
Wenn die Tage kürzer, nasskalt, eben ungemütlich werden und es einen nach drinnen zieht, überfällt viele Segelflieger ein hochansteckendes Virus: die Namibia-Influenza. Zwei der Befallenen sind Heinz Berlin und Jürgen Depil. Jetzt wurden sie von Veronica bezirzt.
Gleich an ihrem zweiten Flugtag Mitte November – also noch beim Warmfliegen – vollenden sie mit einem Arcus M das erste 1009-km-Dreieck von Veronica aus und erzielen 1125 OLC-Punkte. Und das, obgleich sie gar nicht auf besonders herausragende Bedingungen treffen.
Anfangs geht es schwerfällig und nur sehr niedrig im Blauen nach Osten voran. Doch dort bleiben die klassischen Wolkenstraßen aus. Die beiden erfahrenen Namibia-Piloten kennen aber die Hotspots – und zu ihrer Freude gehen diese ganz gut. Ihr Ziel dann: die Kante im Westen, die wilde Berglandschaft zwischen Namib und Kalahari, oft Trennlinie zwischen der heißen Inlands- und der kühleren Atlantikluft. Aber hier stellt sich an diesem Tag mal nicht die begehrte Konvergenz ein, die rasend schnelles Vorankommen ermöglichen kann. Die beiden orientieren sich wieder mehr ins Innere der Kalahari und haben um 15 Uhr nicht einmal die 500 Kilometer voll. Der Glaube an die 1000 Kilometer ist begraben.
Richtung Mariental, gut 200 Kilometer südlich von Veronica, läuft es plötzlich, und der Mathematik-Prozessor wird angeschmissen. Wie weit können sie noch? Welchen Schnitt müssen sie halten? Der Sonnenuntergang kommt mit jeder Minute näher. Entscheidung: Eine Wolke geht noch und den Bart so hoch wie möglich mitnehmen.
Dann auf zum Endanflug! Heinz Berlin und Jürgen Depil sind die letzten, die das Tal des Olifants entlanggleiten, und landen sicher. Auch wenn die Piloten in Bitterwasser und Kiripotib im Trainingscamp mit den Champions an diesem Tag noch weiter ausgeholt haben, die beiden haben Veronica mit dem ersten Tausender eingeweiht.
Ist das noch zu toppen, fragen sich Heinz und Jürgen. So früh im Jahr ein Tausender mit einem 125er-Schnitt, was will man mehr?! Aber es gibt mehr ...
Die beiden absolvieren auch noch den schnellsten Flug des Zentrums. 462 Kilometer reiten sie in 150 Minuten ab. Ein 185er-Schnitt bringt knapp 170 OLC-Speedpunkte. Auf die
Frage, wie sie das hinbekommen haben, antwortet Heinz trocken: „Du musst eben 185 km/h schnell fliegen und darfst keinen Kreis machen.“
Natürlich fliegen die beiden Piloten an dem Tag nicht nur 462 Kilometer, sondern wieder weit über 1000. Nach einem guten und späten Anfang Richtung Nordwesten geht es entlang der berühmt-berüchtigten Kante nach Süden in Richtung Helmeringhausen. Hier beginnt unerwartet der schwierigere Teil des Fluges mit noch schwächelnder Blauthermik. Aber der Blick in den Rückspiegel zeigt, die heiß ersehnte Konvergenz in Form einer Wolkenwurst baut sich auf und der Speed-Durchmarsch kann beginnen.
Nachdem der erste Tausender gefallen ist, geht es Schlag auf Schlag mit vierstelligen Streckenflügen weiter. Warum das gerade in Veronica gut gelingt? Einmal ist Namibia in unserem grauen Winter ganz allgemein ein heißes Pflaster. Hier gibt es Basishöhen, von denen wir in europäischen Gefilden nur träumen können, und „Fahrstühle“, die einen mit rasanter Geschwindigkeit in die Höhe katapultieren. Wohlgemerkt, das Ganze thermisch und nicht in der Welle.
Der große Vorteil von Veronica als das östlichste aller Segelflugzentren in Namibia ist der nahezu direkte Anschluss an die Wolkenthermik im Osten. Die ersten Wolken entstehen meist weit im Osten, dort, wo die innertropische Konvergenzzone Feuchtigkeit ins Land bringt. Von Veronica aus fällt der Flug in Blauthermik mit niedriger Arbeitshöhe bis zu diesen Thermikbojen nicht so weit aus. Für große Flüge müssen die kurzen Tage unter dem südlichen Wendekreis möglichst von der ersten Thermik an genutzt werden, das heißt Abflug, wenn die Blauthermik bis 1000 Meter über Grund reicht.
Extreme Aufwinde und massive Abwärtsbewegungen





Bereits um 8:30 Uhr startet Bernd Dolba das ausführliche Wetterbriefing, sodass um 9 Uhr alles startklar sein kann. Das Flugzeug wird schon vorher fertig gemacht. Peter Stein, der Mann mit den zwei goldenen Händen, sorgt frühmorgens schon dafür, dass die Eigenstarter mit Sprit und Sauerstoff versorgt werden.
Die Außenlandemöglichkeiten in der näheren Umgebung erleichtern den Frühstart bei Arbeitshöhen von rund 1000 Metern. Als Außenlandemöglichkeit bieten sich die Pfannen, mal ein Airstrip bei einer Farm oder ein ebenes Stück einer Straße höherer Ordnung mit besonders breitem Randstreifen an. Rundum ist es unwirtlich und unlandbar. Wenn man das erste Mal aus dem Segler auf das Buschland herunterschaut, weiß man jeden Höhenmeter zu schätzen. Im Fall einer Außenlandung kommen die extreme Hitze und die Abgeschiedenheit zum Tragen. Von daher tut man gut daran, in der Luft zu bleiben und erst wieder in Veronica zu landen.
Die extremen Aufwinde haben ihr Pendant in ebenso massiven Abwärtsbewegungen. Auf längeren blauen Strecken bis zum nächsten Auslösepunkt kann der Hals sehr lang werden. Zumal man darauf vertrauen muss, dass die bekannten Auslösestellen wirklich funktionieren. Mit der Zeit lernt man, dass sie dies in der Regel auch tun. Dennoch sind ein paar Meter Reserve oder eben die Aussicht auf Außenlandefelder Gold wert.
Was von Veronica aus unter diesen Bedingungen möglich ist, zeigt Jan Jaap Logtenberg, genannt „Jay Jay“. Er fliegt mit einem Arcus M eine Strecke von über 1397 Kilometern. Übertroffen wird er nur von Matthias Arnold, der von Bitterwasser aus mit einem Ventus 2cxM über 1425 Kilometer kommt. Logtenberg setzt den Spitzenwert für Veronica, Arnold den für Bitterwasser und Namibia. Die beiden Flugplätze trennen rund 70 Kilometer.
Die Lodge Veronica, errichtet auf einer der reizvollen roten Sanddünen der Kalahari, thront geradezu über dem mit drei Pisten ausgebauten Flugplatz unweit des Olifant.
An dem gut angelegten Flugplatz steht einem faulen Fliegerurlaub nichts entgegen. Neben einer 700 Meter langen Notlandebahn gibt es zwei Pisten über 2000 Meter beziehungsweise 1600 Meter Länge. Als 02 und 08 beginnen sie gleich unterhalb der Lodge nahe der Parkboxen für die Flugzeuge und fächern V-förmig auf. Man lässt also morgens am Parkplatz seinen Motor an – Eigenstarter sind hier Voraussetzung –, macht seine Checks, rollt zum Startkreis und richtet je nach Windrichtung seinen Flieger aus. Nur wenn der Wind einmal nicht aus den meist vorherrschenden östlichen Richtungen weht, müssen die Flugzeuge zu den abgelegenen Pistenköpfen gezogen werden.
Für jedes Flugzeug gibt es einen voll ausgerüsteten Parkplatz mit der Möglichkeit, Material zu verstauen, und einen eigenen Strom- und Wasseranschluss. In der Lodge lässt sich geradezu luxuriös wohnen, die Küche ist top. Das Fleisch kommt aus dem eigenen Wildbestand. Auf der 180 Quadratkilometer großen Jagd-Farm tummeln sich rund 8000 Tiere. Vom schwarzen Nashorn bis zur Giraffe findet sich dort die Vielfalt der Tierwelt Namibias. Bereits von den Zimmern der Chalets aus lassen sich die Tiere beobachten.
Wer mehr will, startet mit einem Jeep zur Safari, an Tagen mit schwachen Bedingungen eine gern wahrgenommene Alternative zum Segelfliegen. Bei schlechtem Wetter lässt es sich auch in den beiden Bars und den gemütlichen Sitzgelegenheiten des Haupthauses gut aushalten. Wenn bei angesagtem Regen die Gesichter der Segelflieger eher lang werden, strahlen die Afrikaner. Aber zum Glück sind die Schlechtwettertage in der Saison rar gesät.
An kniffligen Tagen ist das professionelle Briefing von Bernd Dolba eine gute Hilfe, zum richtigen Streckenflugvergnügen zu kommen. Bernd verfügt immerhin über zehn Jahre Namibia-Erfahrung. Mit Danene und Gysbert von der Westhyzen, den Eigentümern der seit zehn Jahren bestehenden Game Lodge, hat er darauf aufbauend jetzt den Segelflugbetrieb in Veronica aufgezogen.
Auf die Frage, wie es denn mit der Flugplatzkonkurrenz aussieht, erklärt Bernd Dolba: „Ich betrachte sie nicht als Konkurrenz. Im Gegenteil, wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. So ist Bitterwasser für mich zum Beispiel kein simpler Flugplatz, sondern eine Institution, die mit ihren Aktivitäten für uns alle unheimlich wichtig ist.“
Nach der ersten Saison sind aufgrund der großen Nachfrage nun weitere Aus- und Anbauten in Veronica geplant. In der kommenden Saison wird ein echtes fliegerisches Highlight dazukommen: Fliegen unter den Fittichen eines Rekordhalters oder Champions. Angeboten wird das Coaching im Doppelsitzer und von Teamflug mit Einsitzern. Über die gesamte Saison wird ein Champion vor Ort sein und genau das realisieren. Janusz Centka, mehrfacher Weltmeister und Namibia-erfahrener Pilot, hat bereits als Trainer zugesagt. Auch andere Weltmeister haben schon ihre tatkräftige Unterstützung bekundet.
Im Training geht es nach ausführlicher Besprechung der Taktik und Einschätzung des Wetters an die Praxis. Natürlich fehlt der wichtige Part der Analyse im Nachgang nicht. Die Tage versprechen also sehr intensiv zu werden. In jedem Fall sind große Lernerfolge und eine Menge Spaß programmiert.