu und fragten, ob es möglich wäre, mal mitzufliegen“, erinnert er sich. „Da waren wirklich Menschen, die interessierten sich für die Fliegerei, da schien was zu gehen.“ So entstand zunächst die Idee des begleiteten Fliegens mit der Stemme, die er gemeinsam mit Fluglehrerin Stephanie Keller umsetzte. 2012 gründeten Torsten, Stephanie und einige Gleichgesinnte eine UL-Flugschule; geschult wurde auf einer gelben Spornrad-FK14 mit Verstellpropeller. „Interessanterweise war die Nachfrage nach Segelflug immer höher, da haben wir uns Gedanken gemacht“, erzählt er.
In Ostdeutschland gab es bis dato keine kommerzielle Segelflugschule – Oerlinghausen, Wasserkuppe, Feuerstein und Unterwössen waren weit weg. Der Aufbau einer Ausbildungsstätte lag also nahe. Und die Nachfrage stieg weiter, kaum hatte Abenteuer Segelflug den Betrieb aufgenommen – wohl nicht zuletzt aufgrund der ungewöhnlichen Flotte, zu der auch ein Kranich III und eine Lommatzsch-Libelle gehörten. „Die historischen Holzflugzeuge waren immer Torstens Leidenschaft“, sagt Stephanie Keller. Der knallrote Kranich III wurde als Erstes angeschafft, und im Schlepp hinter der gelben FK14 verlieh das Gespann dem Kyritzer Himmel regelmäßig Farbe. „Die Oldies wurden Teil des Konzepts, damit konnten wir uns von den anderen Schulen abheben“, erklärt Stephanie.
So ging es bis 2015. „Aufgrund der guten Resonanz wollten wir uns vergrößern“, blickt Torsten zurück. „Zwar waren die Bedingungen am Verkehrslandeplatz Kyritz nicht schlecht, allerdings herrschte dort wegen der Verkehrsfliegerschule immer ziemlicher Betrieb. Eine Windenausbildung kam nicht infrage, zudem gab es Probleme mit Grundstückseigentümern und – vorsichtig formuliert – phlegmatischen Behörden.“
Geschult wird aus SZD-9 bis 1E Bocian





Durch den Kontakt zum Fliegerclub am Sommersberg war die Lösung schnell gefunden. „Wir haben uns das Ende Oktober angeguckt, haben gesagt ,Augen zu und durch‘ und sind mit unserem ganzen Gerät nach Pritzwalk umgezogen.“ Die Genehmigung für den Flugbetrieb ruhte da bereits, da Wildschweine die Landebahn nahezu unbrauchbar gemacht hatten. „Allerdings haben uns die Behörden hier keine Steine in den Weg gelegt, wir konnten alles ausbessern, neu vermessen, und bei der Abnahme gab es zufriedene Gesichter.“ Auch die Gebäude wurden saniert, ein Sanitärcontainer aufgestellt und ein kleiner Campingplatz mit Wohnwagen für Gäste angelegt. Schließlich kam eine neue Halle dazu, denn in die alte bekamen Torsten und seine Mitstreiter nur mit einer Runde Flugzeugmikado das ganze Gerät unter.
Organisatorisch sah die Lösung am Ende so aus, dass der neue Verein „Segelflugzentrum Sommersberg“ den Flugplatz betreibt und die Liegenschaften verwaltet und die Flugschule „Abenteuer Segelflug“ den Flugbetrieb organisiert.
„Seit dem 1. April 2016 bin ich hauptberuflich Inhaber und Ausbildungsleiter der Segelflugschule“, erklärt Torsten zufrieden. Doch weiß er wohl, dass das ganze keine One-Man-Show ist. In der Ausbildung unterstützen ihn Freiwillige, die – teils ehrenamtlich, teils gegen Honorar – Flugschüler ausbilden. „Es sind Menschen, die einfach Lust haben zu fliegen. Sie geben hier ihre Erfahrungen an meine Schüler weiter, dafür können sie den Flugzeugpark unentgeltlich nutzen.“
Apropos Flugzeugpark: Da ist sich Abenteuer Segelflug weitgehend treu geblieben und setzt auf älteres „Geflügel“. Geschult wird auf SZD-9 bis 1E Bocian, einem polnischen Holz-Doppelsitzer. Die Soloausbildung erfolgt auf dessen einsitzigem Pendant, der letzten in Deutschland zugelassenen SZD-22 Mucha Standard. Dieses Oldtimer-Schmuckstück haben Torsten und Stephanie im Winter im F-Schlepp aus Worms nach Nordwestbrandenburg überführt. „Es war ein-fach nur saukalt“, kommentiert Torsten die Aktion, und Stephanie ergänzt grinsend: „Im Schleppflugzeug ging‘s.“ Darüber hinaus stehen ein Astir, ein Speed Astir 2b, eine DG-100, eine SZD-32 Foka 5, eine SZD-36 Cobra und eine Ka 6E im aktiven Dienst. Motorisiert geht es mit einem C-Falken in die Luft, ein Samburo wird derzeit zugelassen. „Wir sind hier im Osten, da können wir keine Flug-zeuge wie IIer-Discus oder Duo anbieten und die entsprechenden Preise aufrufen“, erklärt Torsten einen Vorteil seiner Flotte. Und nicht zuletzt wegen der Flugzeuge kämen immer mehr Interessenten nach Pritzwalk. „Die wollen einfach mal Holz fliegen, entweder weil sie das nicht kennen, oder weil sie früher drauf gelernt haben.“ Allerdings – ganz ist auch Abenteuer Segelflug nicht um die Moderne herum gekommen, bereichert doch mit dem SZD-54-2 Perkoz seit Neuestem ein leistungsstarker Doppelsitzer die Flotte, der nicht nur zum entspannten Überlandfliegen taugt, sondern mit kurzen „Ohren“ auch voll kunstflugtauglich ist.
Neben den günstigen Preisen, zu denen vor allem die Holzsegler gechartert werden können, sei aber ein ganz anderer Punkt entscheidend für den Erfolg von Abenteuer Segelflug, ist Torsten überzeugt. „Wir wollen eine Flugschule sein, die das kameradschaftliche Umfeld eines Vereins bietet, ohne jedoch die Pflichtarbeit oder einen Antritt pünktlich um neun zum Flugbetriebsbeginn zu verlangen. Dafür haben zu viele berufstätige Leute heute einfach keine Zeit mehr.“ So gibt es in Pritzwalk keine Jahresbeiträge; Baustunden oder Dienste müssen nicht abgeleistet werden. Die Piloten – ob Flugschüler oder Charterkunden – können kommen und gehen, wann sie wollen. Und dennoch bleiben viele von ihnen gerade an den Wochenenden bis spät in den Abend, denn dann sorgt Torstens Frau Sylvia regelmäßig für ein leckeres Abendessen. „Das Familiäre, das wir hier anbieten, das schätzen viele“, sagt die Hausherrin. Tagsüber sitzt sie meist am Funkgerät, notiert Flugzeiten oder nimmt Gäste in Empfang.
So scheint Abenteuer Segelflug ein interessanter Gegenentwurf zu sein zur technisch hochgerüsteten Konkurrenz im Westen. „Allerdings“, stellt Stephanie klar, „legen wir wie alle anderen ATOs größten Wert auf eine solide fliegerische Ausbildung. Bei der Qualität machen wir keine Kompromisse.“
Ein Besuch in Pritzwalk lohnt sich aufgrund der guten thermischen Bedingungen und des weitgehend unbeschränkten Luftraums in der Umgebung übrigens auch für erfahrene Flieger. Landschaftlich hat die Region einiges zu bieten: Die Mecklenburgische Seenplatte mit Müritz und Plauer See, die Elbe und die Havel sind problemlos zu erreichen. „Und wir haben dank der Nähe zu Rostock-Laage die Chance, mit dem Motorsegler auch das Fliegen in Kontrollzonen zu üben“, so Stephanie.
Am Ende des Besuchs in Sommersberg sitze ich noch einmal im Flugzeug – in einem, das mich schon wegen seiner Farbe fasziniert: Die Mucha macht mit ihrer feschen orangen Lackierung richtig was her. Und wie fliegt sie sich? „Stell dich auf eine Art sehr, sehr agilen Bocian ein“, sagt Torsten und grinst. Und tatsächlich: Wer auf dem Standard-Schulbomber des Ostens gelernt hat, der fliegt die Mucha, als hätte er nie in einem anderen Flugzeug gesessen. Der leichte Einsitzer ist wunderbar wendig, und man wundert sich, dass das Gerät kein bisschen giftig wird, auch wenn die Fahrtmessernadel der 60 immer näher kommt. Fazit: Die Mucha macht einfach nur Spaß und taugt – gutes Wetter vorausgesetzt – sogar für Streckenflüge. Vor allem wenn man weiß, dass am 13. Juni 1964 in den USA damit 1041,5 Kilometer geflogen wurden. Wer diesem Rekord von Alvin H. Parker nachspüren will, muss dafür aber nicht über den Großen Teich. Ein Trip nach Sommersberg reicht vollkommen.
aerokurier Ausgabe 06/2017