Unterwegs in Kanada
Einfach mal am Strand landen

Zwischenstopp auf einer einsamen Insel gefällig? Christian Böhm hat die Boeing gegen einen Sportstar getauscht und gemeinsam mit seiner Frau Nadine den kanadischen Luftraum neu entdeckt. Vargas Island ist für ihn der Stoff, aus dem Träume sind.

Einfach mal am Strand landen

Lizenzumschreibung: Kampf mit der Bürokratie

"Land or die!“ – Lande oder stirb! Der private Strip in einer Waldschneise auf Pender Island hat es in sich. Ansteigendes Gelände und umliegende Bäume machen jede Landung zur Herausforderung. „Unter 200 Fuß ist Durchstarten nicht mehr möglich“, gab mir mein neu gewonnener Freund und Cheffluglehrer Michael mit auf den Weg. Als dann noch ein paar Rehe auf der Bahn stehen und ungläubig auf unseren Sportstar glotzen, wird mein Respekt größer als mein Mut. Gas rein und weg! Sicherheit geht vor.

Unsere Highlights

Pender Island ist ein Puzzleteil unseres fliegerischen Abenteuers in Kanada. Ich gehöre zu einer Gruppe deutscher Verkehrspiloten, die über den Winter an kanadische Airlines ausgeliehen wurden, um in der Hauptsaison auszuhelfen. Nachdem die Hürden in Sachen Arbeitserlaubnis, Umschreibung des europäischen ATPL und Streckeneinweisung auf der Boeing 737-800 genommen waren, konnte ich mich wieder der Privatfliegerei zuwenden. Zu Hause toure ich am liebsten von Gießen-Lützelinden aus mit der eigenen Sinus 912 durch den deutschen und europäischen Luftraum. Hier wie zu Hause ist meistens meine Frau Nadine mit an Bord.

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Eine Flugschule in Kanada war schnell gefunden. Auf der Website von SeaLandAir am Flugplatz Boundary Bay südlich von Vancouver hatte ich etwas entdeckt, das mein Herz höher schlagen lässt: den Sportstar von Evektor aus Tschechien, dessen UL-Version als Eurostar bekannt ist. Hier fliegt der Ganzmetall-Tiefdecker ohne Rettungssystem, dafür aber mit verstärkter Struktur und erhöhter Abflugmasse in der kanadischen LSA-Klasse. (Anmerkung der Redaktion: heute ist das Flugzeug auch in Europa als LSA zertifiziert)

In Kanada, einem Land, dem man beinahe unbegrenzte fliegerische Freiheit nachsagt, könnte ich doch bestimmt ohne bürokratischem Aufwand losfliegen, oder? Falsch gedacht. Meine Validation, die kanadische Anerkennung meiner deutschen Lizenz, war nur für die Boeing und nur für „meine“ Airline gültig.

Der zunächst distanziert-bürokratisch auftretende Beamte der Luftfahrtbehörde Transport Canada taute rasch auf. Zunächst wollte er mich zwar noch zum Fliegerarzt schicken, wie es zum Erwerb der kanadischen Lizenz eigentlich erforderlich ist. Doch der kroatische Einwanderer hatte offenbar ganz genau verstanden, als ich auf Deutsch mit Nadine darüber diskutierte, „wie bescheuert das denn ist, mich hier mit meinem deutschen Medical einen Medium-Twin-Jet fliegen zu lassen, aber keine Einmot“. Nach drei Tagen bekam ich mit einem Lächeln meine Validation erweitert.

Als frisch gebackener „kanadischer“ Pilot ohne einen Schimmer von den örtlichen VFR-Regeln ging es nun zum zweiten Mal zur Flugschule. Michael Peare, der britische Cheffluglehrer, erklärte mir Wetterminima, Transpondercodes, Sectional Charts und vieles mehr.

Nach der „Written Exam“ kam endlich ein Tag mit mäßig gutem Wetter. Stalls, Steilkurven und Ziellandungen standen auf dem Einweisungsprogramm. Einiges gibt es zu beachten, von zahlreichen Frequenzwechseln bis hin zu 19 Grad östlicher Deviation, die eine Bahn 25 auf der Karte wie eine 27 auf dem Kompass aussehen lässt.

In Kanada darf man überall landen

Mit dem Sportstar erkunden Nadine und Christian Böhm einen Teil Kanadas. Foto und Copyright: Böhm

Einige Tage später starte ich mit Nadine zum ersten Erkundungsflug auf eigene Faust. Warum nicht mal meine „home base“ Vancouver International und unser vorläufiges Zuhause nahe dem Stanley Park von oben anschauen? Im Briefing nannte mir Michael die markanten Punkte für Positionsmeldungen. „Pass vor allem am Vancouver Harbour auf, da gibt es regen Wasserflugverkehr!“

In der Praxis ist dann alles erfreulich unkompliziert. Über Vancouver Downtown und unserem Zuhause drehen wir nach entsprechender Freigabe einige Vollkreise. Weiter geht es nach Chiliwack, einem unkontrollierten Platz ohne Flugleiter. Blindmeldungen für die Bord-zu-Bord-Verständigung genügen für den reibungslosen Ablauf. Wir reihen uns nach einem Überflug in den Platzrundenverkehr zwischen zwei Schulmaschinen und einer schweren Beech 1900 ein.
Als Michael mir ein paar Tage später in der Kneipe erzählt, dass man in Kanada nahezu überall landen darf, komme ich auf die Idee, genau dies doch mal an einem einsamen Strand zu tun. Ich weiß von zahlreichen Strandspaziergängen, dass der Boden dort absolut fest ist, allerdings auch, dass dort viel Unrat herumliegt.

Nun geht es an die Planung. Rasch haben wir Vargas Island als Ziel ausgesucht, ein unscheinbares Fleckchen Erde mit tollem Sandstrand, das wir in Google Earth entdecken. Die Suchmaschine spuckt sogar auf Anforderung eine Tiden-Tabelle aus. Nur der Teil des Strands, der vom Wasser bei Ebbe freigegeben wird, kann zum Landen genutzt werden. Ein Rad im Wasser kann genauso zum Ringelpietz führen wie derweiche, trockene Sand auf der anderen Seite. Übernachten möchten wir im Courtenay Airpark im Osten von Vancouver Island.

Die Sportstar als LSA hat ein maximales Startgewicht von rund 550 Kilogramm bei einem Leergewicht von 342 Kilogramm. Unterm Strich bleiben also nur 208 Kilogramm für zwei Personen, Gepäck, Sprit, Überlebensrucksack und zwei Schwimmwesten – viel mehr als in der deutschen UL-Klasse ist das nicht. Außerdem will man nicht unbedingt zu schwer sein, wenn man am Strand landen und vor allem von dort wieder starten will.

Mit Mindestfahrt setzen wir auf dem Sand auf

Ausgerechnet am Freitag, den 13. Februar ist endlich ideales Wetter. Telefonisch tun wir unserer Pflicht genüge und geben den Flugplan auf, der für Flüge über 25 NM vorgeschrieben ist. Wir passieren das Wasser in 4500 Fuß, schlagen Nordkurs ein und sinken auf 2000 Fuß, als wir uns aus dem Luftraum von Vancouver verabschieden. Ab jetzt genügen Hörbereitschaft auf 126,7 MHz und Meldungen beim Passieren von Flugplätzen auf der jeweiligen Platzfrequenz.

Von einer Autofahrt zuvor wissen wir von zwei viermotorigen Flugbooten für Löscheinsätze vom Typ Martin Mars, die in Port Alberni im Trockendock liegen – von oben absolut sehenswert. Dem 40 Kilometer langen Meeresarm Alberni Inlet folgen wir zur Westküste nach Uclulet. Zwei Wochen zuvor hatten wir dort übernachtet und waren acht Kilometer entlang der schroffen Pazifikküste gewandert. Fünf Flugminuten weiter nördlich liegt der 16 Kilometer lange Long Beach neben dem Tofino Airport. Hier zu landen wäre ein Traum – doch wegen der vielen Spaziergänger ist daran nicht zu denken.

Wir folgen der Küste, bis Vargas Island in Sicht kommt. Gedanklich suche ich mir schon mal ein Plätzchen zum Picknicken aus. Genau wie ich es bei einer Sicherheitsaußenlandung machen würde, überfliege ich zunächst den Strand. Nachdem ich die in einer Kurve verlaufende „Landebahn“ für gut befunden habe, interessiert mich jetzt der Wind. Tofino meldet zehn Knoten aus 310 Grad. Allzu unterschiedlich können die Bedingungen hier kaum sein, also vom Wasser her in die gekrümmte Landefläche hineinblasend. Gut, denke ich mir, da die Kurvenlandung ohnehin die zum Meer weisende Fläche hängen lässt. Ein weiterer Überflug bestätigt die These, indem ich die Groundspeed des GPS mit der Anzeige des Fahrtmessers vergleiche. Wir steigen auf 500 Fuß in den Gegenanflug. Frühzeitig konfiguriert, stabilisiert sich die Geschwindigkeit des Sportstar auf 60 Knoten. Das bringt Ruhe und schafft Kapazitäten für die Landung. Erst nachdem wir die Bäume unter uns gelassen haben, fahre ich die Klappen voll aus und verlangsame die Fahrt auf 50 Knoten. Mit Mindestfahrt setzt das Hauptfahrwerk sanft auf. „Perfekt“, entfährt es Nadine erleichtert. Wir rollen noch ein Stück und drehen das Flugzeug gleich für den Start um. Bei Seitenwind können wir uns die Startrichtung aussuchen – da gebe ich den niedrigeren Bäumen im Abflug den Vorzug.

Vom Strand in die Berge ist es ein Katzensprung

Noch eine Herausforderung, bevor es zurück nach Europa geht. Dieser private Strip auf Pender Island hat's in sich. Foto und Copyright:

Mit einem Schütteln verstummt das Geräusch des Rotax. Nur das Meeresrauschen liegt in der Luft. Wie toll muss es hier im Sommer sein?! Jetzt ein Zelt für die Nacht aufbauen und den Grill anheizen, vielleicht die Füße ins Wasser halten.

Doch die Realität holt uns ein. Es ist Februar, die Tage sind kurz, und wir müssen nach unserem Picknick aufbrechen. Wir räumen Bierdosen, Steine und weiteren Müll beim Abgehen der „Startbahn“ weg. Die Startstrecke des leichten Sportstar ist schnell umrissen. Das Meeresrauschen verblasst unter den Headsets und wird schließlich vom Motorengeräusch übertönt. Ohne Klappen, mit dem Querruder in den Wind beschleunige ich, um bei Abhebegeschwindigkeit gefühlvoll die erste Raste der Klappen zu setzen. Rasch lassen wir die Brandung unter uns.

Wir nehmen Kurs auf das 45 Minuten entfernte Courtenay und öffnen einen neuen Flugplan. Nanaimo-Radio versorgt uns mit Wetter- und Verkehrsinformationen. Nur 15 Minuten später sind wir über 6000 Fuß hohen Bergen nach Norden unterwegs. Beeindruckend, wie dicht Ozean und Felsmassive beisammen liegen. Am Lake Comox melden wir Position vor dem Einflug in den Platzverkehr.

Abstellen und verzurren, dann gehen wir rüber zum Flugplatzgebäude. Courtenay Airpark, hat Michael uns gesagt, sei ein Mekka für Piloten. Tolle Typen mit noch tolleren Flugzeugen soll es hier geben. Die erhoffte North American T-28 Trojan ist heute leider nicht zu sehen, dafür aber ein schnittiges Experimental, das mich an eine Extra 300 erinnert.

Courtenay ist ein Selbstbedienungsplatz. Platzfrequenz, Lost Com Squawk oder die Notfrequenz sind deshalb unsere Eintrittskarte ins Gebäude: Gibt man eine der drei Zahlenfolgen in die Tastatur ein, öffnet sich die Tür. Drinnen gibt es Telefon, Internetzugang und Sanitäreinrichtungen. Selbst eine Kaffeemaschine und eine Couch für spät gestrandete Piloten findet man vor. Und das alles für fünf Dollar Abstellgebühr über Nacht, die man in einen Briefkasten wirft. Landegebühren zahlt man in Kanada ohnehin eher selten. Telefonisch machen wir ein Nachtquartier in der Nähe klar – auch Ortsgespräche sind im Airpark übrigens frei.

Am nächsten Vormittag hat uns Boundary Bay wieder. Die Umgebung von Vancouver, die vor wenigen Wochen noch Neuland war, ist nun schon seltsam vertraut.

In wenigen Wochen endet unsere Zeit in Kanada. Es wird unmöglich sein, in dieser kurzen Zeit alles zu erkunden, was dieses riesige Land noch alles bereit hält. Doch die Landung auf dem Privatstrip auf Pender Island, die ist fest gebucht – und diesmal wird der Platzhalter die Rehe rechtzeitig für uns verscheuchen.

aerokurier Ausgabe 05/2009

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Erscheinungsdatum 19.05.2023