Inselfliegen Nordsee
Es ist einer dieser magischen Momente: 3000 Fuß unter uns ruhen die Ostfriesischen Inseln im Wattenmeer; wie an einer Perlenkette aufgereiht, reichen sie bis zum Horizont. Der gold-gelbe Sand, das blau-türkisfarbene Wasser und das schillernde Watt überraschen im sanften Licht der Morgensonne mit immer neuen Nuancen. In der Nacht hat eine Kaltfront den Dunst der letzten Tage vertrieben, die Luft ist klar und kühl.
Vor ein paar Minuten sind wir auf Norderney gestartet, lange bevor der bisweilen hektische Flugbetrieb rund um die Inseln seinen Lauf einsetzt. „Es läuft einfach. Der Motor schnurrt, und die Sicht ist gigantisch“, sage ich zu meinem Piloten Martin, während ich mit der Kamera die Magie des Augenblicks festhalte.
Der Zeitpunkt für unsere seit langem geplante Inseltour ist perfekt. Es ist endlich Sommer, es ist warm, und trotzdem gibt es hier und da noch ein paar freie Betten für Spontane. Noch warten viele Familien aus ganz Deutschland auf den erlösenden Startschuss in die Ferien. Ein, zwei Wochen später vielleicht, dann werden die Fähren weitere Touristenströme ausspucken und den Höhepunkt der Reisewelle einläuten.
Wir nutzen die Ruhe vor dem Sturm, um Ostfrieslands Inselwelt neu zu entdecken. Die Region gehört zu Deutschlands fliegerischen Top-Zielen. Nicht mehr als ein, zwei Stunden Anreise auf dem Luftweg sind es aus dem „Pott“ oder aus Westfalen. Ein kurzer Sprung in eine andere Welt.
Borkum, Juist, Norderney, Langeoog und Wangerooge in drei Tagen

Borkum, Juist, Norderney, Langeoog und Wangerooge wollen wir an drei Tagen ansteuern, um unseren Favoriten zu küren. Baltrum kennen wir von früheren Ausflügen, doch diesmal muss die kleinste Insel außen vor bleiben – zu kurz scheint uns die 360-Meter-Piste für unsere DR 400 Dauphin mit ihren 120 Pferdestärken.
Zurück ins Cockpit. Nach gut 40 Minuten setzen wir wieder auf der Piste 08 von Norderney auf. Zwei nachfolgende Flugzeuge melden sich an diesem Morgen ebenfalls auf 122,60 MHz zur Landung, eröffnen damit einen weiteren, betriebsamen Tag.
Norderney ist die quirligste der Ostfriesischen Inseln. Geschäfte, Hotels, Gaststätten dominieren das bunte Zentrum rund um den Stadtstrand. Nur hier und auf Borkum gibt es Autos.
Doch Norderney kann auch anders, strahlt diese ganz besondere Ruhe aus, die man nur im Wattenmeer findet. Wir laufen über einen etwas versteckten Weg durch die Dünen zum Sandstrand an der Nordküste und springen ins kühle Nass.
Unsere Wertung für Norderney: Volle Punktzahl gibt’s für den Strand in Flugplatznähe. Ebenfalls schön ist, dass das Ortszentrum preiswert mit dem Bus zu erreichen ist. Nicht ganz so erfreulich sind die Zimmerpreise auf der Touristenmeile in der Hauptsaison.
Am nächsten Vormittag, nach unserem herrlichen Fotoflug, brechen wir nach Juist auf. Nur das Knistern des abkühlenden Motors unterbricht die Stille nach einem kurzen Flug. Der Geruch von Salz liegt in der Luft. Autos gibt es hier nicht, Fahrräder kann man nur im Ort leihen.
Andreas Gramkow nimmt uns für neun Euro pro Person auf der Pferdekutsche mit dorthin – der Preis ist stolz, aber das Geld für den Winter will schließlich auch verdient werden.
Den Rückweg treten wir zu Fuß an. Vier, fünf Kilometer sind es vom Ort zum Flugplatz, immer am Strand entlang. Wir lassen uns den Wind um die Nase wehen, genießen die schier endlose Weite. Jetzt wissen wir, weshalb die Menschen ihre Insel die „schönste Sandbank der Welt“ nennen.
Eine ASK 16 parkt neben unserer Robin. Magnus Nedoma und Philipp Rechtsteiner leben ihren Traum vom Inselfliegen auf ihre eigene, ganz unbeschwerte Art und Weise, wie es nur Studenten können. Beide studieren Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart, und beide lieben es, einfach zu fliegen statt immer nur Formeln zu pauken.
„Wir übernachten im Schlafsack unter der Fläche“, sagt Pilot Magnus, der seit anderthalb Jahren seine Motorseglerlizenz hat und von einem Trip nach Elba träumt. „Warum nehmt ihr kein Zimmer in der benachbarten Jugendbildungsstätte?“ „Warum sollten wir? Es ist doch toll, morgens von der Zweimot geweckt zu werden.“
Schon früh starten die Inseltaxis der lokalen Airlines LFH, FLN Frisia und OLT vom Festland zu den Inseln. Sie bringen Passagiere, Pakete, Lebensmittel und sogar die Kinofilme. Juist ist abhängig von dieser Luftbrücke, denn abhängig von den Gezeiten verlassen nur eine oder zwei Fähren pro Tag den Hafen.
Unser Urteil: Pluspunkte gibt’s für den Juister Flugplatz, der vergleichsweise lange und durchgehend geöffnet hat. Den nur 150 Meter vom Flugplatz entfernten Strand sollte man unbedingt besucht haben. Kutschfahrten bieten eine Menge Spaß fürs Geld.
Für uns geht die Reise weiter. Noch vor der Mittagspause möchten wir in Langeoog landen. Inselhopping, das begreifen wir schnell, ist wegen der begrenzten Öffnungszeiten der Plätze und der eingeschränkten Versorgung mit Sprit – die einzige Tankstelle auf den Ostfriesischen Inseln liegt auf Borkum – eine Frage von exakter Planung. Sonst kann es sein, dass man irgendwo im wahrsten Sinne des Wortes strandet.
Robin Kuper empfängt uns auf dem Turm. Er ist Flugleiter, Feuerwehrmann und Hausmeister in einer Person. Im Vergleich zu manch’ anderer Insel geht es auf Langeoog beschaulich zu. 120 Bewegungen pro Tag sind es in Spitzenzeiten, 7500 im Jahr. „Eigentlich ist das auch gut so, denn die Abstellflächen sind begrenzt“, gibt Kuper zu.
Die Lage des Platzes hat die Bezeichnung „Premium“ verdient: Kaum hat man das Flugplatzgelände verlassen, ist man mittendrin im Ort. Wir sammeln Eindrücke, werfen einen Blick auf die bunt lackierte Inselbahn, die die Gäste vom Fähranleger zum Bahnhof in die Stadt und zurück bringt. Vor dem Leuchtturm steht das Denkmal der Sängerin Lale Andersen, die hier einst gelebt hat. Allzu viel Zeit bleibt uns leider nicht, doch Langeoog hat uns sicher nicht zum letzten Mal gesehen.
Wir passieren Spiekeroog und landen auf der 850 Meter langen Piste 08 von „Wooge“. Türmer Uwe Kipp freut sich über den unverhofften Besuch vom aerokurier, ebenso der Pilot einer ultraleichten Remos GX aus Kassel, der gerade seinen Lande-Obolus entrichtet. Damit ist das Stichwort für den Smalltalk auch schon gefunden: „ULs sind hier jederzeit gerne gesehen“, sagt Kipp. Früher, da sei das anders gewesen. „Als in grauer Vorzeit die ersten Trikes hier gelandet sind und dann im Abflug in 30 Metern Höhe über unsere Charlottenstraße geflogen sind, fand das die Gemeinde gar nicht lustig.“ Heute gehören die Delta-Mikes zu den Stammgästen nicht nur auf Wangerooge.
Wieder in der Luft, werfen wir einen sehnsüchtigen Blick auf Baltrum, die kleinste der Ostfriesischen Inseln. Für Piloten ist sie eine der Top-Adressen – wenn ihr Flugzeug denn anders als unsere kleine Robin Qualitäten als Kurzstarter bietet. Flugzeuge bis 1400 Kilogramm dürfen auf der 360-Meter-Bahn landen. Die Sandbank in Richtung Osten, weitläufige Wanderwege durch die Dünen und ein Flugplatz direkt am Ort verbuchen wir auch ohne Landung als Pluspunkte. „Insel der kurzen Wege“, nennt es Flugleiter Mirko Schmidt.
Borkum versetzt uns im Voraus in Hochstimmung. Wieder einmal lassen wir uns von den Lichtspielen auf dem Meer und den sanften Kontrasten euphorisieren. Wir müssen uns ein klein wenig zwingen, „Borkum Info“ zu rufen, um das Ende dieses Fluges einzuleiten. Der Platz mit seinen drei Bahnen erscheint uns etwas überdimensioniert für eine Insel. Dafür gibt es für jede Windrichtung die passende Piste. Borkum hat, wie Juist, keine Mittagspause. Außerdem kann man hier Avgas bekommen. Den dritten Punkt notieren wir im Geiste für die vorbereitete Verzurrmöglichkeit auf der gemähten Abstellfläche.
Später an diesem Tag besichtigen wir das unlängst moderni-sierte Hotel am Flugplatz, um eine Adresse für künftige Fliegerkurzurlaube zu haben. Die Saunalandschaft auf dem Dach hat was, schon alleine wegen der Aussicht auf den Flugplatz. Da wir kein Gepäck, aber viel Zeit haben, gönnen wir uns die Dreiviertelstunde Fußweg durch die Dünenlandschaft in den Ort, der von einer lebendigen Strandpromenade und historischen Hotelfassaden geprägt ist.
Welche ist denn nun die schönste in der Kette der Insel-Perlen? Diese Schönheitskonkurrenz geht, um es sportlich zu sagen, in die Verlängerung: Denn die Inseln kann man gar nicht oft genug besuchen.
Text: Patrick Holland-Moritz




