Der Blick durch die Panoramascheiben aus dem Konferenzraum in die große Werfthalle ist beeindruckend: Auf etwa 8000 Quadratmetern drängen sich Business Jets, Turbo-props und dazwischen eine etwas verloren wirkende Kolben-Einmot mit offenen Türen, Klappen und Verkleidungen.
Mechaniker wuseln um die Flugzeuge, legen hier und da Hand an, kontrollieren, ersetzen, reparieren. Hin und wieder öffnet sich eines der großen Schiebetore, und die Werft spuckt ein Flugzeug aus, nur um kurz darauf ein anderes zu verschlucken. Business as usual für die Mitarbeiter von Atlas Air Service.
Im April 1970 gegründet, bietet Atlas heute an seinen vier Standorten Ganderkesee, Bremen, Paderborn und Augsburg den kompletten Service für Geschäftsreiseflugzeuge. „Wir stehen unserem Kunden vom Flugzeugkauf über Betrieb, Einsatzplanung, Wartung und Instandhaltung bis hin zum möglichen Wiederverkauf als kompetenter Partner zur Seite“, beschreibt CEO Dr. Nicolas von Mende das Portfolio in einem Satz. Tatsächlich ist Atlas als derart breit aufgestellter Dienstleister eher eine Ausnahme in der Executive-Fliegerei. Mitbewerber konzentrieren sich zumeist auf einzelne Aspekte des Geschäfts mit den schnittigen, kleinen Jets.
Das heutige Firmenprofil ist Ergebnis konsequenten, unternehmerischen Handels, das stets auf langfristige Entwicklung und nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet war und ist. Seit der Gründung durch Helmut Weyhausen und Jochen Weyhausen-Sauer im niedersächsischen Ganderkesee als Werksvertretung für Cessna-Flugzeuge bleibt Atlas ab 1985 als einziger von einst 64 Cessna-Händlern in der Region Europa-Mittelmeerraum Ansprechpartner für alle, die ein Flugzeug aus Wichita ordern wollen. Auch nachdem der US-Flugzeugbauer 1992 vom Mischkonzern Textron übernommen wird, ist Atlas als Vertretung in Europa dabei. „Dabei waren wir höchst erfolgreich und haben als größter Vertriebspartner außerhalb der USA im Laufe der Zeit 200 Citation-Jets verkauft“, sagt von Mende nicht ohne Stolz.
1997 bzw. 2003 werden die Service-Center an den Flughäfen Paderborn-Lippstadt bzw. Bremen eröffnet, letzteres 2009 zum modernsten Service-Center für Geschäftsreiseflugzeuge in Europa ausgebaut. 2014 übernimmt Atlas als alleiniger Gesellschafter Augsburg Air Service und erweitert damit sein Markenportfolio um Beechcraft- und Hawker-Flugzeuge sowie seine Kompetenzen im Bereich Kolben- und Turboprop-Triebwerke. Kurze Episoden blieben die Aktivität als Vertrieb für Bell Helicopters in Deutschland sowie der Betrieb eines Standortes am Flughafen Stuttgart. Jüngster Coup der Niedersachsen: Seit 2015 ist Atlas Air Service exklusiver Vertriebs-partner und seit 2016 autorisiertes Service-Center für Executive Jets des brasilianischen Herstellers Embraer und beendet damit nach 45 Jahren die Partnerschaft mit Cessna bzw. Textron. „Für uns steht der Kunde im Mittelpunkt“, setzt Nicolas von Mende, der selbst in jungen Jahren als Segelflieger aktiv im Cockpit saß, zur Erklärung der Neuausrichtung an. „Cessna hat mit seinen Citation-Jets aus unserer Sicht jahrzehntelang die besten Geschäftsreiseflugzeuge ihrer Klasse gebaut. Das wussten auch unsere Kunden zu schätzen, wie die Absatzzahlen zeigen. Mit Embraer ist jedoch ein neuer Hersteller auf den Plan getreten, dem es perfekt gelingt, seine Erfahrung aus dem Großserienbau von Passagierflugzeugen in die Executive-Sparte zu übertragen und eine überragende Qualität abzuliefern. Und da wir unseren Kunden das Beste bieten wollen, war es für uns nur konsequent, diesen Weg einzuschlagen.“
Liaison mit Embraer
Embraer, erklärt der CEO, sei mit dem Airbus-Konzern von vor 30 Jahren zu vergleichen, eine nationale Aufgabe, hinter der Politik und Investoren eines ganzen Landes stehen. „Da liegt der Fokus auf langfristigem Erfolg.“ Schließlich sei Embraer mit seinen Executive-Jets ein Newcomer, der sich im Markt etablieren müsse, und das vor allem durch höchste Qualität und perfekten Service erreichen wolle. „Die neue Partnerschaft mit Embraer hat uns eine Menge Geld gekostet, weil wir unser Personal für die neuen Flugzeuge entsprechend schulen und neue Werkzeuge kaufen mussten. Aber ich bin sicher, dass sich das perspektivisch auszahlt“, sagt von Mende, schiebt aber direkt nach, dass man jene Kunden, denen man einst eine Citation verkauft habe, selbstverständlich weiterhin in der gewohnt hohen Qualität betreuen werde.
Doch die Liaison mit Embraer scheint zu funktionieren, in anderthalb Jahren konnten bereits 20 Jets der Muster Phenom und Legacy verkauft werden. Atlas tritt bei diesen Geschäften als Vermittler zwischen den Brasilianern und dem Endkunden auf. Neben neuen Embraer-Flugzeugen ist das niedersächsische Unternehmen zudem Ansprechpartner für gebrauchte Business-Flugzeuge wie Citation Jets und Turboprops wie King Air und Co. „Neben den Typen, die wir gerade im Portfolio haben, suchen wir auch gerne das passende Flugzeug entsprechend der Vorgaben des Kunden“, sagt Nicolas von Mende und betont, dass Atlas auch im Bereich der Gebrauchtflugzeuge eher Makler als Händler sei. Beim Wert selbst eines gebrauchten Business Jets könne sich kaum jemand eine Auswahl an Flugzeugen auf den Hof stellen. „Ein Ankauf ist für uns nur dann sinnvoll, wenn wir das Flugzeug bis zum Wiederverkauf auch gewinnbringend im Charterbetrieb einsetzen können.“
Den Löwenanteil des Geschäfts macht für Atlas Air Service indes der Werftbetrieb samt CAMO aus. Von den insgesamt 250 Mitarbeitern an den vier Standorten sind 200 in der Maintenance beschäftigt.
Neben den neuen Embraer-Mustern verfügt das Unternehmen über Lizenzen zur Wartung zahlreicher Cessna-, Cirrus-, Diamond-, Piper-, Socata- und Tecnam-Muster. „Sogar für manche Exoten wie die Saab 340, ein Regionalverkehrsflugzeug mit Turboprop-Antrieb, können wir Service anbieten, weil wir vor einiger Zeit Werftpersonal mit entsprechenden Berechtigungen übernommen haben“, erklärt von Mende.
Neben der Base- und Line Maintenance an den deutschen Standorten stehen rund um die Uhr Techniker des Aircraft-On-Ground-Teams, kurz AOG, bereit, um bei technischen Problemen europaweit zu helfen. Je nach Situation sind sie innerhalb von sechs bis zwölf Stunden mit entsprechenden Werkzeugen und Ersatzteilen vor Ort und lösen das Problem. Dank Zugriffs auf internationale Ersatzteilkataloge können benötigte Teile weltweit innerhalb von 24 bis 36 Stunden beschafft werden. Doch Atlas versorgt nicht nur Kunden und die eigene Werft mit Ersatzteilen, sondern auch andere Instandsetzungsbetriebe.
In Bremen sind permanent Spare Parts im Wert von mehreren Millionen Euro vorrätig, um schnell auf eigene oder auch fremde Nachfrage reagieren zu können. Weiterhin hat Atlas mit seinem Team für zerstörungsfreie Werkstoffprüfung eine Nische so erfolgreich besetzt, dass selbst Airbus Teile in Ganderkesee auf ihre Qualität hin untersuchen lässt. „Wir bieten hier das gesamte Portfolio der Methoden an, angefangen von der Eindringprüfung mit Spezialöl über Ultraschall- und Wirbelstromprüfung bis hin zum analogen und digitalen Röntgen“, erklärt von Mende und ergänzt, dass das nicht nur an den eigenen Werftstandorten möglich sei, sondern auch direkt beim Kunden. „Die Kollegen reisen an, prüfen und entscheiden dann, wie weiter vorgegangen wird, ob beispielsweise eine Reparatur einen Werftaufenthalt erfordert oder eine Instandsetzung vor Ort möglich ist. Das bedeutet maximale Flexibilität.“
Schließlich hat Atlas Air Service auch die fliegerischen Gene, die mit der Gründung des Flugplatzes in Ganderkesee von Beginn an Teil des Unternehmens waren, nie abgelegt. So können Flugzeugeigner nicht nur die regelmäßige Wartung und Prüfung ihrer Flugzeuge, sondern auch den Flugbetrieb ganz oder teilweise von Atlas organisieren lassen. „Von der Flugplanung und -durchführung übers Catering bis hin zum Verchartern in der Zeit, in der es nicht für den Eigentümer fliegt, kümmern wir uns um das Flugzeug“, sagt Nicolas von Mende. Aktuell betreue man acht Flugzeuge, von denen drei von den Eignern auch für Fremdcharter freigegeben seien.
Für alle Geschäftsfelder gelte gleichermaßen, dass die Kundenzufriedenheit oberste Priorität sei. „Das heißt, dass man Kunden auch mal entgegenkommt und nicht immer das Maximum an Gewinn pro Auftrag rausschlagen will“, erklärt von Mende seine
Philosophie. „Wenn es zu einem großen Check mal eine Kabinenaufbereitung ohne Aufpreis dazugibt, hat der Kunde das Gefühl, bei uns wertgeschätzt zu werden. Dadurch steigt die Chance, dass er wiederkommt.“ Auch sei es jedem Flugzeugeigner möglich, in die Werk-
halle zu kommen und sich Reparaturen und Checks anzuschauen. „Er kann jeden Mitarbeiter, der an seinem Flugzeug arbeitet, direkt ansprechen und sich alles erklären lassen.“
Der ungefilterte Kundenkontakt sei auch ein Vertrauensbeweis der Geschäftsführung an die Atlas-Mitarbeiter. „Wir schätzen unser Personal, jeder macht in seinem jeweiligen Bereich einen sehr guten Job“, sagt der CEO. Und Atlas arbeite stets daran, neue Fachkräfte zu qualifizieren. „Pro Standort haben wir sechs bis acht Azubis, die wir für den Eigenbedarf ausbilden. Weiterhin investieren wir viel Zeit und Geld in die fortwährende Qualifikation der Mitarbeiter.“
Mit seinem starken Team sieht Nicolas von Mende den Herausforderungen, die die Zukunft für die Business Aviation und Atlas Air Service bringt, optimistisch entgegen. „Die Executive-Fliegerei hat unbestritten mehrere Jahre der Stagnation hinter sich, aber seit einigen Monaten ist wieder ein Zuwachs an Flugstunden zu verzeichnen. Und gerade bei mittelständischen Firmen wächst das Bewusstsein dafür, dass ein Business Jet kein Luxusgut ist, sondern ein Werkzeug, um bei gleichem Zeitbudget mehr Kundennähe zu erreichen – ein Wert, auf den es heute mehr denn je ankommt.“
aerokurier 10/2017