Das Szenario lässt mir den Atem stocken. Gleich muss der Helikopter doch ins Wasser eintauchen. Er ist so nah über der Oberfläche. Die linke Kufe wird schon umspült. Aus meiner leicht erhöhten Perspektive am Ufer sieht es aus, als treibe der Hubschrauber flussabwärts, als könne er nichts mehr ausrichten gegen die starke Strömung des Wassers. Doch die Szene bleibt konstant. Er sinkt nicht, dreht nicht weg, neigt sich nicht zur Seite. Er taucht auch nicht weiter ein im Gegenteil: Wenige Zentimeter über den Wellen des Rheins schwebt die BK 117 nun schon seit 20 Sekunden, die Nase weist konstant in Richtung Nordwesten. Die Vorwärtsfahrt von knapp sechs Stundenkilometern, kaum zu erkennen, ist angepasst an die Fließgeschwindigkeit des Flusses. Um die Maschine herum hat sich auf der Wasseroberfläche eine Art Corona gebildet. Der Rotorabwind lässt am Rand des Kreises einen Hurrican mit aufschäumender Gischt toben, während es dicht am Helikopter, im „Auge des Zyklons“ sozusagen, relativ ruhig ist.
Das nutzt der Mann, der in Fliegerkombi, gesichert mit Gurtzeug, auf der linken Kufe hockt. Über sein Helmmikrofon spricht Polizeioberkommissar Christian Walczak auf seinen Piloten, Polizeihauptkommissar Dirk Imhof, ein: „Langsamer, tiefer, zwei links, eins rechts, Kufe im Wasser, etwas höher, Kontakt! Person auf Kufe“.
Walczak ist neu im Metier, absolviert heute seine erste Kufenrettung. Der Bordoperator ist kein Pilot und er kennt die typischen Kommandos noch nicht. In seinem Polizeialltag bedient er die komplexe Elektronik der Wärmebildkamera, die im hinteren Teil des Helikopters untergebracht ist.
Die Aktion, die zwar mit der gelungenen Bergung des Mannes endet, verläuft dem vorn links sitzenden Einweisungspiloten, Klaus Kuhlmann, allerdings einen Tick zu eilig: „Das war viel zu schnell, Christian. Wir waren zwar erfolgreich, aber wenn er zum Heckrotor durchgerutscht wäre, hätten wir ihn nie gekriegt.“ Der erfahrene Polizeipilot meint damit die Vorwärtsgeschwindigkeit des Helikopters. Bei der Kufenrettung kommt es auf zahlreiche Faktoren an, und die Geschwindigkeit ist einer.
Die Hummeln aus NRW haben die Kufenrettung nahezu perfektioniert

Einmal jährlich üben die Besatzungen der beiden Fliegerstaffeln der nordrhein-westfälischen Polizei aus Düsseldorf und aus Dortmund den Ernstfall. Sie haben die Kufenrettung im Laufe von mehr als zehn Jahren nahezu perfektioniert. Dabei wird das Ertrinkungsopfer in niedriger Höhe - bei fließenden Gewässern mit der Strömung - langsam angeflogen, am Anfang mit 50 km/h, dann mit reduzierter Fahrt, im Idealfall hat der Helikopter zum Schluss die gleiche Ge-schwindigkeit wie das Wasser: 6 km/h.
Die starke Motorisierung und große Leistungsreserve der zweimotorigen BK 117 erlaubt Anflüge auch mit Rückenwind und unter grenzwertigen Flugbedingungen. Während die beiden älteren BK 117 B-2 von zwei Honeywell LTS 101-750B-1-Triebwerken mit je 410 kW (550 shp) angetrieben werden, verfügen die drei jüngeren BKs der NRW-Polizei in der C-1-Version über Arriel-1E2-Antriebe von Turbomeca mit je 550 kW (738 shp) Leistung. Mit einer Dreiercrew bleibt der Helikopter auch bei vollen Tanks noch weit unter 3350 kg, seiner maximalen Abflugmasse. Sollte an Bord in dieser Phase ein technisches Problem auftreten, entscheidet der Pilot-in-Command, je nach Lage, ob der Flug abgebrochen werden muss oder fortgesetzt werden kann.
Der auf der linken Kufe wartende Retter spricht seinen Piloten genau auf die Position ein. Er agiert auf der linken Seite, weil die BK 117 konstruktionsbedingt im Schwebeflug links etwas tiefer „hängt“. Dicht über der Wasseroberfläche hat der Pilot vom Cockpit aus keine Referenz mehr. Er muss sich komplett auf die Kommandos seines Kollegen verlassen. Fliegt er zu flach an, wird das Opfer durch den Rotorabwind des Helikopters weggedrückt, fliegt er zu hoch an, muss er unter Berücksichtigung der Reaktionszeit, die auch ein agiler Helikopter benötigt, erheblich mehr manövrieren. Je kleiner die Bewegungen, umso präziser kann er fliegen. Ist er zu schnell, läuft er Gefahr, dass die zu bergende Person unter die Maschine gerät und ein wertvolle Zeit kostender, zweiter Anflug erforderlich wird.
Kann der Retter das Opfer greifen, schlingt er dessen Arme um den Holm des Kufenlandegestells, fixiert den Körper, hält ihn fest und weist seinen Piloten an, langsam in Richtung Ufer zu schweben. Dabei sind Kopf und Schultern der Person auf der Kufe, knapp über der Wasseroberfläche. Erst in flachem Wasser lässt der Retter los und Bodenkräfte können sich um die geborgene Person kümmern.
Der Vorteil gegenüber klassischer Windenrettung: Es geht erheblich schneller und bedarf keines zusätzlichen Personals oder aufwendigen Windeneinsatzes. Der Nachteil: Kufenrettung funktioniert nicht mit jedem Helikoptermuster. EC135 und EC155 sind aufgrund ihrer tief liegenden ummantelten Heckrotoren (Fenestrons) dafür nicht geeignet. Bei der BK 117 hingegen liegt der konventionelle Heckrotor sehr weit oben, zudem verfügt der Helikopter über ein relativ hohes Landegestell. Das garantiert große Sicherheit mit genügend Platz zwischen der sensiblen Rumpfunterseite und der Wasseroberfläche. Das Übungsziel heißt daher: Die Kufenunterseiten dürfen zwar das Wasser berühren, sollten aber nicht komplett eintauchen. Bei den Übungen schärfen die Besatzungen ihr Gespür für die optimale Höhe. Nasse Füße, sprich Kufen, sind also erlaubt, nur sollte man nicht wirklich „baden gehen“. Wasserberührung des Rumpfs ist ein absolutes Tabu.
Das Trainingsgebiet der beiden „Hummel“-Staffeln ist der Rhein bei Leverkusen-Hitdorf. Die Übung ist mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt sowie mit der Wasserschutzpolizei abgesprochen. Zur Sicherung wird ein Boot entsendet, das den regen Schiffsverkehr auf einer der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt vor dem Passieren des dicht neben der Fahrtrinne liegenden Übungsbereichs informiert.
Polizeitaucher aus Wuppertal „spielen“ die Ertrinkungsopfer

Als Ertrinkungsopfer fungieren Taucher der 2. TEE (Technische Einsatz-Einheit) der Polizeidirektion Wuppertal. Sie müssen, zu erkennen an signalfarbenen Helmen, im kalten Fluss ausharren, bis der rettende Helikopter einschwebt, und dabei so passiv wie möglich bleiben, denn im Ernstfall würde ein Ertrinkender beziehungsweise ein Bewusstloser auch nicht behände auf die Kufe hüpfen. Hilfestellung ist zwar kollegial, aber für dieses Training alles andere als effektiv. Kollegen in Schlauchbooten begleiten die Taucher und können sie im Notfall sofort wieder aufnehmen. Zudem wird nach jedem Anflug gewechselt, weil die aufschäumende Gischt Gesicht und Arme wie mit Millionen von Stecknadelspitzen trifft.
Normalerweise sichern die Wuppertaler Poli-zeitaucher Beweismittel für die Kriminalpolizei, suchen und bergen Ertrinkungsopfer oder unterstützen die Luftretter bei Hochwassereinsätzen an der Rettungswinde. Gegen das kalte Rheinwasser schützen sie sich mit Trockentauchanzügen, gegen den Downwash des Helikopter hingegen hilft das nicht, da kann man nur den Kopf abwenden und hoffen, dass der Helikopter sich schnell positioniert und der Mann auf der Kufe beherzt zupackt.
Zweiter Anflug für Dirk Imhof auf dem Pilo-tensitz. Christian Walczak hockt auf der Kufe. Er hat beim vorausgegangenen Übungsanflug ohne Opfer eine Ladung Wasser abbekommen. Die Vorderseite seiner Kombi ist schon triefnass. Derweil treibt die leblose Gestalt im Fluss schnell ab.
Der Operator vergisst, dass der Helikopter noch viel zu weit entfernt ist, um den Piloten schon präzise einsprechen zu können. Instruktor Kuhlmann erkennt dies sofort: „Du musst vorausdenkend einsprechen, wenn das Opfer zu weit links ist, musst du das rechtzeitig ansagen, weil der Helikopter nicht abrupt seine Bewegungsrichtung wechseln kann. Und je mehr du sprichst, umso besser. Auch wenn alles gut ist, dein Pilot sollte immer wissen, was los ist“. „Verstanden“ signalisiert Walczak. Nach einer Linksplatzrunde über dem Rhein, begleitet von ein paar in Hitdorf heimischen Wildgänsen, die neugierig, aber in sicherem Abstand in Formation zu dem „komischen Vogel mit den vier dicken Flügeln“ gehen, wird der nächste Sinkflug eingeleitet. 60 Knoten, linke Schiebetür geöffnet, Retter im Stehgurt auf der Kufe. „Fertig“. Taucher im Wasser. „Sichtkontakt 300 Meter voraus. 200 voraus, langsamer, zwei Meter Höhe, ein Meter, 30 Zentimeter über Wasser, zehn Zentimeter, langsam nach vorn, Höhe halten - Höhe gut“. Der Retter erwischt den Arm des Tauchers, zieht ihn zur Kufe und lässt ihn nicht mehr los. „Kontakt! Person auf Kufe, Fahrt leicht nach rechts“, ruft er ins Mikrofon.
„Das war viel besser. Damit kommt der Pilot gut klar“, sagt Kuhlmann. Bei den nächsten zwei Übungen wird der junge Oberkommissar immer besser. Er hat schnell raus, wie er einsprechen muss und worauf es letztlich wirklich ankommt: auf Ruhe und Besonnenheit, auch wenn noch so große Eile geboten ist.
Einmal jährlich findet die anspruchsvolle Übung am Rhein statt

Vor das Vergnügen hat der liebe Gott die Arbeit gesetzt. Das ist auch beim Training für die Kufenrettung in Leverkusen nicht anders. Alle teilnehmenden Besatzungen haben Spaß an dieser anspruchsvollen Übung, die nicht nur die fliegerischen Fertigkeiten trainiert, sondern auch die Kollegialität fördert. Damit alle Hummel-Piloten die Chance bekommen, am Training teil zu haben, findet es an zwei Terminen im Juni und Juli statt. Jeweils zwei BK 117 und eine EC155 sind vor Ort. Jeder einzelne Pilot soll mindestens drei Übungen fliegen und anschließend selbst drei Rettungsübungen auf der Kufe machen. Mit der EC155 trainieren die Besatzungen gemeinsam mit den Wuppertaler Tauchern parallel den Windeneinsatz über Wasser.
Die ersten Trockenübungen an der BK 117 am Boden dienen der Vertrautmachung mit dem Stehgurt, der sicher angelegt und in der Kabine verankert sein muss. Im Ernstfall muss das schnell gehen und jeder Handgriff sollte sitzen. „Das ist ein Spiel auf Zeit, denn wir wissen ja nie, in welchem Zustand wir die Person finden, wie lange sie schon im Wasser ist, sagt Hauptkommissar Heiko Durke, zuständig für die Aus- und Fortbildung seiner fliegenden Kollegen. „Das Problem bei Suizid-Kandidaten ist zudem, dass die meisten gleich versinken. Die werden dann erst Tage später irgendwo Fluss-abwärts geborgen. Da haben wir keine Chance“.
Abgesprochen wird beim Trockentraining auch die Technik, wie man sich auf der Kufe platziert. Hinsetzen oder hocken? Das hängt von der jeweiligen Köpergröße des Piloten beziehungsweise des Retters ab und ist nicht strikt festgelegt. Da wird bei den etwas kleineren Kollegen schon mal geflachst, ob ihre „Ärmchen denn wohl lang genug sind, um um den Kufenholm zu reichen?“ In jedem Fall sollte die Position aber sicher sein, und dem Retter möglichst viel Spielraum bieten, den im Ernstfall oft leblosen Körper heranzuziehen und an der Kufe so lange zu halten, bis sich die Mediziner um das Opfer kümmern können.
Neben dem Yachthafen von Hitdorf haben die Polizeibeamten ihr Camp aufgeschlagen: ein paar Holzbänke unter dem Sonnenschutz eines Einsatzfahrzeugs. Daneben liegen die Helmtaschen und zahlreiche Sporttaschen. „Alte Hasen“ bringen sich Ersatzschuhe, Ersatzkombis und Handtücher mit, weil sie längst wissen, dass sie beim Einsatz auf der Kufe zumindest bis zu den Waden vom Rhein „umspült“ werden können. Einige nehmen gar eine Art „Volldusche“, müssen sich anschließend komplett umziehen, weil die aufschäumende Gischt doch intensiver ist als erwartet.
Zuschauer sind willkommen. Sie können die Übungen hautnah vom Ufer aus beobachten

Die Umgebung des Hafens ist für das Training gut geeignet, weil An- und Abflüge über unbewohntem Gelände linksrheinisch erfolgen können und die Lärmkulisse für die Anwohner rechts des Ufers sehr gering bleibt. Zum Tanken fliegen die Maschinen zum Flughafen Düsseldorf, der nur sieben Flugminuten entfernt ist.
Die Wiesenfläche auf der Landzunge zwischen Hafen und Rhein bietet Platz für die Hubschrauber und die Schlauchboote der Wuppertaler Polizeitaucher können über das Hafenbecken leicht zu Wasser gelassen werden. Das Gelände wird nicht abgesperrt und Zuschauer, die sich im Laufe des Tages sogar zum Picknick einfinden, werden nicht weggeschickt. Es gibt lediglich eine Tabuzone rund um startende und landende Helikopter. Durke: „Die Bevölkerung bezahlt uns und unsere Einsätze, dann darf sie auch sehen, was wir machen“.
Als Christian Walczak wenig später auf der Bank am Einsatzfahrzeug Platz nimmt und seine Stiefel auszieht, kippt er ein paar Liter Rheinwasser heraus. Alle Umstehenden lachen. Auch die Kombi ist jetzt komplett nass. Aber es hat sich gelohnt für den Neuling. Instruktor und Pilot sind zufrieden.
Die Übung endet am Nachmittag. „Hat mal wieder richtig Spaß gemacht“, sagt einer. Uns auch! Autorin und Fotograf durften hautnah - und das ist wörtlich gemeint - erleben, wie es ist, wenn jemand aus den Fluten des Rheins gefischt wird. Bei aller Begeisterung steckt jedoch eine toternste Angelegenheit dahinter. Aber dafür trainieren sie gern, die Hummeln aus NRW.
Hummeln aus NRW






Nordrhein-Westfalen verfügt über zwei Polizeihubschrauberstaffeln, die an den Flughäfen Düsseldorf und Dortmund stationiert sind. Sie hören auf den Rufnamen „Hummel“. Zum Einsatz kommen fünf Eurocopter BK 117, zwei -B2 und drei neuere -C1-Versionen, als Transporthubschrauber und für Sonderaufgaben stehen zwei EC155 B zur Verfügung. Aufklärungs- und Beobachtungsflüge werden zudem mit zwei Flächenflugzeugen des Musters Cessna 182 Skylane durchgeführt.
Beiden Staffeln gehören insgesamt 38 Piloten an, acht Operator bedienen zudem die komplexe Technik der Wärmebildkameras an Bord. Über NRW sind die Helikopter auch nachts unterwegs, es sei denn die Wetterverhältnisse lassen Sichtflug nicht mehr zu. Im Rahmen der Aus- und Fortbildung trainieren die Besatzungen die Kufenrettung mit der BK 117. Erste Versuche der Wasserrettung erfolgten mit dem Fixtau auf der BO 105. Da die Methode aktives Handeln des Opfers voraussetzt, die Personen jedoch in der Regel bewusstlos oder nur eingeschränkt handlungsfähig sind, wurde im Jahr 2000 erstmals die anspruchsvolle und optisch spektakuläre Methode der Kufenrettung ausprobiert und später auf dem BO-105-Nachfolger BK 117 verfeinert. Den ersten Versuch flog Heiko Durke am 16. August 2000 über einem Baggersee bei Beckum in Westfalen. Bei der Rettung aus fließenden Gewässern wird der hinten sitzende Operator zum Kufenretter, während die NRW-Polizei bei stehenden Gewässern die Kufenrettung auch mit der Zweiercrew zulässt. Dann steigt der Copilot um auf die linke Kufe und der Pilot-in-Command managt sein Cockpit allein.
Laut DLRG-Statistik verloren in Deutschland 438 Menschen im Jahr 2010 ihr Leben durch Ertrinken. 76 Prozent aller Opfer ertranken in Flüssen, Seen oder Kanälen, 52 davon in NRW. Im Durchschnitt rücken die Polizeihubschrauber pro Monat zweimal zu Rettungseinsätzen am Rhein aus; im Sommer erheblich öfter als in den übrigen Jahreszeiten. Drei Menschen konnten durch die Kufenrettung bereits geborgen werden. Europaweit wird diese Art der Wasserrettung derzeit nur von Nordrhein-Westfalens Polizeipiloten praktiziert.
aerokurier Ausgabe 09/2011