Feuer, Wasser und Eis
Island, Färöer und die Shetlands

„Schönes Wetter ist, wenn es nicht regnet oder stürmt“, sagt man in Island. Das ist doch eine hervorragende Perspektive für einen VFR-Trip mit einer Einmot in die Wetterküche des Nordatlantiks, oder etwa nicht?

Island, Färöer und die Shetlands

Eine Insel, geboren aus Feuer und modelliert aus Wasser und Eis. Grandiose  Natur von wilder Ursprünglichkeit und elementarer Kraft. Hier raucht die Erde. Riesige Gletscher, Vulkane, Krater, tosende Wasserfälle, monotone Lava- und Schotterwüsten, grüne Wiesen, Lupinenfelder, stille Seen, tiefe Fjorde und karibische Sandstrände liefern unvergleichliche Landschaftsbilder. Wir sind in Island angekommen.

Mit Bernd Tünsmeyer, meinem Freund und Fliegerkollegen, war ich schon oft im Norden Skandinaviens unterwegs. Auch diesmal fliegen wir mit einer Cessna 172 SP. Aber während Linienpassagiere nach rund zwei Flugstunden entspannt und weitgehend erlebnisfrei in Kevlavik aussteigen, setzen wir als Privatpiloten natürlich ganz andere Prioritäten.

Unsere Nordatlantik-Reise startet am 30. Mai. Zunächst fliegen wir von Bad Neustadt/Saale über Aachen-Merzbrück nach Ostende. Am Abend gibt es frische Meeresfrüchte und wir übernachten zentral im Ramada-Hotel. Am nächsten Tag fliegen wir über Manston nach Dundee in Schottland, wo wir nahe des Flugplatzes im sehr schönen Invercarse-Hotel preiswert nächtigen.

Am Nachmittag des 1. Juni setzen wir Nordkurs. In Wick dürfen wir den großartigen und vor allem günstigen Rundumservice von Andrew Bruce, Chef von Far North Aviation, genießen. Alle Angaben auf der Webseite der Firma treffen zu (www.farnorthaviation.co.uk).

Unsere Ausgangsbasis für den großen Sprung über den Nordatlantik nach Island ist erreicht. Wir übernachten in Mackays Hotel, wo wir ein Flieger-Pärchen aus Hamburg treffen. Die sind allerdings mit einer TBM 850 unterwegs.

Unsere Highlights

Beim An- und Abflug auf Varga kann es urplötzlich Fallwinde geben

Windkritisch und nichts für Zauderer: die Piste von Vagar auf den Färöer-Inseln. Foto und Copyright: Schönweiß

Etwa auf halbem Weg von Schottland nach Island liegt die Inselgruppe der Färöers mit dem malerisch zwischen Bergen liegenden Flugplatz Vágar. Den sollte man aber niemals (!) für einen obligaten Tankstopp einplanen, denn das Problem sind unkalkulierbare Windverhältnisse. Bei bestimmten Windlagen, aber manchmal auch wie aus heiterem Himmel kommt es hier zu hochgefährlichen Fallwinden im An- und Abflug. So manch größerer Maschine wurde dies schon zum Verhängnis. Am Platz gibt es deshalb ein weltweit wohl einzigartiges Windwarnsystem und in den METARS wird der Wind in 850 Fuß Höhe ausgegeben. Jederzeit kann eine Bahn oder sogar der ganze Platz geschlossen werden.

Man tut also gut daran, genug Sprit an Bord zu haben, um weiter nach Island fliegen zu können oder nach Schottland umzukehren. Wir haben Glück, denn auf unserer Reise ist es sowohl beim Hinflug als auch beim Rückflug unproblematisch in Vágar zu landen.

Als Privatpilot ist man über dem Nordatlantik den Großen völlig gleichgestellt. Eigenes, einigermaßen professionelles Verhalten vo-rausgesetzt, darf man Top-Service erwarten. Die Luftraumstruktur auf dem Weg nach Island erlaubt für VFR-Flieger theoretisch nur eine Flughöhe bis FL 55. Für uns ist es aber überhaupt kein Problem aufgrund von Wolken eine höhere Flughöhe genehmigt zu bekommen. Die Funkabdeckung ist nahezu vollständig. Im Zweifelsfall findet man als Relais einen Airliner auf der vielbeflogenen Nordatlantik-Route.

Höfn ist kein „Airport of Entry“ mehr. Unser erstes Ziel im Osten Islands ist daher der internationale Flughafen Egilsstadir. Auf der Strecke von Várga bis hierher herrschen CAVOK-Bedingungen. Nachdem wir gut drei Stunden das recht kalte Atlantikwasser unter uns hatten, können wir beim Anflug auf die Insel den atemberaubenden Anblick ausgiebig genießen. Das unmittel-bare Nebeneinander von maritimer und alpiner Naturstaffage ist beeindruckend, insbesondere wenn man, so wie wir, Liebhaber der nordischen Länder ist.

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Zum Erkunden Islands ist die Kombi Leihwagen und Flugzeug ideal

Einsamkeit und Idylle findet man jederzeit im Landesinnern von Island. Foto und Copyright: Schönweiß

Noch auf dem Flugplatz  lernen wir Binni (Brynjolfur Vignisson) vom Met-Office kennen. Er vermietet sehr schöne Unterkünfte in seinem „Vinland Guesthouse“, so dass die Unterkunftsfrage schnell erledigt ist.
Für die Erkundung Islands benutzen wir nicht nur die Cessna, sondern für 2000 Kilometer auch einen Leihwagen. Ein Allrad-Fahrzeug ist unbedingt empfehlenswert. Wir sind auf Pisten gefahren und haben Furten durchquert, die bei jedem Off-Road-Junkie die Glückshormone hätten sprudeln lassen....

Wir sehen natürlich eine Menge auf unserer siebentägigen Tour kreuz und quer durchs Land. Im Südwesten ist das die Hauptstadt und deren nähere Umgebung mit der Blue Lagoo – ein Thermalbad mit der Duftnote „Hölle“. Nordwestlich von Reykjavik sehen wir den spektakulären Gullfoss-Wasserfall und den Geysir in Stokkur. Hier gibt es alle zehn Minuten eine „Live-Vorführung“, wie sie nur an wenigen Orten der Welt geboten wird. Im Süden besuchen wir die Westmänner-Inseln, wo 1963 das Eiland Surtsey seine vulkanische Geburt erlebte. Am Südrand des größten Gletschers Europas, dem Vatnajökull, liegt der See Jökulsárlón, auf dem zahlreiche Eisberge stattlicher Größe treiben Die Bootsfahrt ist empfehlenswert.

Asbyrgi – entstanden durch Odins Pferd oder doch nur eine Laune der Natur?

Der Godafoss im Nordosten ist einer der spektakulärsten Wasserfälle Islands. Foto und Copyright: Schönweiß

Im Osten Islands, gut von Egilsstadir zu erreichen, liegt der Snaefell, mit 1833 Metern der höchste Berg Islands. Im Nordosten besuchen wir die rätselhafte, Hufeisen-förmige Absenkung von Asbyrgi. Sie entstand wahrscheinlich durch starke Gletscherläufe. Laut der nordischen Mythologie soll jedoch Odins Pferd hier seinen riesigen Hufabdruck hinterlassen haben. Ebenfalls im Nordosten besuchen wir den größten Wasserfall Islands, den Detifoss und den Myvatn-See samt Umgebung. Von hier sind es knapp 50 Kilometer zur Nordküste. Der Ort Husavik ist idealer Ausgangspunkt für Whale-Watching. Die für mich ursprünglichste Gegend Islands liegt auf einer Halbinsel im Nordwesten: die zerklüfteten Westfjorde. Sie sind weniger besucht, weil sie abseits der Ringstraße liegen. Es ist die älteste und dünn besiedeltste Region Islands. Die Westfjorde sind enger, schroffer und steiler, als anderswo auf der Insel. Wo immer es eine Nische im Felsen gibt, nisten Seevögel. Aber nicht nur ein paar Vögel sondern Hunderttausende!

Am 9. Juni treten wir den Rückflug an. Von Egilsstadir fliegen wir zunächst wieder nach Vágar, diesmal aber mit dem Vorsatz, einige Tage auf den Färöers zu bleiben. Hier gibt es ein bisschen Zivilisation und viel gewaltige Natur, aber es ist weniger wild, als auf Island. Die Berge sind weniger hoch, die Formen runder und die Wiesen grüner. Und: hier fehlen auch die Gebiete brutaler vulkanischer Selbstzerstörung.
Auch wenn man nicht viel Zeit hat, sollte man unbedingt nach Saksun auf der Insel Streymoy fahren. Die abenteuerliche  Zehn-Kilometer-Anfahrt lohnt sich, denn das Ziel ist von atemberaubender Schönheit. Der ehemalige Naturhafen liegt wie eine Pfanne im Fels und der Pfannenstiel ist die Verbindung zum Meer.

Vom Flugplatz Scatsa aus werden die Ölplattformen der Nordsee bedient

Überlebensanzüge sind zwar ziemlich unbequem, aber im Fall einer Notwasserung auf dem kalten Nordatlantik ausgesprochen sinnvoll. Foto und Copyright: Schönweiß

Nach zwei Tagen auf den hoheitlich zu Dänemark gehörenden Inseln folgen drei Tage auf den britischen Shetlands. Hier gibt es neben mehreren kleinen auch drei größere Flugplätze: Scatsa im Norden der Hauptinsel dient hauptsächlich als Drehscheibe zu den Ölplattformen in der Nordsee (Brent Field). Der Hauptstadt-Flugplatz Lerwick-Tingwall liegt etwa in der Mitte der Hauptinsel, ist aber acht Kilometer von Lerwick entfernt. Wir fliegen nach Sumburgh im Süden. Die drei Pisten des riesiges Flugfelds decken jede Windrichtung ab.

Die Shetlands beginnen mit einer Schrecksekunde: Reifenplatzer! Wenig später erleben wir, wie das Internet die Welt verkleinert. Das Handy klingelt und ein Bekannter aus Deutschland fragt nach, was wir denn am Bugrad rumschrauben würden? Wir sind im Blickwinkel einer Webcam.

In Laufweite des Platzes nehmen wir Quartier im Sumburgh-Hotel. Seine historische Bausubstanz wurde durch diverse Anbauten leider verschandelt.

Die Shetlands sind nicht von der wilden Ursprünglichkeit Islands und der Färöer-Inseln; irgendwie zwar ähnlich, aber nochmal eine Nummer kleiner als die Färöers. Und noch einen gravierenden Unterschied gibt es: Wir sind wieder in Großbritannien und die Autos fahren hier auf der für uns falschen Seite. „Sehr vorsichtig“ bewegen wir deshalb unseren Leihwagen.

Lotsen "handeln" Großluftfahrt und Allgemeine Luftfahrt ganz locker

Gut gelaunt über den Atlantik: Bernd Tünsmeyer und Günther Schönweiß (rechts). Foto und Copyright: Schönweiß

Am 14. Juni starteten wir nach Kristiansand in Norwegen. Auf diesem Flug dürfen wir quer durch Stavanger Approach. Da erleben wir, wie direkt unter unserer kleinen Cessna eine einfliegende 737 hindurch gelotst wird – im Anflugsektor eines deutschen Verkehrsflughafens eher schwer vorstellbar.

Am Folgetag nehmen wir Kurs auf das Skagerak, und überfliegen Dänemark auf dem Weg zum letzten Tankstopp in Lübeck. Verwöhnt von den relativ moderaten Spritpreisen auf unserer Reise, werden wir in die teure deutsche Realität zurückgeholt. Drei Euro müssen wir für den Liter Avgas abdrücken.
Ehrfurcht vor der Natur lernt man als Pilot lange vor solch einem Flug. Für eine Unternehmung wie die unsere muss man sich aber immer wieder ganz bewusst machen, dass man nur mit höchst respektvoller Annäherung versuchen kann, ein Bündnis oder Stillhalteabkommen mit den Elementen zu schließen. Meine nachhaltigsten Eindrücke: In Island sieht man, mit welch` unglaublicher Macht die Natur sich selbst beschädigt, aber dennoch überall neue Wege zum Leben findet.... Was auch noch bleibt, sind die unauslöschlichen Bilder sowie 2800 nautische Meilen und rund 36 Stunden mehr Erfahrung im Flugbuch.

Die Reiseroute: Deutschland, Belgien, England, Schottland, Färöer (Dänemark), Island, Norwegen
Landeorte: Bad Neustadt/Saale, Aachen-Merzbrück, Ostende, Manston, Dundee, Wick, Vágar, Egilsstadir, Myvatn, Akureyri, Ísafjörður, Akureyri, Sumburgh, Kristiansand, Lübeck.
Kartenmaterial: Jeppesen TripKits Benelux, UK, Dänemark, Norwegen; POOLEY’s Flight Guide United Kingdom; Jeppesen  Atlantic Orientation Charts, Jeppesen North Atlantic Plotting Chart; Jeppesen Atlantic Supplement; VFR-Karte Island. Vor dem Flug: Aktualisierung der Datenbanken der Garmin-Geräte; iPad: Elektronische Karten und Anflugblätter; Navigations- und Wetter-Apps: iBriefing, iNavigator, Air Nav Pro, WorldAvWx.

Landegebühren: an einigen Plätzen kostenlos; die teuerste Landung betrug 19 Euro
Hotels: 80 Euro in Ostende, 60 Euro in Dundee, 93 Euro in Wick, 50 Euro in Egilsstadir, 120 Euro in Torshavn, 90 Euro in Sumburgh, 150 Euro in Kristiansand  (EZ/F). Kostenfreies WLAN ist in nahezu allen Hotels verfügbar.

Leihwagen in Island: 180 Euro pro Tag, (Allrad-SUV mit Navi, inklusive aller Nebenkosten).
Equipment über See: Bei einem Flug über reichlich Wasser ist es gut, wenn man zuvor die Theorie der Notwasserung auffrischt und die entsprechende Ausrüstung mitnimmt. Überlebensanzüge sichern das Überleben im kalten Wasser (6 bis 8 °C) für etwa sechs Stunden, in Abhängigkeit von der untergezogenen Kleidung und der persönlichen Speckschicht des Trägers auch länger. Hält man sich an deutsche Vorschriften, die in den liberalen skandinavischen Ländern niemand kontrolliert,  muss man je nach Küstenentfernung Auftriebshilfen dabei haben. Manche Überlebensanzüge bringen so viel Auftrieb, dass man auf Schwimmweste oder Schlauchboot verzichten kann. Wir haben beides dabei. Bei einer Nonstopp-Flugzeit von rund fünfeinhalb Stunden gerät man eventuell an die Grenze der persönlichen Harnblasenkapazität. Mit angelegtem Überlebensanzug kann man die üblichen Reichweitenverlängerer nicht benutzen. Die Lösung heißt Pampers. Keine falsche Scham! Das machen auch Kampfpiloten so, die von Europa nach Goose Bay fliegen. Die Tanks unserer Cessna 172 fassen rund 200 Liter Sprit. Bei einem Stundenverbrauch von 30 Litern sollte das reichen. Gemäß unserer Sicherheitsphilosophie ist uns das aber zu eng. Rückbank raus (spart 23 kg) und 100-Liter-Zusatztank rein.

Literatur: "Guidance and Information Material Concerning Air Navigation in the North Atlantic Region" (www.paris.icao.int). Links auf eddh.de

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