Marenco Swisshelicopter SKYe SH09
Als Marenco Swisshelicopter mit seinem Mock-up 2011 zum ersten Mal auf einer Heli-Expo auftritt, reiben sich die Besucher die Augen. Das Fluggerät scheint zwar zu beeindrucken, aber hinter vorgehaltener Hand heißt es: „Das wird doch nichts; die halten das doch nicht durch.“ Die Tatsache, dass einige „Konkurrenz“-Ingenieure da aber schon heimlich um den Marenco-Stand herumschleichen und alle Details in Augenschein nehmen, spricht eine deutliche Sprache. Ist das am Ende doch ein Entwurf, den es zu beachten gilt?
Es ist! Nur gut dreieinhalb Jahre später, am 2. Oktober 2014, erfolgt der Erstflug der SKYe SH09 mit der Kennung HB-ZXA auf dem Heimatflugplatz in Mollis im Kanton Glarus. Die Buchstaben SKYe stehen frei übersetzt für „eine Evolution am Himmel“ und die Zahl 09 für das Jahr, in dem ein Investor einstieg und das ambitionierte Programm Fahrt aufnehmen konnte.
Ein halbes Jahr nach dem Jungfernflug, nach weiteren Flugtests mit Prototyp 1 und zahlreichen kleineren und größeren Modifikationen besuchen wir die Standorte von Marenco Swisshelicopter: in Pfäffikon bei Zürich, in der Denkzentrale, wo das gesamte Engineering stattfindet, und in Mollis, wo der Helikopter gebaut und getestet wird und wo gerade Prototyp 2 entsteht. Insgesamt sind rund 100 Mitarbeiter beteiligt.
Was da im Herzen der Schweiz entsteht, ist ein lupenreiner leichter Mehrzweck-Hubschrauber, der gute Chancen hat, viele kleine Nischen sinnvoll zu besetzen, zumal seine Bauweise den modernsten Erkenntnissen der Helikoptertechnologie entspricht. Ganz zu schweigen davon, dass die SKYe SH09 der erste kom-plett in der Schweiz entwickelte und gebaute Helikopter ist. Abgesehen von der US-Turbine, sind 80 Prozent aller Zulieferer schweizerische Unternehmen.
„Wir haben uns bewusst entschieden, in der teuren Schweiz zu produzieren, weil Schweizer Produkte, insbesondere in der Luftfahrt, weltweit ein hohes Ansehen genießen“, sagt Mathias Sénès, Chief Commercial Director bei Marenco Swisshelicopter und Begleiter bei unserem Besuch. Martin Stucki (48) ist der Kopf von Marenco. Der Ingenieur und Inhaber einer Berufspilotenlizenz für Helikopter gründet 1997 Marenco Swissengineering, das 2000 zur AG umgewandelt wird. Heute ist das in Pfäffikon beheimatete Entwicklungsunternehmen ein Komplettdienstleister und zu Hause im Maschinen-, Apparate- und Anlagenbau, in der Medizin- und Labortechnik, in der Kunststofftechnik, im Luft- und Fahrzeugbau sowie in der Solar- und Energietechnik. Aus all diesen Bereichen kommt auch das Know-how als Basis für die Entwicklung des Helikopters.
Es gibt im zivilen Bereich zahlreiche Helikopter, die für bestimmte Missionen entwickelt wurden: die ganz leichten, kleinen für die Basisschulung und für Privatzwecke, die leichten Turbinen-Singles für den Personentransport, für Sightseeing, die leichten und mittleren Zweimots für den VIP-Verkehr, die Luftrettung und diverse Transportmissionen sowie die mittleren und schweren Muster für große und schwere Lasten und Offshore-Einsätze.
Einmotorige Muster decken in aller Regel meist nur einzelne Segmente ab, aber nicht die gesamte Bandbreite für ihre Gewichtsklasse. Das erscheint bisweilen ineffizient und angesichts der Flugstundenpreise auch wenig rentabel. Die Krux ist, dass einzelne Muster nur mühsam und zeitaufwendig umgerüstet werden können, damit sie die jeweils andere Mission überhaupt fliegen können.
Stucki und seine Ingenieure haben da einen anderen Ansatz. Ihr Helikopter soll die Multirolle wirklich spielen können: „Wir wollen Ja sagen können, wenn wir gefragt werden, ob der Helikopter dieses oder jenes kann. So sind in unserem Helikopter alle relevanten Elemente verbaut, wie beispielsweise das gesamte Equipment für den Lasthaken. Der kann so in kürzester Zeit aktiviert werden. Das gilt auch für die Bestuhlungsschienen. Sie sind auf sechs crashresistente Passagierplätze hinter dem Cockpit ausgelegt, auch wenn für den individuellen Einsatz nur vier oder drei (VIP) Personensitze benötigt werden. Das Vorhandensein kann aber durchaus ein Verkaufsargument sein“, betont Sénès.
Der kommerzielle Nutzen des Helikopters steht im Fokus, denn rund 68 Prozent aller Einsätze in der Leicht-Kategorie sind Utility-based, also Mehrzweckeinsätze. Genau diesem Mix soll die SH09 Rechnung tragen: als Sightseeing-Plattform ebenso wie in der Luftrettung, im Arbeitseinsatz mit Außenlasten, als Shuttle, bei Polizeimissionen oder beim Training. Die SH09 ist ein Leichtgewicht aus Karbon mit einer maximalen Abflugmasse von 2650 kg. Die Zelle des Hubschraubers wird in Monocoque-Bauweise gefertigt, das bringt große Festigkeit bei kleinstmöglichem Gewichtseinsatz. Die geräumige, durchgehende, hohe Kabine, mit ebenem Boden (flat floor) ist die derzeit größte eines einmotorigen Helikopters mit Long Cabin (in diese Kategorie gehören auch die AS350 (H125), H130B3, A119 Koala oder Bell 407.) Die SH09 kann acht Personen befördern. Die hinteren Türen sind als breite Schiebetüren ausgelegt, und im Heck befindet sich zusätzlich eine große, zweiteilige Ladetür.
SH09 deckt als Mehrzweckhelikopter ein breites Spektrum ab
Das kommt natürlich dem US-Markt sehr entgegen, wo Luftrettung zu 70 Prozent einmotorig betrieben wird. Die SH09-Kabine entspricht in ihren Ausmaßen in etwa der der zweimotorigen H145. Hier kann der Arzt (Paramedic) den Patienten vom Kopf bis zum Fußende betreuen. Das ist ein Pluspunkt, den längst nicht jeder Rettungshubschrauber bieten kann.
Für Sightseeing-Flüge werden derzeit zwar keine großen Mengen an Helikoptern benötigt, dafür fliegen die Flotten aber dreimal so viele Einsätze wie bei anderen Missionen. Demzufolge ist auch die Kompatibilität für dieses Segment von Bedeutung. Die SH09 verfügt über große und tief nach unten reichende Fenster. Die vorderen Türen sind komplett verglast, und die Sitze sind höhenverstellbar. Als besonderes Highlight hat der Helikopter im vorderen Cockpitbereich einen Glasboden. Er besteht aus Plexiglas und enthält als Schutz gegen Kratzer eine dünne, leichte Echtglas-Oberfläche. Dieses Fenster erleichtert die Arbeitsfliegerei mit Außenlasten und erspart dem Piloten die verdrehte Körperhaltung beim Beobachten der Ladung aus dem Seitenfenster. Es dient auch als Panoramafenster für besondere Perspektiven.
Bei Polizeimissionen hat das zusätzliche Fenster aber auch materiellen Nutzen. Bei vielen Flügen muss der Helikopter über einem Einsatzort längere Zeit permanent mit großer Querlage eng kreisen, um dem Beobachter gute Sicht nach unten zu ermöglichen. Das verschleißt natürlich auch Komponenten, insbesondere können Schäden durch die hohe Beanspruchung der Maststruktur entstehen. Die Sicht durch das Bodenfenster ist einfacher, weniger anstrengend, materialschonender und vor allem sicherer. Der Sicherheit trägt auch ein modernes Glascockpit Rechnung; P1 ist mit einem Moving Terrain und einem Garmin G650 bestückt.
Für die Rolle als Arbeits- und Transporthubschrauber verfügt die SH09 über eine Außenlastkapazität von 1500 kg. Bei Lasten, die im Innern befördert werden, liegt der Wert bei 1300 kg.
Der Composite-Hauptrotor der SH09 besteht aus fünf symmetrisch geformten Blättern. Sie sorgen nicht nur für gute Manövrierfähigkeit und gute Leistung, sondern auch für vibrationsarmes und leises Fliegen. Aufgrund seiner Bauhöhe bietet der Rotor zudem größtmögliche Sicherheit am Boden. „Maestro“ (Marenco Shrouded Tail Rotor) heißt der von den Marenco-Ingenieuren entwickelte ummantelte Fan des Heckrotors. Der große Durchmesser von 1,20 m sorgt für geringe Blattspitzengeschwindigkeit und hohe Stabilität im Fluge.
Herz des Helikopters ist das HTS-900-2-Triebwerk von Honeywell mit zweistufigem Verdichter und mit Zweikanal-FADEC. Es ist vorzüglich für Einsätze unter Hot & High-Bedingungen geeignet. Seine maximale Startleistung beträgt 760 kW (1020 shp), die Dauerleistung 557 kW (757 shp). Laut Marenco soll der Helikopter 140 kts (260 km/h) schnell sein. Die Tanks fassen bis zu 750 l Kerosin und ermöglichen bei 70 Prozent Leistung eine Flugzeit von bis zu fünf Stunden. Sie befinden sich in idealer Schwerpunktlage unter dem Rumpf sowie in den Seitenwänden, direkt hinter der Passagierkabine.
Beim Besuch des aerokurier in Mollis befindet sich P1 gerade im „Ruhezustand“ in der Halle, die für die künftige Serienproduktion des Musters weiter ausbaufähig ist. Alle Türen, Abdeckungen und Verkleidungen am Testhelikopter sind entfernt, das gesamte Testequipment ist gut sichtbar und dient der detaillierten Auswertung. Bis Mai 2015 hatten weitere Testflüge in Mollis stattgefunden, bei denen sich auch einige notwendige Änderungen herauskristallisiert hatten. So wird bei Prototyp 2, der unmittelbar vor seiner Fertigstellung steht, das gesamte, mittig zwischen den Vordersitzen installierte Overhead-Panel weiter nach vorn verlagert, weil der Pilot einige Schalter bisher nur mit leicht verdrehter Haltung erreicht. Bei der Erstflugsequenz im Oktober 2014, mit Testpilot Dwayne Williams, bei der teilweise auch Martin Stucki als Entwicklungsingenieur und Copilot mit im Cockpit saß, wurden zudem stärkere Schwingungen festgestellt, Steuerdrücke mussten danach optimiert werden. P2 wird auch mit einem neu entwickelten Rotorkopf zum Einsatz kommen und damit weitere Geschwindigkeitsbereiche erfliegen.
Überhaupt sei seit Ende 2014 die Effizienz der SH09 erheblich gesteigert worden, weiß Mathias Sénès zu berichten. „So lässt sich beispielsweise die gesamte Maintenance des Bodenbereichs von den Seiten aus durchführen. Bei uns muss kein Mechaniker unter dem Helikopter liegen, wenn er arbeitet. Die große, einteilige Kabine ohne Säulen ermöglicht es auch, dass Helfer die Passagiere im Hubschrauber problemlos angurten können. Das ist ein sehr hoher Sicherheitsaspekt, der besonders bei Sightseeing-Flügen bedeutsam sein kann.“
Wenn in Kürze in Mollis die Flugversuche mit P2 starten, wird P1 für weitere Bodentestläufe und Tests von Equipment und Auslegung zur Verfügung stehen. Das Team von Marenco Swisshelicopter rechnet mit der Zulassung für Herbst 2016 und sich direkt daran anschließenden Auslieferungen der ersten Exemplare.
Weltweit wurden bisher mehr als 70 Kaufabsichtserklärungen und Vorverträge für das Schweizer Multi-Tool abgeschlossen. Einen konkreten Verkaufspreis nennt das Unternehmen derzeit allerdings noch nicht. Die Hauptmärkte für die SKYe SH09 werden wohl Nord- und Südamerika sowie Asien sein. Erst wenn sich im Hinblick auf einmotoriges kommerzielles Helikopterfliegen in Europa was bewegen sollte, werden wohl auch Europäer den gelungenen Entwurf Swiss-made öfter zu Gesicht bekommen.
Technische Daten





SKYe SH09
Hersteller: Marenco Swisshelicopter Ltd.
Sitzplätze: 1+7
Bauweise: Carbon, Monocoque
Verwendung: Mehrzweck-Helikopter
Antrieb: Honeywell HTS 900-2
Art: Wellenturbine
maximale Leistung: 760 kW/1020 shp
Abmessungen
Länge: 12,97 m
Breite: 11,00 m
Höhe: 3,56 m
Rotordurchmesser: 11,00 m
Heckrotor-Durchmesser: 1,20 m
Massen und Mengen
Leermasse: 1500 kg
max. Startmasse (MTOW): 2650 kg
Tankvolumen: 750 l
Flugeistungen
Reisegeschwindigkeit: 260 km/h
Reichweite: 800 km
Flugdauer: 3,7 bis 5 h
aerokurier Ausgabe 09/2015